Grundsätzliches

Die 1989 gesetzlich eingeführte Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung nach § 74 SGB V (bzw. seit dem 1.7.2001 für den gesamten Bereich der Rehabilitation nach § 28 SGB IX; nicht zu verwechseln mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement – BEM – gem. § 84 Abs. 2 SGB IX) liegt – gerade bei qualifizierten Arbeitnehmern – nicht nur im Interesse des Arbeitnehmers, sondern auch im Interesse des Unternehmens. Durch die stufenweise Wiedereingliederung kann man den eigentlich arbeitsunfähigen Mitarbeiter bis zur Erlangung seiner vollen Arbeitskraft schonend und schrittweise an die Belastungen seines Arbeitsplatzes heranführen. Die stufenweise Wiedereingliederung wird i. d. R. von Arbeitnehmerseite aus veranlasst. Der Arzt, der Beschäftigte oder der Rehabilitationsträger fragt beim Arbeitgeber nach, ob dieser grundsätzlich an einer stufenweisen Wiedereingliederung interessiert ist. Sollte dies der Fall sein, entwirft man (gemeinsam) einen Wiedereingliederungsplan.

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Foto von Thomas Martinsen

Keine Pflicht zur Wiedereingliederung

Es besteht grundsätzlich keine Pflicht des Arbeitgebers, einer angebotenen stufenweisen Wiedereingliederung des Arbeitnehmers zuzustimmen. Denn dieser ist arbeitsunfähig und muss somit nicht beschäftigt werden.

Vorschriften

§ 74 SGB V – Stufenweise Wiedereingliederung

Können arbeitsunfähige Versicherte (§ 28 SGB IX: „Leistungsberechtigte“) nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (§ 275) einholen. (§ 28 SGB IX: „… sollen die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen entsprechend dieser Zielsetzung erbracht werden.“)

Wichtig

Die stufenweise Wiedereingliederung dient nicht dem Erbringen der arbeitsvertraglichen Hauptleistung durch den Mitarbeiter, sondern ausschließlich seiner Rehabilitation (BAG, Urt. v. 19.4.1994 – 9 AZR 462/92). Wenn das Unternehmen die stufenweise Wiedereingliederung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers verweigert, entstehen ihm hieraus (außerhalb des Kündigungsrechts) keine Nachteile.

Dies wird verständlicher, wenn man sich das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Augen hält. Der ursprüngliche Arbeitsvertrag wurde zwar nie gekündigt oder sonst wie beendet. Er besteht trotz der langen Erkrankungszeit und der nunmehr gewünschten stufenweisen Wiedereingliederung weiter fort. Daraus hat der Mitarbeiter gleichwohl keinen Anspruch auf Beschäftigung, da er krankheitsbedingt nicht seine volle vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen kann. Eine „Teilarbeitsunfähigkeit“ ist dem geltenden Arbeitsrecht unbekannt. Das Unternehmen ist nicht verpflichtet, eine nur eingeschränkte Arbeitsleistung anzunehmen (BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05).

Die stufenweise Wiedereingliederung ist auch keine „Reaktivierung“ des Arbeitsvertrags zu nunmehr anderen Konditionen, sondern eine neue – daneben bestehende – weitere Vertragsbeziehung eigener Art. Selbstverständlich unterliegt keine Partei einer Pflicht, neben einem bereits bestehenden einen weiteren Vertrag abzuschließen. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz, so dass der Arbeitgeber in der Annahme des Angebots auf die Einführung einer stufenweisen Wiedereingliederung grundsätzlich frei ist.

Info

Behinderte Mitarbeiter

Diese Ausführungen können nicht ohne Weiteres auf behinderte Arbeitnehmer übertragen werden. Hier ist Vorsicht geboten, da ggf. Besonderheiten aus dem Behindertenrecht zu beachten sind. So kann nach Ansicht des BAG zumindest der schwerbehinderte Beschäftigte gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX eine anderweitige Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen (BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05).

Für alle anderen bleibt es jedoch dabei, dass ein Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung nicht besteht. Lediglich wenn das Unternehmen erwägt, den Mitarbeiter aufgrund der langanhaltenden Krankheit später einmal personenbedingt zu kündigen, muss es sich die Nichtaufnahme einer vom Arbeitnehmer angebotenen stufenweisen Wiedereingliederung vorhalten lassen. Hätte es ihr nämlich zugestimmt, hätte der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zumindest schrittweise versuchen können, die Belastungen des Arbeitsplatzes künftig vielleicht doch zu bewältigen.

Vertragsfreiheit

Da der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, eine Vereinbarung über eine stufenweise Wiedereingliederung abzuschließen, unterliegt er bezüglich der Konditionen selbstverständlich ebenfalls keinen Zwängen.

Praxistipp

Der Inhalt der Vereinbarung ist frei verhandelbar. Das Unternehmen muss insbesondere kein Gehalt zahlen, weil der Beschäftigte ja keine „Arbeitsleistung“ im eigentlichen Sinne erbringt (BAG, Urt. v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91). Zudem erhält der Arbeitnehmer von dem Rehabilitationsträger zumeist ohnehin Sozialversicherungsleistungen wie Kranken-, Übergangs- oder Verletztengeld.

Der Arbeitgeber muss dem Mitarbeiter auch keine besonderen Arbeiten in einem bestimmten Umfang zuweisen. I. d. R. orientiert sich dessen Leistungsumfang an der ärztlichen Empfehlung. Sie findet sich im Wiedereingliederungsplan, den das Unternehmen vom Arzt ausgefüllt stets zur Kenntnisnahme erhält. Dieser Plan sieht zumeist mehrere Stufen von unterschiedlicher Dauer und jeweils steigendem Leistungsumfang vor (daher der Begriff der stufenweisen Wiedereingliederung). Der Wiedereingliederungsplan wird bestenfalls ständig ärztlich überprüft und den individuellen gesundheitlichen Erfordernissen angepasst. Diese Anpassung kann, muss aber nicht, in der Vereinbarung jeweils umgesetzt werden.

Als Gegenleistung kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – obwohl er hierzu nicht verpflichtet ist – eine geringe Vergütung zahlen, um ihn so ungeachtet der Anrechnung auf die ihm zustehenden Sozialversicherungsleistungen verstärkt zur Leistung zu motivieren und ihn in seinem – der Genesung förderlichen – Selbstwertgefühl zu festigen.

Wichtig

Die Vereinbarung bedarf keiner Form. Es handelt sich bei dem auf eine gewisse Dauer beschränkten Wiedereingliederungsverhältnis insbesondere nicht um ein befristetes Vertragsverhältnis nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die Vereinbarung kann man aus diesem Grund z. B. auch nur mündlich schließen oder erst nach dem Beginn mit dem tatsächlichen Einsatz genauer ausformulieren. Auch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen bei der Aufnahme der Tätigkeit nicht.

Und dann noch Urlaub?

Die Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung beträgt üblicherweise zwischen sechs Wochen und sechs Monaten. Es passiert daher nicht selten, dass der Arbeitnehmer in dieser Zeit (z. B. mit seiner Familie) in den Urlaub fahren möchte und um Gewährung von Erholungsurlaub bittet.

Ein solcher Urlaub steht dem Beschäftigten aber nicht zu. Dies gilt auch für den Erholungsurlaub, auf den er ohne die Erkrankung laut Arbeitsvertrag Anspruch hätte. Der Mitarbeiter ist – trotz der Wiedereingliederungstätigkeit – arbeitsunfähig und muss deshalb keine Arbeitsleistung im eigentlichen Sinne erbringen. Die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten ruhen. Da die Tätigkeit im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung ausschließlich der Rehabilitation des Betreffenden dient und keine Hauptleistungspflicht darstellt, kann er hiervon auch nicht befreit werden (BAG, Urt. v. 19.4.1994 – 9 AZR 462/92). Hierin ist aber gerade der Sinn und Zweck einer Urlaubsgewährung zu sehen. Will der Beschäftigte nach alledem dennoch von seiner Tätigkeit (für einen gewissen Zeitraum) Abstand nehmen, muss er dies entweder mit dem Arbeitgeber ausdrücklich vereinbaren oder die stufenweise Wiedereingliederung ganz abbrechen. Die Wiederaufnahme der Maßnahme liegt dann im freien Ermessen des Unternehmens.

Was, wenn der Arbeitnehmer zusätzlich erkrankt?

Sollte der Arbeitnehmer zusätzlich zur bestehenden Arbeitsunfähigkeit – z. B. bettlägerig – erkranken, mit der Folge, dass er nicht einmal mehr seine Tätigkeit nach der stufenweisen Wiedereingliederung erbringen kann, muss er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Insoweit bestehen die Treuepflichten des Mitarbeiters auch in diesem Verfahren fort.

Wichtig

Der Beschäftigte hat aber – sollte der Arbeitgeber ihm für seine Tätigkeit eine Vergütung zahlen – für den Zeitraum der zusätzlichen Erkrankung keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Das Ende der Wiedereingliederung/des Arbeitsverhältnisses

Die Wiedereingliederung endet i. d. R. durch Zeitablauf. Eher endet sie nur, wenn

  • der Arbeitnehmer früher als erwartet seine volle Arbeitskraft wiedererlangt oder
  • die erforderliche günstige Prognose über die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit endgültig entfällt.
  • Zudem kann man die stufenweise Wiedereingliederung jederzeit einvernehmlich auflösen.

„Vertragswidriges“ Verhalten macht vor einer stufenweisen Wiedereingliederung keinen Halt. Es stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob auch eine vorzeitige – u. U. sogar eine außerordentliche – „Kündigung“ der Wiedereingliederung (für den Arbeitgeber, aber auch für den Arbeitnehmer) in Betracht kommt. Da weder das Unternehmen noch der Mitarbeiter einer stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen muss, darf den Parteien nicht das Recht genommen werden, die zunächst eingegangene Vertragsbeziehung einseitig wieder aufzulösen.

Praxistipp

Insofern bedarf es zum Ausspruch einer wirksamen „Kündigung“ (des Wiedereingliederungsverhältnisses, nicht des Arbeitsverhältnisses!) weder einer sozialen Rechtfertigung (wie dies nach dem Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gilt) noch einer vorherigen Abmahnung. Die „Kündigung“ bedarf keiner Schriftform und kann sofort – also fristlos – wirken.

Rechtsprechung hierzu gibt es nicht, so dass man derzeit nur auf die Meinung im juristischen Schrifttum zurückgreifen kann und damit in diesem Punkt eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht. Zu dieser Problematik wird auch eine von der hier vertretenen Position abweichende Meinung vertreten. Ein Teil des juristischen Schrifttums hält es für erforderlich, dass der Arbeitgeber bei der einseitigen Beendigung der stufenweisen Wiedereingliederung zumindest eine gewisse soziale Auslauffrist einhalten muss; z. T. wird auch ein besonderer Grund für den Ausspruch einer Kündigung verlangt (vgl. hierzu Schmidt, NZA 2007, S. 893).

Da eine Vergütung bei der stufenweisen Wiedereingliederung oft nicht vereinbart ist (insoweit kann auch kein Annahmeverzug vorliegen) und die Wiedereingliederung sowieso innerhalb kürzerer Zeit durch Zeitablauf endet, stellt dieser Rechtsstreit – der erst in einem gerichtlichen Verfahren Klärung finden würde – eher ein akademisches als ein praxisrelevantes Problem dar. Bis eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wäre, wäre die stufenweise Wiedereingliederung bereits beendet und Annahmeverzugslohn – wegen der meist nicht vereinbarten Vergütung – nicht zu zahlen.

Haupt- und Nebenpflichten

Sofern dem Beschäftigten eine Verletzung der Hauptleistungspflichten vorgeworfen wird, ist zu beachten, dass dieses vertragswidrige – besser gesagt das „wiedereingliederungsverhältniswidrige“ – Verhalten nicht zur Abmahnung im Arbeitsverhältnis berechtigt. Die Hauptleistungspflichten daraus sind aufgrund der bestehenden Arbeitsunfähigkeit über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus suspendiert, eine Verletzung ist hier rechtlich also nicht möglich. Der Mitarbeiter befindet sich nicht im Arbeitsverhältnis, sondern in der stufenweisen Wiedereingliederung, so dass sein Verhalten nicht als vertragswidrig in Bezug auf den Arbeitsvertrag, sondern nur in Bezug auf die Wiedereingliederung angesehen werden kann.

Wichtig

Dies gilt jedoch nicht für die Verletzung von Nebenpflichten. Auch in einem Wiedereingliederungsverhältnis bestehen Nebenpflichten, die sich als fortwirkende Ausstrahlung des Arbeitsverhältnisses ergeben, soweit sie mit dem Zweck der Eingliederungsmaßnahme vereinbar sind. Hier sind insbesondere

  • das Weisungsrecht des Arbeitgebers,
  • seine Fürsorgepflicht sowie
  • die Treuepflichten des Arbeitnehmers zu nennen (BAG, Urt. v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91).

Deswegen kann nur ausnahmsweise – nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer nicht gegen die Haupt-, aber gegen bestehende Nebenpflichten verstößt – sein Verhalten in der stufenweisen Wiedereingliederung zur Abmahnung im Arbeitsverhältnis und u. U. sogar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.

Fazit

Auch wenn zu den Fragen im Zusammenhang mit der stufenweisen Wiedereingliederung bislang nicht sehr viele Urteile ergangen sind, kann man die Rechtslage insgesamt als „sicher“ bezeichnen. Nur vereinzelt liegen im juristischen Schrifttum Streitigkeiten vor.

Nach der demnach verhältnismäßig sicheren Rechtslage hat der nicht behinderte Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber keinen Anspruch auf die Einführung einer stufenweisen Wiedereingliederung. Die Nichteinführung einer vom Beschäftigten gewollten stufenweisen Wiedereingliederung kann jedoch dem Ausspruch einer geplanten personenbedingten Kündigung im Wege stehen.

Der Mitarbeiter hat während einer stufenweisen Wiedereingliederung – sofern vertraglich nichts Anderes vereinbart ist – weder Anspruch auf Lohn noch auf Entgeltfortzahlung oder auf Urlaub.

Das Wiedereingliederungsverhältnis kann jederzeit durch einseitige Erklärung des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers ohne Einhaltung einer Frist beendet werden. Zumindest bei einem Verstoß gegen die in diesem Verhältnis bestehenden Nebenpflichten – anders als bei einem „Verstoß“ gegen die ruhenden Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrags – kann das Verhalten des Beschäftigten auch Auswirkungen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses haben.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 7/10