PRAXISTIPP

people around table in cafeteria
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Die vorgenannte Rechtsfolge mag im Einzelfall unbillig erscheinen. Sie entspricht jedoch der gesetzgeberischen Wertung, die im Grundsatz von einem Eintreten der Entgeltfortzahlungsverpflichtung ausgeht. Im Gegenzug ist diese zeitlich in mehrfacher Hinsicht begrenzt und mit einer (je nach Einzelfall) teilweisen Erstattungsmöglichkeit gegenüber der Krankenkasse verknüpft. Die Belastung des Unternehmens ist mithin überschaubar. Arbeitgeber sollten daher insbesondere ökonomische Gesichtspunkte gewichten, falls sie den Einwand eines Verschuldens des Arbeitnehmers erheben wollen.

ENTSCHEIDUNG

Das BAG hat dieses Urteil bestätigt. Ein Verschulden des Beschäftigten liege nicht vor. Der Ansicht des Unternehmens, dass mehrmalige Rückfälle bei einer Alkoholkrankheit trotz umfangreicher Aufklärung zu einer verschuldeten Krankheit führen, folgte es nicht. Auch der schwerwiegende Rückfall mit einer Alkoholvergiftung änderte an der Bewertung durch den Senat nichts. Das Gericht stellte ausschließlich auf die eigentliche Ursache der Krankheit ab, da nur diese für die Frage des Verschuldens relevant sei.

Bei einer Alkoholkrankheit sei diese Ursache nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. So würden soziale und psychische Ursachen sowie sonstige konkrete Lebensumstände neben medizinischen Indikationen zu einer Alkoholkrankheit führen.

Dies gelte stets für das erstmalige Entstehen der Krankheit. Bei einem Rückfall nach erfolgter Therapie sei eine differenzierte Betrachtung angezeigt. Dies folge aus der Abstinenzrate nach einer Therapie von ca. 40-50 %, so dass ein Verschulden im Einzelfall vorliegen könne. Danach komme ein Verschulden des Beschäftigten zwar grundsätzlich in Betracht. Wenn der Arbeitgeber das behauptete fehlende Verschulden des Arbeitnehmers aber prozessual bestreitet, muss das erkennende ArbG ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen. Komme dieses zu dem Ergebnis, dass ein Ursachenbündel zu der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geführt habe, gehe diese Unklarheit zu Lasten des Unternehmens.

Da im konkreten Fall das Verschulden laut Sachverständigengutachten sogar als ausgeschlossen galt, besteht nach dieser Linie des BAG folglich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

KONSEQUENZEN

Das Urteil beleuchtet ausführlich das in der Praxis nur wenig wahrgenommene Tatbestandsmerkmal des fehlenden Verschuldens für das Entstehen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs bei Krankheit von Mitarbeitern. Die Urteilsgründe liegen jedoch im Kern auf der bisherigen Linie des BAG, wonach auch bei einem Rückfall bei einer bestehenden Alkoholkrankheit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist, was dessen Ursache war. Man darf im Streitfall nicht grundsätzlich auf ein Verschulden des Beschäftigten schließen.

Dies entspricht auch der gesetzlichen Wertung. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht für den Arbeitnehmer nur dann ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er arbeitsunfähig krank ist, „ohne dass ihn ein Verschulden trifft“. Diese Formulierung ist unglücklich. Dies liegt daran, dass das nach dem Gesetzeswortlaut erforderliche Verschulden einen anderen Maßstab normiert, als es § 276 Abs. 1 BGB vorsieht. Das EFZG beinhaltet einen eigenen Verschuldensbegriff. Dieser verlangt, dass ein grober Verstoß gegen das eigene Interesse des Mitarbeiters vorliegt. Als Maßstab für das eigene Interesse gilt das Interesse eines verständigen Menschen. Es wird erst verletzt durch ein besonders leichtfertiges Verhalten, das dem Vorsatz sehr nahe kommt. Damit wird das gesetzgeberisch intendierte Ziel erreicht. Alleine die vorgenannte enge Auslegung des Verschuldens i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG führt zu einer sehr begrenzten Einschlägigkeit dieses Tatbestandsmerkmals.

Dem Gesetzeszweck einer tendenziell breiten Anwendung der Lohnfortzahlung folgt auch die Beweislastverteilung, die eine weitere Einschränkung nach sich zieht. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG handelt es sich bei dem Erfordernis des fehlenden Verschuldens des Beschäftigten an seiner Arbeitsunfähigkeit um eine rechtshindernde Einwendung, für die das Unternehmen darlegungspflichtig und damit beweisbelastet ist. Zwar besteht eine Mitwirkungsverpflichtung des Mitarbeiters an der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung. Diese verschiebt jedoch nicht die Beweislast. Die Beweislastregel führt folglich dazu, dass eine unklare Ursache der Arbeitsunfähigkeit oder auch nur das Vorliegen eines Ursachenbündels zu Lasten des Arbeitgebers gehen muss.

PROBLEMPUNKT

Eine gesetzliche Krankenkasse klagt auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit gegen den Arbeitgeber. Die Körperschaft hatte an den Arbeitnehmer Krankengeld gezahlt. Sie behauptet jedoch, dass für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber bestanden habe, so dass sie ihn aus übergegangenem Recht nach § 115 SGB X in Anspruch nahm.

Das Unternehmen argumentierte dagegen, dass der Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit verschuldet habe und damit kein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG entstanden sei.Ursache der Arbeitsunfähigkeit war unstreitig eine langjährige Alkoholkrankheit des Beschäftigten. Diese ließ er bereits zweimal im Rahmen einer stationären Therapie behandeln, wobei es auch danach immer wieder zu Rückfällen kam. Der geltend gemachte Anspruch der Krankenkasse richtete sich auf Entgeltfortzahlung infolge einer über zehnmonatigen Krankschreibung nach Einlieferung des Mannes in ein Krankenhaus mit einer erheblichen Alkoholvergiftung (4,9 Promille).

Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben (LAG Köln, Urt. v. 16.1.2014 – 13 Sa 516/13). Das LAG stützte seine Entscheidung im Wesentlichen auf ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten. Nach dessen Ausführungen war ein Verschulden des Arbeitnehmers aufgrund des vorhandenen Suchtdrucks ausgeschlossen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | Ausgabe 12/2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de
Foto: Christiane Heuser | pixelio.de