Dr. Koch, glauben Sie tatsächlich, dass Weiterbildung nichts bringt?
Mein Buch bringt das sehr polarisiert und überspitzt auf den Punkt, weil es mir darum ging, aufzurütteln. Das Thema, das ich darin aufgreife, ist in der Weiterbildungslandschaft schon sehr lange bekannt: Viele Studien besagen, dass der Praxistransfer von Weiterbildung häufig nicht gelingt. Die Zahlen variieren je nach Untersuchung, liegen aber alle im Bereich zwischen 70 bis 80 Prozent der Fälle, in denen Weiterbildung nicht so glückt und die Teilnehmer nicht das umsetzen, was sie lernen sollen – aus verschiedenen Gründen. Diese Schwierigkeiten treten vor allem bei der Entwicklung von persönlichen und sozialen Kompetenzen auf, also bei Weiterbildung, durch die Mitarbeiter ihr Verhalten ändern sollen. Das Buch zeigt die verschiedenen Facetten auf, die dazu führen, und appelliert an die Leser: Ihr müsst genau hinschauen und Lösungen entwickeln.
Warum haben Sie das Buch damals inkognito geschrieben?
Ganz einfach: weil mein damaliger Auftraggeber nicht wollte, dass mein Name im Zusammenhang mit dem Buch auftaucht. Das hatte ich ursprünglich falsch eingeschätzt. Ich dachte, das könnte auch für dieses Unternehmen ein spannendes Thema sein. Aber da dem nicht so war, habe ich das Buch unter dem Pseudonym Richard Gris veröffentlicht. Ich hatte trotzdem immer vor, zu einem gegebenen Zeitpunkt das Geheimnis zu lüften, sobald die Rahmenbedingungen da sind. Das habe ich nun getan und jetzt kann ich hoffentlich das Thema weiter voranbringen, da alle, die es interessiert, direkt mit mir darüber diskutieren können.
Sie haben mit dem Buch ja nicht nur positive Resonanz ausgelöst, es gab heftige Kritik. Im August 2008 – also lange vor Ihrer Enthüllung – haben Sie selbst auf HRM.de einen Blog über „Die Weiterbildungslüge“ unter Ihrem richtigen Namen veröffentlicht. Sie schreiben da: „Als Trainer finde ich, dass dieses Buch eine ganze Branche in Schutt und Asche tritt.“ War das Ihre ehrliche Meinung?
„Nein. Ich habe diese Formulierung nur gewählt, um an den öffentlichen Tenor „„In-Schutt-und-Asche-treten“ anzudocken und damit die Überleitung zu Lösungen herzustellen. Denn darum ging es mir: geeignete Tools für das Problem „unwirksame Weiterbildung“ zu identifizieren. In dem Blog zeige ich auch ein Instrument auf, das ich selbst gut finde. Leider fühlte sicher aber keiner angesprochen, weitere konkrete Lösungen als Reaktion darauf zu nennen. Kritiker haben mir vorgeworfen, dass das Buch verkaufsschädigend für die Weiterbildungsbranche sei. Aber einige haben doch verstanden, dass es als Lösungsaufruf gemeint war und damit auch als Verkaufshilfe diente. Die Crux an der Sache ist nämlich: Es gibt viele Lösungen für nachhaltig wirksame Weiterbildung, aber oft dringen sie nicht durch.
Was sind aus Ihrer Sicht die Kardinalfehler, die nachhaltige Weiterbildung verhindern?
Es gibt viele Schauplätze, die daran schuld sind, dass Weiterbildung nicht so fruchtet, wie sie sollte. Es kommt immer wieder vor, dass Mitarbeiter Gelerntes in ihrer Berufspraxis gar nicht anwenden können. Sei es, dass Mitarbeiter sagen, ich soll zum Beispiel heute lernen, wie ich einen Bogen für Mitarbeitergespräche ausfüllen soll, aber das erste Mitarbeitergespräch habe ich erst in einem halben Jahr. Da fehlt einfach die zeitliche Nähe. Was auch immer wieder vorkommt, ist, dass jemand zu einer Weiterbildung geschickt wird, weil gerade noch ein Platz frei ist oder weil es ja nicht schaden kann. Wenn beispielweise jemand eine Betriebsverfassungsschulung macht, ohne konkreten Anlass, und er hinterher die Fachinformationen nicht verwendet und nicht reanimiert, geht sein Wissen diesbezüglich relativ schnell wieder gegen Null. Da ist dann schon die Frage: Lohnt sich der Zeitaufwand?
Sie kritisieren in Ihrem Buch vor allem, dass Manager ihre Mitarbeiter nicht richtig einsetzen und versuchen, sie von außen zu entwickeln. Besteht dieses Problem immer noch und was könnten Unternehmen dagegen tun?
Es gibt sicherlich immer noch den Glauben, dass man alle Menschen weiter entwickeln kann. Das ist unter bestimmten Voraussetzungen ja auch richtig. Aber man muss sich im Klaren sein, welche Entwicklung sinnvoll ist. Wenn jemand eher introvertiert ist und nicht so viel Spaß am Kontakt zu Menschen hat und durch eine Weiterbildung zum feuerflammenden Chef werden soll, der Leute begeistert und unheimlich gut kommuniziert, kann das nur scheitern. Dieser Mensch müsste sich komplett in seinem Wesen verändern. Doch kleine Veränderungen im Verhalten können Sie in Seminaren durchaus trainieren. Es gilt also herauszufinden, welche Veränderung machbar ist. Außerdem sollten die Mitarbeiter die Weiterbildung auch wollen und motiviert hingehen. Da hilft es etwa, sie genau zu informieren, warum das Seminar wichtig für sie ist und was sie dort mitnehmen sollen.
Welche Lösung bringen Sie persönlich in das Themenfeld „unwirksame Weiterbildung“ ein?
Ich arbeite gerade daran, Bildungsbedarfsanalysen sinnvoll zu ergänzen. Normalerweise wird bei einer solchen Analyse erfasst, was ein Mitarbeiter inhaltlich benötigt. Mein Fokus richtet sich darauf, wie gut jemand überhaupt in der Lage ist, sein eigenes Lernen und Verändern selbstverantwortlich und erfolgreich zu steuern. Denn nach jedem Seminar muss man üben und dranbleiben, um Lernergebnisse in die Praxis umzusetzen. Diese Fähigkeit wird heute ungeprüft bei allen Teilnehmern unterstellt. Mein Konzept der Transferstärke beschreibt und misst hingegen die zugrundeliegenden Faktoren und gibt Handlungsempfehlungen. Mitarbeiter, die keine ausgeprägte Transferstärke besitzen, brauchen eine spezielle Nachbetreuung von dem Vorgesetzten, von Kollegen oder einem Trainer, während gute Selbstveränderer ohne Unterstützung zurechtkommen.
Wie messen Sie denn die Transferstärke eines Mitarbeiters?
Ich bin gerade dabei, meinen Fragebogen zur Erfassung der Transferstärke nach wissenschaftlichen Testgütekriterien zu entwickeln. Dahinter stecken neun grundlegende Merkmale, also Einstellungen und Fähigkeiten, die in Summe die Transferstärke ausmachen. Es handelt sich um ein Konstrukt, das aus Theorien und Forschungsbefunden abgeleitet ist. Dieses gilt es zu validieren, sprich, seine Gültigkeit nachzuweisen. Ein Aspekt in der Transferstärke ist beispielsweise, wie gut jemand mit Rückschlägen umgehen kann, die es in Veränderungsprozessen normalerweise immer gibt.
Wie ließe sich dann der Test in die Praxis umsetzen?
Wenn der Fragebogen aussagt, dass jemand eigene Rückschläge nicht positiv managen kann – etwa indem er schnell den Kopf in den Sand steckt und sagt: „Das klappt nie, das ist doch alles Mist“ – haben Sie mit diesem Ergebnis eine Stellschraube identifiziert. Daran müssen Sie drehen, damit die Weiterbildung gut funktioniert. Da gibt es dann entsprechende Tools. Zum Beispiel eine Lernpartnerschaft, bei der jemand einen anderen immer wieder motiviert und aufzeigen hilft, was schon alles gelungen ist und so den Lernprozess voranbringt. Ein Trainer könnte das auch mit einem Transfercoaching machen oder der Vorgesetze, indem er den Mitarbeiter öfter mal fordert, damit er am Ball bleibt. Zum anderen lässt sich mit der Identifizierung der Transferstärke die Beharrlichkeit und die Rückfallbewältigung selbst trainieren, wenn das nötig ist.
Wie kann ich anschließend messen, ob es tatsächlich gelungen ist, die Weiterbildung nachhaltig in das Unternehmen zu tragen?
Sie sollten natürlich vorab festlegen, was jemand lernen sollte. Niemand kommt darum herum, die Kriterien abzustecken, die eine Veränderung aufzeigen. Manchmal ist das aber ganz einfach. Ein Beispiel: Eine Führungskraft neigt dazu, die Mitarbeiter in Stresssituationen anzuschreien. Mit der Weiterbildung soll er mehr Souveränität entwickeln, damit das nicht mehr vorkommt. Ob sich das bessert, werden Sie relativ schnell feststellen. In Bezug auf die Transferstärke selbst bestünde eine Evaluationsmöglichkeit in einem Folgetest. Sie könnten dann vergleichen, wie die Antworten von der ersten Fragerunde abweichen.
Inwiefern möchten Sie an dem Thema weiterarbeiten?
Es wird sicher noch eine Zeit dauern bis dieser Test zur Transferstärke wissenschaftlich stabil ist. Zunächst habe ich das Ziel, dass 200 Testpersonen diesen Fragebogen durchlaufen, um herauszufinden, ob die Faktoren, die ich da unterstelle, sich unter empirischen Bedingungen bewähren. Dann werde ich sehen, wie gut sich meine These bewahrheitet und wie markttauglich das Ganze ist.
Interview: Stefanie Hornung