A. Jetzige Rechtslage

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Ein gesetzlicher Mindestlohn ist derzeit nicht vorgesehen, um den Grundsatz der Vertragsfreiheit und die Privatautonomie nicht einzuschränken. Lediglich in speziellen Branchen besteht die Möglichkeit zur Festsetzung verbindlicher tariflicher Mindestlöhne.

Dafür gibt es zwei Wege: die Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) und die Geltungserstreckung eines Tarifvertrages auf Außenseiter kraft Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums (§ 1 Abs. 3a AEntG). Soweit ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde, wird sein Anwendungsbereich unter der Voraussetzung der Aufnahme in das AEntG auch auf die von ausländischen Arbeitgeber im Inland beschäftigten Arbeitnehmer erstreckt, um einem Lohndumping durch ausländische Unternehmer vorzubeugen (§ 1 Abs. 1 AEntG). Dies ist bislang für Tarifverträge des Bauhaupt- und Baunebengewerbes, des Gebäudereinigerhandwerks sowie Tarifverträge für Briefdienstleister geschehen.

Die Festlegung verbindlicher Lohnuntergrenzen auch für Außenseiter kann außerdem durch das – einfachere – Verfahren der Geltungserstreckung kraft Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums (§ 1 Abs. 3a AEntG) erfolgen. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Norm auf die in das AEntG aufgenommenen Tarifverträge beschränkt, also auf die o.g. Tarifverträge des Bauhaupt- und Baunebengewerbes, des Gebäudereinigerhandwerks sowie auf Tarifverträge für Briefdienstleister.

B. Geplante Gesetzesänderungen

I. Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Das AEntG soll komplett neu gefasst und damit übersichtlicher werden. Die zentralen Änderungen zur Einführung von tariflichen Lohnuntergrenzen sind in den §§ 3-7 vorgesehen (siehe dazu nachfolgend, unter 2.).

1. Zielsetzung / zwingende allgemeine Arbeitsbedingungen

Zunächst wird in § 1 die Zielsetzung des Gesetzes definiert. Dieses ist die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen.

Der neue § 2 regelt die bisher in § 7 AEntG vorgesehene zwingende Geltung allgemeiner Arbeitsbedingungen auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die im Inland Arbeitnehmer beschäftigen; zu nennen sind insbesondere die Regelungen über Höchstarbeitszeiten (§ 7 Abs. 1 Nr. 1), bezahlten Mindesturlaub (§ 7 Abs.1 Nr. 2) oder die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze (§ 7 Abs.1 Nr. 3). Die Regelung ist inhaltlich identisch mit der jetzigen Regelung zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen.

2. Einführung tariflicher Lohnuntergrenzen

a. Grundnorm

Die bisherige Regelung des § 1 AEntG befindet sich in § 3. Danach finden – unter den Vor-aussetzungen der §§ 4-7 AEntG – die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrags auch Anwendung zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern, wenn

  • es sich dabei um einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag handelt oder
  • eine Rechtsverordnung nach § 7 vorliegt.

b. Erfasste Branchen

Die Beschränkung auf die in das AEntG bereits aufgenommenen Tarifverträge des Bauhaupt- und Baunebengewerbes, der Gebäudereinigung und Briefdienstleister bleibt bestehen (§ 4). Es besteht während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens aber die Möglichkeit einer Erweiterung auf andere Branchen. Voraussetzung dafür ist eine Tarifbindung von mindestens 50 % und ein gemeinsamer Antrag der Tarifvertragsparteien an das Bundesarbeitsministerium. Bis zum Stichtag 31.3.2008 lagen erst acht derartige Anträge vor. Weitere Anträge bleiben aber möglich. Somit ist eine Festlegung auf die jeweiligen Branchen im Gesetzesentwurf nicht erfolgt.

c. Erfasste Arbeitsbedingungen

§ 5 benennt die Arbeitsbedingungen, die Gegenstand eines Tarifvertrages i.S. des § 3 sein können. Es handelt sich hierbei um Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze (Nr. 1), um Urlaubsregelungen (Dauer, Urlaubsentgelt, zusätzliches Urlaubsgeld – Nr. 2), um das Urlaubskassenverfahren (Nr. 3) und um die zwingenden allgemeinen Arbeitsbedingungen (Nr. 4).

d. Geltungserstreckung kraft Rechtsverordnung

Das Verfahren zum Erlass von Rechtsverordnungen (heutiger § 1 Abs. 3a AEntG) soll in § 7 geregelt werden. Neu sind insbesondere die folgenden Regelungen:

  • Wegen der weiter voranschreitenden Differenzierung der Tariflandschaft sollen dem Verordnungsgeber für den Fall konkurrierender Tarifverträge konkrete Kriterien für eine Sachentscheidung vorgegeben werden. Nach § 7 Abs. 2 hat der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung im Rahmen einer Gesamtabwägung ergänzend zu den in § 1 genann-ten Gesetzeszielen die Repräsentativität der jeweiligen Tarifverträge zu berücksichtigen. Dabei soll vorrangig abzustellen sein auf die Zahl der von den jeweils tarifgebundenen Ar-beitgebern beschäftigten unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer (Nr. 1) und die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Mitglieder der Gewerkschaft, die den Tarifvertrag geschlossen hat (Nr. 2).
  • Für den Fall, dass von einer neu aufgenommenen Branche erstmals ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gestellt wird, ist zunächst der Tarifausschuss damit zu befassen (§ 7 Abs. 5). Dieser erhält Gelegenheit, über die Branche hinausgehende Erwägungen in den Entscheidungsprozess mit einzubringen.

e. Zwingende Wirkung

Zudem soll klargestellt werden, dass die Mindestlohntarifverträge ausnahmslos für alle in- und ausländischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verbindlich sind. So soll in § 9 Abs. 2 AEntG bestimmt werden, dass sie für einen Arbeitgeber auch dann gelten, wenn er noch an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist. Diese Klarstellung wurde augenscheinlich aufgrund des Urteils des VG Berlin vom 7.3.2008, Az. 4 A 439/07 vorgenommen. Das VG Berlin hatte die Auffassung vertreten, dass ein nach der heutigen Fassung des § 1 Abs. 3a AEntG allgemeinverbindlicher Tarifvertrag einen konkurrierenden Tarifvertrag nicht verdrängen kann.

3. Durchsetzung

Zu nennen sind hier insbesondere: Die Bürgenhaftung des Auftraggebers in § 10; die Vorschriften zur behördlichen Kontrolle und Durchsetzung der Regelungen des Gesetzes in §§ 12 bis 19.

II. Mindestarbeitsbedingungengesetz

Es vermehren sich die Wirtschaftszweige, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber be-steht. In diesen Bereichen bedarf es – laut Gesetzesbegründung – ebenfalls eines Verfahrens zur Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen. Daher wurde das bisher in der Praxis nicht angewandte Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) aus dem Jahr 1952 überarbeitet. Zentrale Bedeutung kommt darin der Möglichkeit zu, zwingende Mindestlöhne durch Rechtsverordnung festzusetzen.

1. Festsetzung von Lohnuntergrenzen

Nach § 1 Abs. 2 sollen Mindestarbeitsentgelte in einem Wirtschaftszweig festgesetzt werden können, wenn in dem Wirtschaftszweig bundesweit die an Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber weniger als 50 Prozent der unter den Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallenden Arbeitnehmer beschäftigen.

Vorgesehen ist dafür nunmehr die Zuständigkeit der Bundesregierung. Sie soll auf Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums die vom Fachausschuss festgesetzten Mindestarbeitsentgelte als Rechtsverordnung erlassen können (§ 4 Abs. 3). Diese soll für inländische wie ausländische Arbeitgeber zwingende Wirkung entfalten (siehe § 2 Nr. 1 AEntG, n.F.). Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird aber ungünstigeren Entgeltregelungen eines vor dem 16.7.2008 geschlossenen Tarifvertrages ein Geltungsvorrang eingeräumt (Übergangsregelung in § 8 Abs. 2).

2. Zuständige Ausschüsse, Verfahren

Ein dauerhaft einzurichtender Hauptausschuss (§ 3) prüft, ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und entscheidet, ob in diesem Wirtschaftszweig Mindestarbeitsentgelte festgesetzt, geändert oder aufgehoben werden sollen. Trifft der Hauptausschuss die Entscheidung, dass in einem Wirtschaftszweig Mindestarbeitsentgelte festgesetzt werden sollen, wird ein Fachausschuss gebildet. Der Fachausschuss legt die konkrete Höhe des jeweiligen Mindestlohns anhand vorgegebener Kriterien durch Beschluss fest (§ 4). Die Bundesregierung kann auf Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums die vom Fachausschuss festgesetzten Mindestarbeitsentgelte als Rechtsverordnung erlassen. Die Rechtsverordnung kann befristet werden.

Quelle: www.memento.de