

Ursprünglich im Rahmen nordamerikanischer Forschung im Bereich der interkulturellen Kommunikation definiert, fasst interkulturelle Kompetenz Einstellungen, Persönlichkeitsmerkmale, Wissen und Eignungen zusammen. Sie erleichtert einer Person die Kommunikation oder Interaktion mit Individuen, die aus anderen kulturellen Umwelten stammen. Interkulturelle Kompetenz kann affektiven, kognitiven oder verhaltensbezogenen Dimensionen zugeordnet werden.
In Forschung und Praxis wird davon ausgegangen, dass interkulturelle Kompetenz gefördert und entwickelt werden kann (etwa Otten, Scheitza, Cnyrim 2007). Trotz zunehmender Vielfalt pädagogischer Methoden scheint die Wirkung interkultureller Personalentwicklung vor allem im Bereich der kognitiven Kompetenzen groß zu sein, wohingegen sie bezüglich affektiver und verhaltensbezogener Dimensionen beschränkter bleibt. Studien zeigen, dass Expatriates häufig die affektive Dimension, die mit der relativ stabilen Persönlichkeitsstruktur verbunden ist, nicht oder nur eingeschränkt entwickeln. Somit hängt die Entwicklung interkultureller Kompetenz sehr vom Individuum selbst ab, seiner Motivation zu lernen, sich anzupassen und zu verändern, aber auch von der Wertigkeit, die es kulturellen Unterschieden beimisst. Milton Bennett entwarf 1994 auf Grundlage seiner Erfahrung mit interkulturellen Trainings ein Entwicklungsmodell mit verschiedenen Stadien interkultureller Sensibilität, die von der Leugnung bis zur Integration reichen.
Dieser Ansatz verdeutlicht, dass die Entwicklung und vor allem die Anwendung interkultureller Kompetenz stark vom Interaktionskontext abhängen. Die berufliche (interkulturelle) Interaktion zwischen zwei Individuen beinhaltet auch Absichten und Abhängigkeiten die finanzielle oder hierarchische Beziehungen betreffen. Sie ist ebenfalls abhängig von kulturellen Unterschieden zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, die oft heruntergespielt oder einfach geleugnet werden, was zu Problemen in multikulturellen Projektteams innerhalb einer Unternehmensgruppe führen kann.
Das Konzept bei Bosch
Im Fall der Bosch-Gruppe werden kulturelle Unterschiede keineswegs geleugnet, sondern ganz im Gegenteil regelmäßig in der internationalen Personalpolitik der Gruppe thematisiert. Die Bosch-Gruppe ist ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Stuttgart, das rund 271.000 Mitarbeiter in mehr als 50 Ländern beschäftigt, wovon allerdings ungefähr 41 Prozent in Deutschland arbeiten. 70 Prozent des Umsatzes werden im Ausland erwirtschaftet. Im Bewusstsein seiner gleichermaßen deutschen wie internationalen Unternehmensidentität führt Bosch kulturelle Vielfalt als einen von sieben Bosch-Werten auf: „Wir bekennen uns zu unserer regionalen und kulturellen Herkunft und betrachten zugleich Vielfalt als Zugewinn und als Voraussetzung für unseren weltweiten Erfolg.“
Bedeutung und Veränderung internationaler Personalpolitik von einer ethnozentrischen hin zu einer polyzentrischen Strategie belegen folgende Zahlen: Zu Beginn der 1990er-Jahre betraf die Auslandsentsendung ungefähr 300 Beschäftigte, wobei es sich vornehmlich um höhere Führungskräfte und ausschließlich Auslandsentsendungen von der Muttergesellschaft in die Auslandsgesellschaften handelte. Heute betrifft die Mobilität bei Auslandsaufenthalten über 1.500 Beschäftigte: Nur noch nahezu 60 Prozent sind hierbei Entsendungen von der Muttergesellschaft zu den Auslandsgesellschaften, wobei es sich in den anderen Fällen um Impatriierungen von den Auslandsgesellschaften zur Muttergesellschaft sowie um Transfers zwischen Auslandsgesellschaften aus verschiedenen geografischen Regionen handelt. (Abb.)
Interkulturelle Kompetenz entwickeln
Um die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Tochtergesellschaften, Joint Ventures sowie mit externen Partnern zu verbessern, entwickelt Bosch im Rahmen der internationalen Personalpolitik die interkulturellen Kompetenzen seiner Mitarbeiter. Diese Personalentwicklung besteht aus zwei wesentlichen Teilen: einerseits ein integriertes, auf verschiedene Zielgruppen abgestimmtes Trainingsangebot und andererseits der Ausbau des Mitarbeiteraustauschs innerhalb der Gruppe, die dem Wissensmanagement dient.
Der erste Teil der interkulturellen Kompetenzentwicklung stellt die Weiterbildung dar:
Der zweite Teil der interkulturellen Kompetenzentwicklung besteht aus einer Gesamtheit an Angeboten für Austausch und Vernetzung, die auf eine Vertiefung von Wissen innerhalb der Bosch-Gruppe bezüglich interkultureller Fragen zielen:
Diese verschiedenen Angebote erlauben es, innerhalb der Bosch-Gruppe auf der Basis der Eingangs beschriebenen affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Dimensionen interkulturelle Kompetenz zu entwickeln und den Dialog und den Wissenstransfer zwischen verschiedenen nationalen Gruppen, Standorten und Hierarchieebenen zu fördern.
Innovative Besonderheiten
Trainingsprogramme zur Entwicklung interkultureller Kompetenz sind nichts Neues: Die meisten international aufgestellten Unternehmen verfügen über eigene Personal- und Organisationsentwicklungskonzepte in dieser Richtung oder buchen solche Angebote bei externen Dienstleistern. Dennoch lässt sich konstatieren, dass die interkulturelle Kompetenzentwicklung innerhalb der Bosch-Gruppe einige Besonderheiten aufweist, die das Attribut innovativ verdienen: Die Bosch-Gruppe ist sich ihrer kulturellen Identität sehr wohl bewusst, wobei sie – als deutsches Unternehmen – dennoch nicht auf dem Attribut deutsch beharrt, sondern ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre doppelte Identität besitzt, die gleichzeitig global und deutsch ist.
Dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer: Diese Identität ergibt sich nämlich aus der praktizierten Entsendetätigkeit der Bosch-Gruppe. Es geht hier ja nicht ausschließlich um die Frage, wie viele deutsche Mitarbeiter ins Ausland expatriiert und dann wieder repatriiert werden. Statt dieser Einbahnstraßen- Denke herrscht explizit Gegenverkehr, bei dem aus Amerika und aus Asien/Pazifik/Afrika mit einer gewissen Eigenständigkeit nach Europa expatriiert wird und zudem ebenfalls zwischen diesen Regionen. Während die Kultur der Produkte und Dienstleistungen eher deutsch ist, weil sich hieraus der internationale Wettbewerbsvorteil der Bosch-Gruppe ergibt, ist die Kultur der Zusammenarbeit international. Die Integration beider Kulturbestandteile muss sich in der interkulturellen Kompetenzentwicklung widerspiegeln und zeigt sich insbesondere in den Angeboten zur Vernetzungskompetenz, bei der Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturräumen miteinander für die interkulturelle Zusammenarbeit geschult werden.
Die Bosch-Gruppe hat erkannt, dass sie international nur dann erfolgreich agieren kann, wenn alle Mitarbeiter interkulturelle Kompetenzen erwerben. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass auch Produktionsmitarbeiter an deutschen Standorten in einem internationalen Unternehmen wie der Bosch-Gruppe früher oder später mit Kollegen und Führungskräften aus anderen Kulturen gemeinsam arbeiten werden. Daher findet eine Demokratisierung interkultureller Kompetenzentwicklung statt, die nicht mehr nur High Potentials und Führungskräfte, sondern zunehmend auch untere Hierarchieebenen betrifft. Dementsprechend hat Bosch schrittweise eine Gesamtheit kohärenter Personalentwicklungsmaßnahmen erarbeitet, die die nachhaltige Sicherung interkultureller Kompetenz im Gesamtunternehmen ermöglicht. Ein erwünschter Nebeneffekt ist, dass sich hierdurch ein integratives Wissensmanagement speziell für interkulturelle Belange für das Unternehmen ergibt.
Es zeigt sich ein bewusstes Abgehen von einem ethnozentrischen Umgang mit Kultur und daher auch von einer ethnozentrisch gedachten interkulturellen Kompetenzentwicklung.
Ausblick
Die beschriebenen Besonderheiten interkultureller Kompetenzentwicklung erlauben der Bosch-Gruppe die ständige Reflexion ihres interkulturellen Handelns. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zum ökonomischen Erfolg der Bosch-Gruppe dar: Denn häufig wird von Unternehmen unterschätzt, dass sich der Dialog über die Schlüsselwerte „kulturelle Vielfalt“ und „kulturelle Identität der Gruppe“ massiv auswirkt. Er führt dazu, dass Mitarbeiter im interkulturellen Kontakt bewusst – und nicht nur zufällig und ungerichtet – die Interessen des Unternehmens nach außen hin vertreten können und in der teambezogenen Projektarbeit nach innen Referenzpunkte für eine gemeinsame Zielerreichung über Kulturgrenzen hinweg kennen. Für international tätige Unternehmen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, viel klarer als bisher im Rahmen der interkulturellen Kompetenzentwicklung die Frage der interkulturellen Unternehmensidentität zu klären und den Kern dieser Identität den Mitarbeitern systematisch zu vermitteln.
Lesetipp:
Christoph Barmeyer: Interkulturelles Management und Lernstile.
Deutsch-französische Studien zur Industriegesellschaft, Band 25,
Campus Verlag 2000, ISBN-103593364484, 39,90 Euro
Matthias Otten, Alexander Scheitza, Andrea Cnyrim (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz im Wandel.
Band 1 und 2, IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation,
Frankfurt 2007, ISBN-103889399029, 45 Euro
Internettipp:
Jürgen Bolten: Interkulturelle Kompetenz.
Thüringen: Landeszentrale für politische Bildung, Erfurt 2005 (Digitale Bibliothek)
www.ikkompetenz.thueringen.de/anregungen/index.htm
Quelle: PERSONAL 10/2008
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