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Service

Quelle: Interview mit Frau L., Berufsberaterin in der DDR

Quelle: Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968

Quelle: Anordnung über die Bewerbung um eine Lehrstelle – Bewerbungsordnung vom 5. Januar 1982 



Fotocredit: Lichtkunst 73 / www.pixelio.de

Berufsberatung: Zwischen Plan-
zahlen und Berufswunsch

Frau L. arbeitete für die Abteilung Berufsbildung und Berufsberatung beim Rat des Kreises Leipzig. Die Kreisplankommission gab die Planzahlen an die jeweiligen Betriebe weiter, die daraufhin ihre Lehrstellen nach den benötigten Berufen einteilten. Dabei wurde festgelegt, welcher Abschluss für welche Lehrstelle gebraucht wurde. Dazu kam die Trennung nach männlichen und weiblichen Berufen, die auch im Verzeichnis festgelegt wurden. Frau L. erfasste ab der 7. Klasse die Berufswünsche der Schüler. Der Bedarf der einzelnen Betriebe war zu diesem Zeitpunkt schon in einem Lehrstellenverzeichnis angelegt. Im Frühjahr wurden diese Verzeichnisse in die Schulen gegeben, um den Schülern die Möglichkeit zur Orientierung zu bieten. Bereits im Oktober mussten die Jugendlichen entscheiden, für welchen Ausbildungsberuf sie sich bewerben. Am Ende des Jahres hatte nahezu jeder Schüler eine Ausbildungsstelle. Das Versprechen sich um die Berufswünsche der Schüler zu kümmern, war aber oft dem tatsächlichen Bedarf der Betriebe unterworfen. Ganze 75% der Schüler wurden zu Facharbeitern, um die vorgeschriebenen Planzahlen und die damit verbundenen Lehrstellen in den Betrieben erfüllen zu können. Besonders beliebt und damit immer überlaufen waren die sogenannten Trinkgeldberufe, wie zum Beispiel Kellner oder Friseur. Der Beruf des Fachverkäufers gehörte auch zu den Favoriten, da er Tauschgeschäfte ermöglichte. Monotone Arbeit oder auch Schichtarbeit hingegen, wie der Facharbeiter für Werkzeugmaschinen fand bei den Jugendlichen keinen großen Anklang.

Quellenbeleg:

In dem Artikel 24 (4) der Verfassung heißt es: (…) Alle Jugendlichen haben das Recht und die Pflicht, einen Beruf zu erlernen.

Information und Bewerbung


Um die Schüler besser über die einzelnen Berufe zu informieren, gab es die Interessentenveranstaltungen. Diese  fanden zum Teil direkt in den Betrieben statt. Durch die Erfassung der Berufswünsche konnten Rundgänge durch die Betriebe organisiert werden. Ausbilder oder Lehrverantwortliche stellten währenddessen die unterschiedlichen Berufe vor. Den größten Lehrstellenanteil gab es immer in der Produktion, doch wurden laut Frau L. alle Berufe gleichermaßen vorgestellt. Gab es zu viele Bewerber für einen Beruf mussten sich die Schüler umorientieren. Im Herbst erfolgte die Bewerbung durch eine Bewerberkarte, die die Schüler von der Schule erhielten. Diese Bewerberkarte wurde dann mit den Bewerbungsunterlagen eigenständig von den Jugendlichen in die Betriebe geschickt. Dieses Bewerbungsverfahren fand in der ganzen DDR zur gleichen Zeit statt. Vier Wochen durfte der Auswahlprozess dauern, bevor sich die Betriebe für die Lehrlinge entscheiden mussten. Für die Entscheidungsfindung musste jeder Betrieb eine Kommission bilden, die von dem Leiter des Betriebes oder einem Leiter des Fachbereiches geleitet wurde. Auch Berufsberater, wie Frau L, nahmen an den Kommissionen teil. Diejenigen, die eine Absage erhielten, bekamen ihre Bewerberkarte zurück und bewarben sich im nächsten Betrieb. Die Planzahlen waren so veranschlagt, dass jeder Schüler eine Lehrstelle erhielt. Niemand musste die Zeit bis zur nächsten Lehrstelle überbrücken oder zeitweise einer Nebenbeschäftigung ohne Ausbildung nachgehen.

 

Die Vor- und Nachteile der Planzahlen

Frau L erweckt während des Interviews nicht den Eindruck, dass sie dem Konzept der Planzahlen kritisch gegenüber steht. Vielmehr bewertet sie es positiv, dass jeder Jugendliche eine Ausbildung erhielt. Dass es natürlich nicht immer der Traumberuf sein konnte, sieht Frau L. realistisch – auch heutzutage werden nicht alle Wünsche erfüllt. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu früher viele Jugendliche nicht über die Ausbildungsvielfalt informiert wären. Was heute mit viel Eigeninitiative verbunden ist, wurde damals durch die Berufsberater größtenteils übernommen.

Dennoch äußert sie auch Kritikpunkte: Jugendliche, die besonders talentiert waren oder über gute Beziehungen verfügten, mussten sich nicht an die Berufsberater wenden, sondern konnten sich eigenständig für ihre Ausbildung entscheiden.
Auch das Wissen der Schüler, das sie bereits vor Schulabschuss einen festen Ausbildungsplatz  innehatten, war für Frau L eher bedenklich, da die Lernmotivation daraufhin oft abflaute.

Bildung und Beruf


Diese polytechnische Bildung, die für jeden Schüler Pflicht war, sollte das Auseinanderdriften von Theorie und Praxis verhindern. Einen hohen Stellenwert hatten die Naturwissenschaften und der große Praxisanteil, der unter anderem aus einem „Unterrichtstag in der Produktion“ bestand. Die Jugendlichen sollten frühzeitig mit den Prinzipien und Abläufen der Arbeitswelt vertraut gemacht werden. Die Zulassung zum Abitur in der Erweiterten Oberschule (EOS) hingegen gestaltete sich schon schwieriger, da oft nicht die Leistung des jeweiligen Schülers ausschlaggebend war, sondern vielmehr die soziale Herkunft oder die politische Haltung.

Quellenbeleg:

In dem Artikel 24 (1) der Verfassung heißt es: Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. (…) Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche haben das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung.

Am 6. April 1968 trat die neue Verfassung der DDR in Kraft, die jedem Bürger das Recht auf einen Arbeitsplatz zusicherte. Um dies zu gewährleisten, mussten die Bildungswege der Jugendlichen bereits früh koordiniert werden. Die sozialistische Planwirtschaft mit den dazugehörigen Planzahlen ermöglichte eine kontrollierte Planung der Ausbildungs- und Karrierewege. Die Betriebe bekamen eine bestimmte Anzahl von Lehrstellen  zugeschrieben, die sie wiederum in Berufe einteilten, die sie benötigten. Die neue Verfassung versprach gleichzeitig jedem Jugendlichen, ihn bei der Berufswahl tatkräftig zu unterstützen. An dieser Stelle kamen die Berufsberater ins Spiel. In einem Interview mit dem MDR hat eine ehemalige Berufsberaterin der DDR Einblicke in ihren Arbeitsalltag gegeben. Frau L., wie sie im Interview genannt wird, erklärt wie sie die Jugendlichen beraten hat und wie die Vermittlung zwischen den Betrieben und den potentiellen Lehrlingen aussah.

Quellenbeleg:

Im Artikel 25 (1) der Verfassung heißt es: Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das gleiche Recht auf Bildung. Die Bildungsstätten stehen jedermann offen. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem gewährleistet jedem Bürger eine kontinuierliche sozialistische Erziehung, Bildung und Weiterbildung.