Die Erwartungen an HR steigen, deshalb brauchen Personalmanager zunehmend strategische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse, so der designierte Präsident der ZGP. Er spricht auch darüber, dass der Mittelstand stärker auf sich aufmerksam machen muss und die Frage nach der Work-Life-Balance sehr ernst zu nehmen ist. Im folgenden Interview, wie auch an der Personal Swiss, stellt Matthias Mölleney dazu die Ergebnisse der jüngsten Studie des Future Work Forums vor, die sich mit der nachrückenden Arbeitnehmergeneration befasst. Zusammen mit der Generation Europe Foundation befragte der internationale Think Tank im Sommer 2010 mehr als 7.000 europäische Studenten zu ihren Berufserwartungen.

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Foto von Austin Distel

Herr Mölleney, als Mitglied des Think Tanks „The FutureWorld Forum“ haben Sie die Entwicklungen in der Arbeitswelt fest im Blick.

Matthias Mölleney (lacht): Wir versuchen es zumindest. Wenn wir sie exakt vorhersagen könnten, wären wir wahrscheinlich kein Forum, sondern steinreiche Propheten. Was sind denn die wichtigsten Erwartungen der kommenden Arbeitnehmer an eine Beschäftigung?

Das ist eine hochspannende Angelegenheit. Zusammen mit der Generation Europe Foundation haben wir bereits im Jahr 2006 Hochschulabsolventen kurz vor Studienabschluss in ganz Europa gefragt „Was erwartet ihr von der Arbeitswelt? Was müssen Arbeitgeber tun, damit ihr sie attraktiv findet?“ Die Antworten lauteten „Ich will in jeder Hinsicht glücklich sein“ oder „Entwicklungsmöglichkeiten“. An vierter Stelle rangierte „Work-Life-Balance“. „Geld“ landete ganz hinten auf der Liste. Dass es überhaupt genannt wurde, lag wohl daran, dass wir die Ost-EU-Länder einbezogen haben. Dort geniesst das Gehalt noch einen höheren Stellenwert. Es ist noch kein Hygiene-Faktor, sagen wir es mal so. Gar nicht vor kam „sicherer Arbeitsplatz“, das war damals ein Fremdwort.

Gab es gravierende Abweichungen in der Befragung 2010?

Eindeutig ja. Krisenbedingt hat der Faktor Geld einen rasanten Aufstieg genommen und kam jetzt auf Platz eins. Im Ländervergleich war der Zusammenhang klar erkennbar. Vereinfacht könnte man sagen „je Krise desto Geld“. In den kritischen Ländern Griechenland, Italien, Spanien und Portugal war es den Befragten so ziemlich egal, wofür das Unternehmen steht, was es herstellt. Wer ordentlich bezahlt, für den wird gearbeitet. Ethik ist dort irrelevant geworden, zumindest vorübergehend. Man sieht das sehr schön an Deutschland, das die Krise schon mehr oder weniger hinter sich hatte: dort hatte dieser Faktor im letzten Sommer schon wieder an Bedeutung gewonnen. Das heisst, wenn es eng wird, wird Ethik offensichtlich als erstes über Bord gekippt, aber bei einer Entspannung holt man sie auch als erstes wieder zurück.

Wundert Sie das?

Wir hatten geglaubt, dass Studienabgänger keine existenzielle Not kennen. Geld spielt jedoch in der Krise wieder eine entscheidende Rolle. Viel mehr überrascht hat mich aber, dass die Priorität des Themas Work-Life-Balance gleich hoch geblieben ist. Also Ethik kippe ich kurzfristig über Bord, doch die Work-Life-Balance muss stimmen. Das hätte ich genau umgekehrt erwartet, nach dem Motto, okay, wir müssen jetzt einen Zahn zulegen und treten dafür im Privatleben kürzer.

Keynote-Vortrag an der Personal Swiss

Matthias Mölleney:
Die Zukunft der Arbeitswelt

Mittwoch, 6. April 2011
15.40 bis 16.50 Uhr
Forum 4

Weitere Informationen zur Messe unter
www.personal-swiss.ch.

„Ich darf und will mein Privatleben nicht für den Beruf aufgeben“ – das ist jetzt also fest in den Köpfen verankert?

Ja, genau. Einerseits ist das ein gesellschaftlicher Trend, andererseits verschwimmen in vielen Branchen und Berufen – vor allem bei den Dienstleistungen und Wissensberufen – die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben. Dieses Problem ist der kommenden Generation bewusst, und sie legt offenbar Wert auf eine klare Regelung. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible Arbeitszeiten, Arbeitsformen oder auch reduzierte Arbeitspensen für Führungskräfte sind ganz klar Megathemen der nächsten Jahre.

Flexible Arbeitszeiten an sich führen aber nicht zwangsläufig zu einer Entlastung. Engagierte Menschen sind verleitet, immerzu zu arbeiten – im Büro und zu Hause. Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Die neue Generation muss mit den Arbeitgebern aushandeln, was Flexibilität bedeutet: Was sind wir bereit zu geben, was gebt ihr uns dafür? Bei Berufen, in denen sich der Fachkräftemangel bereits massiv bemerkbar macht, liegt der Machthebel jetzt schon auf Seiten der Bewerber. Ein mittelgrosses Spital in meiner Region hat beispielsweise grosse Probleme bei der Rekrutierung von Ärzten. An einen Schweizer wagt man gar nicht mehr zu denken, aber selbst der deutsche Markt ist ziemlich ausgetrocknet. Ein qualifizierter Bewerber könnte also im Prinzip diktieren, wann und wie er arbeiten will.

Dem Fachkräftemangel und demografischen Wandel zum Trotz gibt es immer noch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wie geht das zusammen?

Man hat in Europa jahrzehntelang zugeschaut, wie Jugendliche falsch qualifiziert werden. In Ländern ohne duales Berufsbildungssystem, wie es in Deutschland oder der Schweiz Tradition hat, ist die Lage tendenziell noch prekärer. Die jungen Leute sind dabei nicht schlechter ausgebildet – Spanien zum Beispiel hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 33 Prozent und zugleich die höchste Akademiker-Quote. Nur, wenn Sie einen Schreiner brauchen, nützt es Ihnen nichts, wenn einer Holzwirtschaft studiert hat. Das ist das Problem.

Es braucht einen intensiveren Dialog zwischen den Bildungsverantwortlichen und der Politik. Zu wenig gehört werden auch die Anbieter von Arbeitsplätzen. Wenn das über Jahre so läuft, bilden Sie eine grosse Anzahl von Menschen aus, die nirgends unterkommen, weder direkt nach der Ausbildung noch später. Das Problem ist ja kein quantitatives, sondern ein qualitatives: Eine zu grosse Zahl junger Leute ist falsch qualifiziert. Gleichzeitig traut sich niemand, ihnen zu sagen, die letzten vier Jahre könnt ihr komplett streichen, ihr müsst noch mal ganz von vorn anfangen. Stattdessen versucht man es mit Anpassungsmassnähmchen, die möglichst wenig kosten. So entsteht ein Sockel an Arbeitslosen, der immer grösser wird.

Hinzu kommt das Problem der temporär Arbeitslosen. Wieso gibt es in Deutschland einen riesengrossen Ingenieurmangel und gleichzeitig arbeitslose Ingenieure? Aus meiner Sicht liegt es daran, dass die nachrückende Generation zunächst nur ABB, BMW, Daimler und andere bekannte Konzerne ansteuert. Die jungen Leute glauben, wenn sie es zu etwas bringen wollen, gehören diese Superbrands in ihren Lebenslauf. Es gibt leider zu wenig Kontakt zum Mittelstand.

Die Studienabgänger sind also lieber arbeitslos als bei einem Mittelständler beschäftigt?

Zunächst schon. Wenn sie mit ihrer fünften Top-Bewerbung scheitern, orientieren sie sich neu und schauen sich auch nach Stellen in mittelständischen Betrieben um. Bis dahin sind einige vorübergehend arbeitslos – nicht auf Dauer, wie diejenigen im Sockel.

Was kann der Mittelstand tun, um nicht als zweite oder dritte Wahl zu gelten?

Eine Riesenchance bieten die Social Media. Eine Webseite mit Stellenangeboten, wie sie viele Mittelständler haben, genügt eindeutig nicht. Auch wenn auf einer Hochschulmesse verkündet wird, es gibt 5.000 mittelständische Betriebe mit freien Stellen, bringt das wenig. Die Studenten wollen zu einer Firma, die sie kennen. Von den Big Shots haben sie eine feste Vorstellung, von den kleineren Betrieben wissen sie in der Regel nichts. Mittelgrosse oder kleine Betriebe müssen also anders mit dieser Zielgruppe kommunizieren.

Und das geht am besten über das Internet?

Wer heute ein Ingenieursstudium absolviert, ist ein Digital Native. Das ist die erste Generation, die seit dem Kindergarten mit dem Internet vertraut ist. Natürlich muss man die Social Media richtig einsetzen und dort Zeit und Kapazität hineinstecken. Aber was ist besser: Zu wenig Ingenieure haben und nicht wachsen können oder jemanden anstellen, der sich auf die Kommunikation mit dieser Zielgruppe versteht?

Ist das eine europaweite Entwicklung oder ticken die Jugendlichen regional unterschiedlich?

Gedanklich sind die Grenzen schon lange gefallen. Die Mobilitätsbereitschaft ist jedoch unterschiedlich gross. Mein Eindruck ist, dass sie in der Schweiz erst in jüngerer Zeit wächst. Noch vor sechs Jahren, als ich bei Unaxis war, sind wir zur Besetzung von Ingenieursstellen im Rheintal schon nicht mehr an die ETH in Lausanne gefahren. Denn sobald vom Produktionsstandort die Rede war, hatte sich die Sache erledigt. Wenn wir im Dreieck zwischen Stuttgart, München und Konstanz rekrutiert haben, haben wir hingegen säckeweise Bewerbungen bekommen.

Sie waren lange Zeit Personalchef in namhaften Unternehmen. Sind die Ansprüche an das Personalfach gewachsen?

Ganz klar, es wird heute mehr vom Personalmanagement erwartet. Es soll eine gestaltende, strategische Rolle spielen. Früher sollten Personaler vor allem pünktlich die korrekten Löhne auszahlen, die Sozialversicherung abführen und dafür sorgen, dass die Angestellten einen ordentlichen Arbeitsplatz vorfinden. Das ist weiterhin unverzichtbar, aber es kommt weit mehr hinzu. Auf einem Entwicklungspfad dargestellt, ist die erste Stufe Administration. Die muss einfach perfekt sein. Dann kam das Thema Gestaltung, Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen hinzu. Neben ihrer Rolle als Administratoren hat HR Mediationsfunktion übernommen: Personaler müssen zwischen den Interessen der Shareholder und denen der Angestellten vermitteln. Die dritte Phase bezieht sich, on top, auf das Thema Talentmanagement, also Mitarbeiter fördern und entwickeln. Sie geht jetzt über in die vierte, strategische Phase. Nun soll HR so strategisch in die Unternehmensleitung eingebunden sein, dass es weiss und mit entscheidet, wie sich die Firma und die Branche entwickelt, und daraus schliesst, welche Talente – nicht heute oder morgen, sondern in fünf, zehn Jahren – gebraucht werden.

Wie kann HR diese Schlüsselrolle einnehmen?

Die Vorbereitung darauf wäre, diese Schlüsselrolle überhaupt zuzulassen, dem Thema Personal genug Raum zu geben. Seitens HR verlangt es nach zusätzlicher Kompetenz. Ein Personalchef muss einen Businessplan genauso lesen und schreiben können wie die anderen GL-Mitglieder. Das macht die Sache anspruchsvoller, aber auch attraktiver.

Sind die heutigen Anwärter für diesen Job ausreichend qualifiziert?

Nein, noch nicht genügend viele. Viele HR-Leute befinden sich noch weiter vorn auf diesem Zeitstrahl, beschäftigen sich mit Verwaltung, Mediation und Entwicklung. Die wenigsten von ihnen besitzen strategische, betriebswirtschaftliche Kompetenzen, wie es in einer Leitungsfunktion erwartet wird. Diese Kompetenzen sollten sie jetzt erwerben. Denn die vieldiskutierte Variante, einfach Linienchefs, also erfahrene divisionale Führungskräfte, zu Personalchefs zu machen, funktioniert auch nicht perfekt. Sie decken dann höchstens den strategischen Teil ab, aber nicht die anderen Bereiche.

Ein Dilemma…

Genau. Deshalb bieten wir an der HWZ ab Mai einen neuen Studiengang an, in dem wir Interessenten, die das Personalgeschäft über die drei Stufen gut beherrschen, betriebswirtschaftliche und strategische Kenntnisse vermitteln. Also gezielt General Management für HR-Leute. Im dritten Semester geht es dann um Innovationen im Personalmanegement.

Aus dem aktuellen Programm der Personal Swiss geht hervor, dass sich die HR-Abteilung neuerdings auch mit dem Thema Gesundheitsmanagement befassen muss. Ja, das ist zwar nicht neu, aber dieses Thema wird gerne delegiert. Da können Sie sich im Verwaltungsrat keine Lorbeeren mit verdienen, aber es sollte unbedingt gemacht werden.

Laut Ihren Ausführungen zur FutureWork Studie wird es die nächste Generation einfordern.

Nicht nur die! Die Demografie wird ganz Mitteleuropa dazu zwingen. Denn das demografische Problem lässt sich definitiv nur auffangen, wenn wir die Lebensarbeitszeit verlängern.

Können Handwerker denn bis 70 schaffen?

Genau das ist der Punkt. Wenn ich weiss, dass ich den qualifizierten Spezialisten auch noch mit 68 brauche, dann muss ich mich mit Gesundheitsmanagement beschäftigen. Heute ist es noch sein Problem, wenn er mit 55 nicht mehr kann. In Zukunft ist es problematisch für das Unternehmen, weil es keinen Ersatz findet.

Findet bereits ein Umdenken statt?

In der Schweiz ist das noch nicht überall in den Köpfen angekommen. Viele Schweizer Arbeitgeber haben immer noch das Gefühl, dass es genügend Stellenanwärter gibt – wenn nicht hierzulande, dann aus den Nachbarländern. Das muss aber nicht so bleiben und es wird gesellschaftlich auch immer weniger toleriert.

Betrifft das auch die deutschen Einwanderer?

Zum Teil leider schon. Im Aufschwung der letzten zehn Jahre wurden sie massiv ins Land geholt, man hat aber nicht darauf geachtet, sie kulturell zu integrieren. Die Deutschen ihrerseits haben den Fehler gemacht, die kulturellen Unterschiede zu unterschätzen.

Letzte Frage: Sie werden die Nachfolge von Max Becker in der ZGP antreten …

Sagen wir besser, Ende März ist die Wahl. Ob ich tatsächlich gewählt werde, weiss ich noch nicht. Der Vorstand schlägt aber nur einen einzigen Kandidaten vor (lacht).

Was reizt Sie an dieser Funktion?

Genau das, was wir gerade besprochen haben. Wir müssen erstens die HR-Funktion weiterentwickeln – nach heutigem Stand in Richtung strategischer Einfluss. Zweitens müssen wir weg von der Diskussion, ob HR in die Geschäftsleitung integriert werden soll oder nicht, denn das ist nur eine Machtfrage. Mich interessiert aber viel mehr die Einflussfrage: Wie kriegen wir es hin, dass HR an Einfluss gewinnt – ob Personaler in einem bestimmten Gremium sitzen oder nicht, ist dabei eher zweitrangig. Die dritte Frage ist, wie wir die HR-Funktion auch im Bewusstsein der externen Stakeholder stärken können. Externe erwarten mit Sicherheit mehr Antworten von der Personalfunktion. Wenn zum Beispiel eine Debatte über Manager-Boni entbrennt, muss sich die HR-Community dazu äussern und nicht hoffen, dass sie nicht konkret gefragt wird.

Gruppen wie die ZGP sind genau dazu da: HR positionieren, die Funktion weiterentwickeln und dafür sorgen, dass genügend Qualifizierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die ZGP veranstaltet zu diesem Zweck ja eigene Seminare, Kongresse oder Konferenzen. Das ist mir wirklich wichtig, und ich freue mich sehr auf diese Aufgabe.

Zur Person:

Matthias Mölleney, geboren 1960 in Fulda, absolvierte nach seinem Abitur und Grundwehrdienst eine Ausbildung zum Luftverkehrskaufmann. Anschliessend sammelte er langjährige Erfahrungen in verschiedenen Positionen bei der Lufthansa, bevor er als Konzernpersonalchef für die Swissair tätig wurde. Von 2002 bis 2003 wirkte er als Mitglied in der Konzernleitung und als Konzernpersonalchef bei Sulzer Medica, von 2003 bis 2005 besetzte er eben diese Positionen bei Unaxis. Ende 2005 gründete Mölleney die Unternehmensberatung peopleXpert.

Das Interview führte Petra Jauch, Pressereferentin von spring Messe Management

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