Problempunkt

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Foto von Georgie Cobbs

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte zu beurteilen, ob das Verhalten eines Vorgesetzten als Mobbing zu qualifizieren ist und ob der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die Zahlung von Schmerzensgeld und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Vorgesetzten verlangen kann.

Geklagt hatte ein Oberarzt, der als kommissarischer Leiter der neurochirurgischen Abteilung in der Klinik der Beklagten beschäftigt war. Seine Bewerbung um die Chefarztstelle blieb erfolglos. Die Beklagte stellte einen externen Bewerber ein. Von diesem Chefarzt fühlte sich der Kläger gemobbt. Ein von der Beklagten ini – tiiertes Konfliktlösungsverfahren hatte keinen Erfolg. In der Folgezeit war der Kläger wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig.

Mit seiner Klage verlangte der Oberarzt, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Chefarzt beendet, hilfsweise, dass sie ihm einen anderen gleichwertigen Arbeitsplatz anbietet, an dem er keinen Weisungen des Chefarztes unterliegt. Außerdem verlangte er Schmerzensgeld, da seiner Ansicht nach die Beklagte dafür hafte, dass der Chefarzt durch Mobbing sein Persönlichkeitsrecht verletzt habe.

Die Beklagte hat Mobbinghandlungen des Chefarztes bestritten und erklärt, sie habe alles in ihrer Macht Stehende getan, um das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Chefarzt zu entspannen. Eine andere adäquate Tätigkeit für den Kläger sei nicht vorhanden gewesen.

Entscheidung

Das BAG sah das Schmerzensgeldverlangen des Klägers als begründet an. Zwar ist Mobbing kein Rechtsbegriff und damit als solches auch keine Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeit – geber. Jedoch ist anhand des Einzelfalls zu prüfen, ob durch die Mobbinghandlungen konkret arbeitsrechtliche Pflichten oder absolut geschützte Rechte des Mitarbeiters, etwa die Gesundheit oder das Persönlichkeitsrecht, verletzt wurden.

Für die Frage, wann eine solche Verletzung durch Mobbing vorliegt, ist auf die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zurückzugreifen. Der dort umschriebene Begriff der „Belästigung“ bezieht sich zwar lediglich auf Benachteiligungen aus den im AGG genannten Gründen. Er lässt sich jedoch auf Mobbing – gleich aus welchen Gründen – übertragen. § 3 Abs. 3 AGG stellt darauf ab, ob ein durch „Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“. Ein solches entsteht aber nicht durch ein einmaliges, sondern nur durch ein fortdauerndes Verhalten. Daher ist Mobbing nur eine systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen bzw. Verhaltensweisen zusammensetzende Verletzung.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ging das BAG in dem zu entscheidenden Fall von einer verschuldeten Verletzungshandlung des Chefarztes aus. Die Mobbinghandlungen sind dem Arbeitgeber gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zuzurechnen. Danach haftet er für schuldhafte Rechtsgutsverletzungen von Vorgesetzten, sofern sie mit der betrieblichen Aufgabenerfüllung zusammenhängen. Außerdem verstößt ein Unternehmen, das Mobbing nicht unterbindet, möglicherweise gegen seine Fürsorgepflicht. Daher haftet es auch aufgrund eigenen Verschuldens. Es ist verpflichtet, die Arbeitnehmer vor Belästigungen durch Vorgesetzte und Kollegen zu schützen.

Ein Anspruch auf Kündigung des Chefarztes zur Beseitigung der Konfliktsituation bestand nach Ansicht des BAG jedoch nicht. Es obliegt grundsätzlich dem Arbeitgeber, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Eine bestimmte Handlung kann der Mitarbeiter nur verlangen, wenn andere verhältnismäßige Mittel nicht bestehen. Insoweit gilt § 12 Abs. 3 AGG analog. Das Unternehmen muss die ihm zumutbaren und im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen, um die Benachteiligung zu unterbinden, ergreifen. In Betracht kommen Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung. Im vorliegenden Fall ist eine Kündigung des Chefarztes unverhältnismäßig und dem Arbeitgeber unzumutbar gewesen.

Konsequenzen

Bei der Beurteilung, ob Mobbing vorliegt, können Unternehmen künftig auf die Definition in § 3 Abs. 3 AGG zurückgreifen. Die gesetzliche Regelung entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem bislang bereits verwendeten Mobbingbegriff. Das BAG zeigt auf, welche Konsequenzen Mobbing durch Vorgesetzte für den Arbeitgeber hat. Zwar kann der Arbeitnehmer nur ausnahmsweise die Kündigung des Schädigers verlangen. Jedoch haftet das Unternehmen grundsätzlich für schuldhafte Mobbinghandlungen von Vorgesetzten.

Praxistipp

Die Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber durchaus für das Verhalten der Vorgesetzten die Verantwortung tragen. Unternehmen sollten Führungskräfte daher im Rahmen von Schulungen bezüglich etwaiger Mobbingkonstellationen sensibilisieren. Hierin liegt ein erster Schritt, um daraus resultierende Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zu vermeiden.

RAin und FAin für Arbeitsrecht Dr. Susanne Giesecke, Heisse Kursawe Eversheds, München

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi – 7/08