Eine neue Stelle anzutreten, ist meist mit gemischten Gefühlen verbunden: Neben dem Stolz, die Position bekommen zu haben, und der Vorfreude auf die neue Aufgabe sind Menschen vor einem Jobantritt typischerweise auch unsicher, ob sie gut in die neuen Aufgaben und das Team hineinwachsen werden. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie es wäre, diese neue Stelle in einem anderen Land und fremden Kulturkreis anzutreten – ohne perfekte Sprachkenntnisse?

Onboarding: interkulturelles / internationales Team begrüßt neues Teammitglied
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Beim Jobantritt im Ausland ändert sich nicht nur der Weg zu Arbeit, sondern es steht ein Umzug auf einen anderen Kontinent an. Möglicherweise haben Sie seit der Vertragsunterzeichnung vor fünf Monaten fast nichts vom neuen Arbeitgeber gehört und müssen sich allein durch einen Visumsprozess wursteln. Zwar haben Sie eine Anschrift für ein möbliertes Apartment für den ersten Monat bekommen, aber noch keine Idee, wie Sie innerhalb von vier Wochen eine eigene Wohnung finden sollen. Wie würde Ihre Gefühlswelt aussehen?

Was kann Onboarding leisten?

Onboarding bedeutet: Es gibt einen strategischen Prozess, der gutes Ankommen erleichtert und unterstützt, der es neuen Mitarbeitenden ermöglicht, sich in einem völlig fremden Umfeld sicher und willkommen zu fühlen. Es bedeutet, dass beide Seiten offen über die gegenseitigen Erwartungen sprechen und dabei nicht nur sachliche Aspekte eine Rolle spielen. Wir Deutschen sind im Vergleich zu anderen Kulturen absolute Weltmeister:innen beim Thema „Sachlichkeit“, es ist einer unserer wichtigsten Kulturstandards und für die meisten beziehungsorientierten internationalen Kollegen und Kolleginnen ein sehr unverständliches Konstrukt.

Abbildung 1: Erwartungsabgleich im Onboarding (Grafik Elke Müller, entnommen: “30 Minuten interkulturelles Onboarding”, GABAL Verlag)

Im gegenseitigen Erwartungsabgleich liegt in der Schnittmenge das Integrationsversprechen: Je größer die Gemeinsamkeiten, desto leichter und nachhaltiger wird die Integration gelingen. Dabei geht es neuen Mitarbeitenden um ein gutes Ankommen, den Aufbau eines sozialen Umfeldes, um Wertschätzung, Zugehörigkeit und Sicherheit. Viele Recruiter:innen gehen davon aus, dass die internationalen Neuzugänge bestens informiert sind, wie sie nach Deutschland kommen, wie und wo sie wohnen werden und ob es eine passende Schule für die Kinder gibt. Weit gefehlt! Nur wenige trauen sich, solche Details zu erfragen und wissen nicht, wie schwierig es werden wird, eine Wohnung zu finden und welche Kosten tatsächlich auf sie zukommen. Es ist also enorm wichtig, über Lebenshaltungskosten zu sprechen und zu klären, welche Form von Unterstützung das Unternehmen beim Visumsprozess oder der Wohnungssuche gewährt. So entstehen Vertrauen und die Gewissheit, willkommen zu sein.

Interkulturelles Onboarding heißt, einen Prozess aufzusetzen, der sich an den Bedürfnissen internationaler Mitarbeitender orientiert. Das wichtigste Erfolgskriterium für diesen Prozess ist interkulturelle Kompetenz im Unternehmen – ohne diese kommt es zu vielen Missverständnissen und zu Unverständnis über das Verhalten, die vielen Rückfragen und die Unsicherheit der neuen internationalen Kolleginnen und Kollegen.

Kulturelle Kompetenz im Interview

Was viele Unternehmen zu wenig berücksichtigen: Onboarding startet mit dem ersten Interview. Fehler, die Sie dabei machen, können Folgen für den kompletten weiteren Integrationsprozess haben. Bei einem Interview mit internationalen Bewerbenden spielen Sprachkompetenz und interkulturelle Kompetenz die entscheidende Rolle.

Denn: Eine gestellte Frage zu verstehen, heißt nicht automatisch, sie verstanden zu haben! In jedem Bewerbungsgespräch gibt es zwei Strategien: die Strategie der Interviewenden und die des Gegenübers. Die Interviewenden möchten unter anderem in Erfahrung bringen, wie gut Kandidatinnen und Kandidaten ins Team passen und wie sie sich ihre Rolle im Unternehmen voerstellen. Die Bewerbenden möchten sich ihrerseits positiv präsentieren, „richtig“ auf die Fragen antworten und herausfinden, ob ihre Vorstellungen mit denen des Unternehmens kompatibel sind. Dabei haben beide Parteien Vorstellungen davon, was das jeweilige Gegenüber sagen sollte. Das heißt, es gibt erwünschte und unerwünschte Aussagen.  

Das Problem dabei: Im Gespräch müssen wir Verhalten erkennen und bewerten, dessen Bedeutung wir mit unserer kulturellen Prägung oft nicht richtig verstehen können.  So sind Interviews im internationalen Kontext häufig geprägt von gegenseitigen Wahrnehmungsfehlern und der Interpretation aus der eigenen interkulturellen Prägung. Wenn wir diese Verzerrungen vermeiden möchten, müssen wir unsere Beobachtungen von der Interpretation trennen. Wir müssen eigene Bewertung möglichst lange unterlassen, hinterfragen und bewusst Gegenbeispielen für unsere Deutungen suchen. Dafür ist es notwendig, den bisherigen Fragenkatalog teilweise neu aufzustellen und aus bereits geführten Interviews ein Gefühl für interkulturelle Kommunikationsmuster zu entwickeln. Das bedeutet nicht, dass wie in einem deutschen Unternehmen indische oder marokkanische Interviews führen müssen, aber es bedeutet, dass wir die eigenen Muster aktiv reflektieren sollten.

Nehmen wir die klassische Frage nach der Teamkompetenz. Unabhängig davon, ob wir diese sehr direkt stellen („Was ist dir wichtig für die Zusammenarbeit im Team?“) oder eher indirekt („Hast du mehr in Teams oder eher eigenverantwortlich gearbeitet?“): Ein beziehungs- und hierarchieorientierter internationaler Kandidat wird den Kontext der Frage hinterfragen: Was sollte ich antworten, um die vermutete Erwartungshaltung des Gesprächspartners zu treffen? In den meisten Fällen kommt als Antwort eine ausführliche Beschreibung, wie gute Teamarbeit sein sollte, welche Rolle die Führungskraft hat und dass auch individuelles Arbeiten sehr gut ist.

Und wie sieht die deutsche Interpretation aus? Der Kandidat weicht der Frage aus, wirkliche Erkenntnisse, wie die Haltung zu Teamarbeit ist, ließen sich so nicht gewinnen. Eine Lösung kann sein, mit interkulturellen Expert:innen die Interviewfragen kritisch zu beleuchten, diese mit interkulturell kompetenten Kolleg:innen zu reflektieren und jedes geführte Interview kritisch zu hinterfragen. Wo liegt mein eigener Bias? Was nehme ich wahr, was ist meine Interpretation?

Pre-Boarding

Wenn nach dem Gespräch eine Zusage erfolgt, beginnt die Phase des Pre-Boardings zwischen der Unterzeichnung des Vertrages und dem eigentlichen Jobeinsteig. Gleicht diese Zeit einem großen, schwarzen und schweigenden Loch – oder sind es Monate des Austauschs, in denen „die Neuen“ Vertrauen aufbauen und erste Wissenshäppchen erhalten? Nach der Vertragsunterzeichnung liegt der erste Arbeitstag zwar häufig noch in weiter Ferne. Für Mitarbeitende aus Drittstaaten heißt dies aber, dass sie sich um das Visum zur Einreise und Arbeitsaufnahme kümmern müssen, ein Prozess, der aktuell mehrere Monate in Anspruch nimmt.

Das Onboarding internationaler Mitarbeitenden sollte jetzt starten, um

  • Unsicherheiten zu nehmen,
  • Klarheit zu schaffen, was sie bis zum Arbeitsantritt und danach erwartet und somit
  • Wertschätzung zu zeigen und Bindung aufzubauen.

Sinnvoll sind feste Ansprechpartner:innen im Unternehmen, an die sich die ‚Internationals‘ jederzeit mit Fragen zur Einreise und den ersten Monaten im neuen Land wenden können. In dieser ersten Phase des Onboardings bieten zum Beispiel regelmäßige E-Mails eine gute Möglichkeit, den Kontakt zu festigen und gleichzeitig viele Informationen zum neuen Lebensmittelpunkt zu teilen:

  • Erste interkulturelle Tipps: „So tickt Berlin …“
  • Informationen zum Leben in der jeweiligen Stadt (Freizeitthemen)
  • Informationen zum Unternehmen (Leitbild, Werte, Personen, Themen, Projekte)
  • Mitarbeiter:innen-Handbuch
  • Einladung zu ersten virtuellen Treffen mit dem neuen Team oder vielleicht einem virtuellen Teamevent.

Eine echte Willkommenskultur etablieren

Der Erste Arbeitstag ist ein wichtiger Meilenstein des Arbeitsverhältnisses. Hier zeigt sich sehr stark, wie gut die Willkommenskultur des Unternehmens ist. Eine Willkommenskultur ist weit mehr als ein Blumenstrauß, ein Welcome-Day oder eine Kennenlernrunde. Es ist eine strategische Entscheidung, die nicht nur den Personalbereich, sondern das gesamte Unternehmen betrifft. Internationale Mitarbeitende bringen kulturelle Vielfalt mit, zum Beispiel ein eigenes Problemlöseverhalten oder Hierarchieverständnis, neue Kommunikationsmuster, unterschiedliche Erwartungen an die Zusammenarbeit im Team. Dazu gehört auch, zu hinterfragen, wie die Sprachkenntnisse der deutschen Kolleginnen und Kollegen sind. Reichen diese aus, um verstärkt auf Englisch zu kommunizieren? Benötigen die Teams zusätzliche sprachliche und interkulturelle Kompetenz? Das sind Fragen, die Unternehmen notwendigerweise vor der Ankunft internationaler Mitarbeitender bearbeiten sollten.

Wer eine Willkommens- und Bleibekultur etablieren will, muss zudem damit rechnen, dass sich die Unternehmenskultur verändert. Es braucht also Ideen, wie das Unternehmen damit umgehen wird. Führungskräfte müssen diese Art der Internationalisierung mittragen und Ansprechpartner:innen für die Mitarbeitenden sein, wenn es zu Schwierigkeiten und Konflikten kommt. Entscheidend ist, dass die Internationalisierung der Belegschaft mit dem Einzug der (kulturellen) Vielfalt in das Unternehmen gewollt ist und die Veränderungen aktiv begleitet werden. Dazu gehört auch, mögliche Ängste der Mitarbeitenden ernst zu nehmen.

(Soziale) Integration geht alle an

Die ersten Monate legen die Basis für eine gute und nachhaltige Integration der internationalen Fachkräfte. In diesen Monaten entsteht Unsicherheit bei den neuen Mitarbeitenden, sie sind bestrebt, die Probezeit gut zu absolvieren, gleichzeitig stellt sie das Umfeld täglich vor andere Herausforderungen. Viele ungeschriebene Regeln in der Organisation sind unbekannt, es kommt zu sprachlichen und interkulturellen Missverständnissen, im schlimmsten Fall treten Konflikte auf, die gegenseitigen Erwartungen stehen auf dem Prüfstand. Parallel zu dem Wunsch, sich rasch in die neue Aufgabe hineinzufinden, stehen die „Neuen“ vor der Herausforderung, baldmöglichst eine Wohnung zu finden, die erteilten Arbeitsvisa in einen Aufenthaltstitel umzuwandeln, eventuell müssen sie einen deutschen Führerschein machen und sich um eine Schule oder Kinderbetreuung kümmern.

All das sind keine einfachen Aufgaben, wenn man weder mit den kulturellen Gepflogenheiten noch mit regionalen Kenntnissen vertraut ist und erst einmal Sprachkompetenz aufbauen muss. So kann die Wohnungssuche zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen werden, die Vermieter:innen erwarten zügige Entscheidungen und ein deutscher Mietvertrag ist auch nicht ganz einfach zu verstehen. Gerade wenn diese private Seite nicht funktioniert, hat dies direkte Auswirkungen auf den Arbeitsplatz bis hin zur Frage: „Warum habe ich mir (und der Familie) das angetan? Das ist doch kaum ein Job wert?!“

Für das Onboarding internationaler Mitarbeitender ist es wichtig, zu verstehen, dass diese bereits vor der Ankunft eine emotionale Achterbahnfahrt durchleben: Ist der Umzug ins Ausland die richtige Entscheidung? Was erwartet mich dort? Was bedeutet das für meine Familie? Viele beschreiben ihren emotionalen Zustand schwankend zwischen euphorisch, ängstlich, hilflos, verzweifelt – je nachdem, wie gut oder schlecht zum Beispiel das Beantragen des Visums verläuft.

Daher bietet es sich an, die klassische Kulturschock-Kurve um den Teil vor der Einreise zu erweiterten. Je besser sich die ‚Internationals‘ angenommen und betreut fühlen, desto weniger stark werden die Gefühlsschwankungen sein.

Abbildung 2: Emotionen und kulturelle Anpassung – die “Kulturschock-Kurve” (Grafik: Elke Müller, entnommen “30 Minuten interkulturelles Onboarding”, GABAL Verlag)

Die meisten von ihnen machen in Deutschland die Erfahrung, dass Familie einen anderen Stellenwert hat, weil familiäre und private Themen im beruflichen Kontext sehr selten oder gar nicht angesprochen werden. Das hängt damit zusammen, dass in Deutschland eine relativ starke Trennung der Lebensbereiche vorherrscht, wogegen in vielen anderen Ländern der Welt die Grenzen zwischen privat und beruflich stärker fluide sind. Doch auch hierzulande haben Unternehmen ein Interesse an der langfristigen sozialen Integration von Beschäftigten, denn nur darüber können sie internationale Fachkräfte binden – und langfristig halten.

Mit einer gezielten Unterstützung gerade für die vermeintlich privaten Belange fördern sie ein Gefühl von Zugehörigkeit. Und nicht mehr oder weniger will ein guter Onboarding-Prozess ja eigentlich erreichen!

Literaturtipp

„30 Minuten Interkulturelles Onboarding“. Von Elke Müller. Gabal Verlag 2022.