3 | Problemfelder bei Altregelungen

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Zwecks rechtzeitiger Identifizierung der maßgeblichen Problemfelder empfiehlt es sich, in einem frühen Stadium des Harmonisierungsprozesses zunächst eine Übersicht über die rechtlich relevanten Themenkomplexe zu erstellen. Dies schließt nicht nur die Frage ein, zu welchen Bereichen überhaupt Regelungen existieren (was zumeist recht schnell beantwortet ist), sondern auch, auf welcher Rechtsgrundlage diese gelten. Häufig fallen in diesem Zusammenhang Regelungen ins Auge, die historisch schon seit Jahrzehnten „gelebt“ wurden, obwohl ihr Rechtsgrund (z. B. zeitlich befristete Betriebsvereinbarung) in der Vergangenheit entfallen ist. Ob ein Vergütungsanspruch aber auf Grundlage vertraglicher Zusage, betrieblicher Übung oder Betriebsvereinbarung besteht, spielt eine entscheidende Rolle für die rechtliche Umsetzung einer Ablösung dieser Vergütungskomponente.

Zur adäquaten Risikoanalyse ist es weiter erforderlich, Rechtsprobleme in bestehenden Regelungen zu identifizieren und zutreffend zu bewerten. Das Augenmerk sollten die Verantwortlichen insoweit insbesondere auf folgende „typische“ Problemfelder lenken:

›› Gibt es im Falle von vertraglichen Verweisungen auf externe Dokumente („Pläne“, Bonusprogramme u. Ä.) Verwerfungen aufgrund suboptimaler Vertragsgestaltung? Häufig sind widersprüchliche (und daher potenziell AGB-rechtlich problematische) Aussagen im Arbeitsvertrag und externen Dokumenten zur Frage, ob die Leistung freiwillig ausgestaltet wird oder ein Anspruch besteht, ob sie widerruflich ist oder nicht. Derartige Widersprüche verbergen sich häufig auch in auf den ersten Blick unscheinbaren Regelungen; so dürfte ein vertraglich als „freiwillig“ bezeichneter Bonus, auf den es laut Bonusrichtlinie aber „Vorauszahlungen“ ohne jeglichen Vorbehalt gibt, im Endergebnis nicht so freiwillig ausgestaltet sein, wie vom Arbeitgeber erhofft.

›› Sind etwaige Widerrufsregelungen hinreichend bestimmt und transparent? Insbesondere die in der Praxis häufig anzutreffenden (Teil-) Widerrufsregelungen für den Fall wirtschaftlich nachteiliger Entwicklungen des Unternehmens erschöpfen sich häufig in abstrakten und interpretationsoffenen Formulierungen. Erforderlich wären hingegen zumindest klare Anknüpfungspunkte (z. B. an die wirtschaftliche Entwicklung), besser noch: klar definierte Rahmenbedingungen, bspw. ein Einbruch von Wirtschaftskennzahlen, wie Umsatz oder Gewinn, um einen bestimmten Prozentsatz. Derartige Festlegungen scheuen die meisten Arbeitgeber jedoch in der Praxis.

›› Stimmen die Berechnungsregeln – sofern definiert –
mit dem Leistungszweck überein?

›› Honoriert die Vereinbarung Leistung, Betriebstreue oder handelt es
sich um eine (nach früherer Terminologie) „Mischprämie“?

›› Gibt es Rückzahlungsobliegenheiten? Lassen sich diese überhaupt
wirksam vereinbaren oder steht dem der Charakter einer Prämie entgegen,
wenn diese (zumindest auch) Leistung honoriert?

›› Sind Bindungsfristen für die Vergütung vorgesehen? Sind diese wirksam
vereinbart oder beschränken sie die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers
in unzulässiger Weise?

›› Sofern die Bonusregelungen Ermessensspielräume einräumen, ist dies in zulässiger Weise geschehen? Problematisch können in diesem Zusammenhang etwa im Ermessen des Arbeitgebers stehende unterjährige Zielanpassungen sein, wenn man nicht gleichzeitig die erwartete Zielerreichung anpasst. Weiter stellen sich Probleme im Zusammenhang mit unterjährigen Änderungsvorbehalten oder der Bestimmung von Zielerreichungsgraden durch die Geschäftsführung, abweichend von der tatsächlichen Zielerreichung.

4 | Gestaltungsmöglichkeiten bei Neuregelungen

Auch bei der Neuregelung gibt es wieder eine Vielzahl von Faktoren zu beachten. Hierbei geht es einerseits darum, das Vergütungssystem zweckorientiert und leistungsgerecht aufzusetzen, zum anderen müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet werden.

Jedoch lassen sich nicht in jeder Situation alle diese Ziele beliebig kombinieren. Das BAG hat über jahrelange Rechtsprechung ein relativ starres Gerüst an Regeln installiert, welches die Gestaltungsfreiheit der Unternehmen begrenzt. In aller Kürze zusammengefasst, lassen sich folgende Maßgaben ableiten:


Leistungsprämien führen zu verdientem Arbeitslohn und sind deshalb ratierlich zu gewähren; sie können grundsätzlich nicht mit Stichtagsklauseln kombiniert werden. Ob dies auch gilt, wo – mit einer älteren Rechtsprechung des BAG – Jahresziele vereinbart sind, deren Zielerreichung unterjährig nur mit unzumutbarem Aufwand festgestellt werden können, ist derzeit noch offen, dürfte jedoch allenfalls noch vorübergehend Argumentationspotenzial bieten.

Insbesondere mittel- und langfristige Vergütungssysteme („Long Term Incentive Plans“), die auf Leistung basieren, aber Verfalls- bzw. Rückzahlungsklauseln vorsehen, wenn ein Arbeitnehmer vor einem Stichtag ausscheidet, sind vor diesem Hintergrund sehr kritisch zu betrachten und sorgfältig auszugestalten.

Reine Betriebstreueprämien lassen sich nach wie vor mit Stichtagsklauseln kombinieren. Jedoch sind die früher häufig verwandten „Mischprämien“, die (auch) Leistung honorieren, rechtlich wie Leistungsprämien zu behandeln, was den Anwendungsbereich stark einschränkt.

Praxistipp

Aus Sicht der Praxis haben sich folgende Systeme bewährt: Man vereinbart Kombinationen aus individuellen Leistungszielen, Teamzielen sowie unternehmensbezogenen Zielen. Reine Betriebstreue wird kaum noch honoriert. Neben wirtschaftlichen Zielen – wie Umsatzerfolgen oder EBIT-Rahmendaten – treten auch zunehmend Qualitätsziele (etwa die Senkung der Kundenbeschwerden im Bereich X um Y %) in den Fokus. Die Zahlung einer variablen Vergütung steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass überhaupt ein Bonustopf von Seiten des Unternehmens festgesetzt und gleichzeitig durch dessen Volumen begrenzt wird. Die Festsetzung des „Topfes“ wiederum unterliegt dem billigen Ermessen der Leitungsorgane der Gesellschaft.

Für langfristiger orientierte Systeme werden die „verdienten“ Bestandteile häufig virtualisiert – sie haben also keinen unmittelbaren Vermögenswert – und über mehrere Jahre miteinander verrechnet. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wandelt sich die „virtuelle“ Vergütung in tatsächliche Vermögenswerte um.

5 | Wahl des richtigen Mittels zur Neugestaltung

Geht es an die Umsetzung der Harmonisierung, stellt sich regelmäßig dieFrage, welche Mittel hierfür überhaupt zur Verfügung stehen. Dies unterscheidet sich je nach dem Regelungscharakter der bestehenden Vergütungssysteme sowie der Neuregelungen:

›› Sofern tariflich ausgestaltete Systeme vorliegen (praxisrelevant z. B. im Fall von Haustarifverträgen), ist eine (absenkende) Harmonisierung regelmäßig unmöglich, es sei denn durch (neuen) Tarifvertrag.

›› Betriebsverfassungsrechtliche Regelungen lassen sich durch neue Regelungen ablösen. Im Falle der kollektiven Fortgeltung von Regelungen nach einem Betriebsübergang ist dies nach der Zeitkollisionsregel denkbar. Gelten betriebsverfassungsrechtliche Regelungen jedoch als arbeitsvertragliche Regelungen mit kollektivem Bezug gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fort, unterliegen diese einer einjährigen Veränderungssperre für absenkende Regelungen. Lediglich im seltenen Sonderfall nach Satz 4 kann diese Frist verkürzt werden. Selbst nach Ablauf eines Jahres aber kann man eine (individuelle) benachteiligende Ablösung nur mit Zustimmung des Betriebsrats herbeiführen (BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 1 AZR 642/13).

›› Individuelle Zusagen (sowohl direkter Art, d. h. vertragliche Zusagen, als auch indirekter Art qua Bezugnahme auf Bonusprogramme oder „Incentive Plans“) lassen sich in den vorbenannten Grenzen einvernehmlich ablösen. Häufig wird versucht, unter dem mehr oder weniger berechtigten Aspekt der Unterzeichnung eines neuen, unternehmensüblichen Standardvertrags gleichzeitig eine Ablösung der Altvergütungssystematik zu erreichen. Bedingt dies aber eine Verschlechterung (und wird dieses Vorgehen offensichtlich), führt dies regelmäßig zu größeren Problemen, als wäre die Änderung von vorneherein offenkundig gemacht worden.

›› Schließlich gibt es für individuelle Zusagen noch die Möglichkeit einer Änderungskündigung unter den Voraussetzungen des § 2 KSchG. Jedoch stellt der bloße Gleichbehandlungswille des Arbeitgebers kein dringendes betriebliches Erfordernis für eine solche Kündigung dar (BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 2 AZR 292/01), weshalb der Anwendungsbereich dieses Mittels auf Ausnahmen beschränkt bleiben dürfte.

6 | Zusammenfassung und Fazit

Harmonisierungsprozesse werden häufig „verschlafen“. Wenn man sieangeht, unterschätzt man trotz einer hohen Zeit- und Ressourceninvestition oft, welche entscheidende Rolle ein erfolgreiches Kommunikationskonzept und „Change Management“ spielen. Um der Gefahr einer mangelnden Akzeptanz entgegenzuwirken, sollten Führungsebenen, Mitarbeiter und den Betriebsrat frühzeitig einbezogen werden. Eine Neuregelung des Vergütungssystems gilt es im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zweckorientiert und leistungsgerecht zu konzipieren. Hierzu stehen unterschiedliche Mittel zur Verfügung, abhängig vom Regelungscharakter der Neuregelung sowie des bereits bestehenden Vergütungssystems. In diesem Zusammenhang ist es allerdings unerlässlich, sich vorab mit den Problemfeldern der Altregelung auseinanderzusetzen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass nicht rechtliche Risiken aus den Altregelungen mit in die „neue Welt“ transportiert werden.

Mit einer sorgfältigen rechtlichen Flankierung und unter Beachtung der aktuellen Erkenntnisse zur Gestaltung von Vergütungssystemen, steht der erfolgreichen Durchführung eines Harmonisierungsprojekts dann nichts mehr im Wege.

Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht | 2 | 2016 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

Praktisch seltener sind die Fälle, in denen HR-seitig der Anstoß geliefert wird, da die Probleme in der Handhabung mehrerer gleichlaufender unterschiedlicher Vergütungssysteme überhand nehmen. Aber auch äußere Faktoren können einen Veränderungswunsch in der Vergütungssystematik hervorrufen, wenn etwa gesellschaftliche Trends oder wissenschaftliche Erkenntnisse zu neuen Modellen führen. Schließlich kommen Wechsel in der Unternehmensstrategie in Betracht, welche sich auf die Art und Weise der Incentivierung der Mitarbeiter auswirken. Wurde das variable Vergütungsmodell bspw. ursprünglich zur Motivation der Arbeitnehmer eingeführt, kann der Fokus zu einem späteren Zeitpunkt stärker auf dem Erreichen unternehmensstrategischer Ziele in bestimmten Einheiten liegen.

Ganz gleich, aus welchem Anlass das Thema auf die Tagesordnung rückt – die Probleme bei der Vereinheitlichung von Vergütungssystemen sind in rechtlicher, betriebs- und personalwirtschaftlicher sowie kommunikativer Hinsicht ähnlich. Erfahrungsgemäß lohnt sich der für eine Harmonisierung zu betreibende Mehraufwand aber i. d. R. auf mittlere bis lange Sicht.

1 | Die Ausgangssituation

Große Unternehmen und Konzerne müssen sich bedingt durch Betriebsübergänge, Fusionen und Zukäufe in der Praxis häufig mit heterogenen Vergütungsstrukturen auseinandersetzen. Gerade am Markt können sehr erfolgreiche Unternehmen oft wegen zu schnellen Wachstums oder der Erweiterung von Geschäftsbereichen den Prozess einer Post-Merger-Integration nicht zeitnah stemmen oder priorisieren diesen nicht hinreichend.

Das operative Arbeitsaufkommen bindet regelmäßig Kapazitäten so stark, dass eine Harmonisierung über Jahre hinweg verschoben wird – mit der Folge höherer Personalkosten sowie möglicher Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft.

Die Motivation, einen Harmonisierungsprozess dann doch noch anzugehen, ist vielfältig. In der Praxis häufig sind einerseits Maßnahmen einer neu eingesetzten Geschäftsführung, die (aus unternehmenspolitischen Gründen) einen schnellen Beweis ihrer Handlungsfähigkeit erbringen möchte – oder gar muss, weil sie Wege zur schnellen Senkung der laufenden Kosten finden muss, um die wirtschaftliche Existenz zu sichern.

2 | Kommunikation und „Change Management“

Eine entscheidende Rolle bei der Ablösung eines bestehenden Systemsbzw. dem Roll-Out eines neuen Systems kommt dem Change Management im Unternehmen zu. Regelmäßig scheitern neuartige Vergütungssysteme nämlich nicht an ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, sondern an der mangelnden Akzeptanz bei den Beschäftigten, Verständnishürden bei Führungskräften und Mitarbeitern und/oder der unzureichenden Kommunikation neuer Werte oder Ziele innerhalb des Unternehmens.

Klassische Fehler in diesem Zusammenhang sind:

›› Den Arbeitnehmern wird nicht erläutert, weshalb eine
   Änderung des Bonussystems erfolgen soll.
›› Human Resources oder die Führungskräfte verwenden aufgrund
   operativer Auslastung zu wenig Zeit auf die Information der Beschäftigten.
›› Führungskräfte werden aus Kosten- und Zeitgründen nicht hinreichend
   zu dem neuen Vergütungsmodell geschult und können daher ihrerseits
   keine integrative Wirkung entfalten. Wenn sie die Neuerungen nicht
   selbst erläutern können, kommt das Modell auch nicht bei den Mitarbeitern an.


Der absolute Regelfall dürfte sein, dass der Wechsel des Vergütungssystems nicht ein reines Mehr an Vergütung für (alle oder einzelne) Arbeitnehmer bedeutet, sondern dass gerade bei stark leistungsorientierten Systemen zumindest für bestimmte Gruppen auch ein niedrigerer Zielbetrag am Ende stehen kann als unter dem „bekannten“, alten System. Reflexartige Reaktion hierauf ist eine emotional geprägte Ablehnung und Befürchtung, dass der Arbeitgeber einen Eingriff in den bestehenden Besitzstand vornehmen möchte. Die betroffenen Beschäftigten verhalten sich bestenfalls defensiv, schlimmstenfalls aktiv abwehrend. Eine solche Blockadehaltung kann mancherorts die Einführung neuer Vergütungssysteme vollständig verhindern.

Weitere Gründe für ein Scheitern liegen häufig darin begründet, dass Betriebsräte, im Betrieb vertretene Gewerkschaften oder der Aufsichtsrat nicht hinreichend und frühzeitig eingebunden werden und entsprechend sichergestellt ist, dass sie die erforderlichen Umstellungen mittragen und die Akzeptanz in der Belegschaft erhöhen. Gerade im Zuge von Umstrukturierungen, bei denen Einschnitte für die Belegschaft auch mittelfristig eine adäquate Kostenstruktur und Beschäftigung sichern sollen, kann dieser Punkt nicht deutlich genug gemacht werden.

Praxistipp

Die sorgfältige Planung und kommunikative Begleitung einer Harmonisierung ist aufwändig, aber unumgänglich. Hierfür hat es sich bewährt, eine Projektorganisation aufzustellen und die Umsetzung einem multidisziplinären Team zu übertragen, welches aus den Bereichen Finanz- und Steuerwesen, Rechts- und Personalabteilung sowie Vergütungswesen („Comp & Ben“) gebildet wird und durch die Unternehmenskommunikation unterstützt wird. Federführend sollte ein Mitarbeiter mit herausgehobener Stellung im Unternehmen agieren, der die notwendigen Themen auch effektiv auf der Geschäftsführungs- bzw. Vorstandsebene platzieren kann.