Problempunkt

Die Klägerin ist 50 Jahre alt und war bei der Beklagten, einer Einzelhandelskette, seit 1977 als Kassiererin beschäftigt. In der Filiale, in der sie arbeitete, steht ein Automat für die Rückgabe von Leergut. Der Kunde erhält einen Pfandbon, den die Kassiererin beim Einlösen an der Kasse abzeichnet. Für Mitarbeiter der Beklagten, die Leergut abgeben wollen, gilt dagegen laut einer Arbeitsanweisung ein anderes Verfahren: Sie müssen die Flaschen zunächst dem Filialleiter vorzeigen, wenn sie das Geschäft betreten, und später den Pfandbon von ihm abzeichnen lassen. Löst der Mitarbeiter dann den Leergutbon an der Kasse ein, zeichnet ihn die Kassiererin ein zweites Mal ab.

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Foto von yann maignan

Am 12.1.2008 fand eine Kollegin der Klägerin im Kassenbereich zwei noch nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie übergab sie dem Marktleiter. Dieser gab sie an die Klägerin weiter, damit sie sie verwahrte, falls ein Kunde sie für sich reklamieren sollte. Andernfalls sollten die Pfandbons später als Fehlbons bei der Leergutabrechnung verbucht werden. Die Klägerin legte am 22.1.2008 bei ihrem Einkauf an der Kasse zwei Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro vor. Der Wert ihres Einkaufs reduzierte sich dadurch um 1,30 Euro. Dies erregte bei der Beklagten den Verdacht, dass es sich bei den eingelösten Leergutbons um diejenigen handelte, die der Filialleiter der Klägerin am 12.1.2008 übergeben hatte.

Die Beklagte hörte die Klägerin zu dem Vorwurf an. Diese erklärte, die Pfandbons könnten von ihren Töchtern stammen, die Zugang zu ihrem Geldbeutel hätten. In einer weiteren Anhörung behauptete sie dann, sie habe am 21. oder 22.1.2008 ihren Geldbeutel einer Kollegin gegeben. Dabei verwies sie auf die Möglichkeit, die Kollegin könne ihr die Pfandbons in die Geldbörse getan haben. Nach den Anhörungen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.

Auch im Kündigungsschutzverfahren bestritt die Klägerin die Vorwürfe nachhaltig und verteidigte sich mit verschiedenen Versionen zum Hergang des Geschehens. U. a. behauptete sie auf einmal, sie hätte die Pfandbons bereits im September/Oktober 2007 eingelöst.

Entscheidung

Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme hielt es das Landesarbeitsgericht (LAG) für erwiesen, dass die Klägerin wissentlich die Pfandbons eingelöst hatte, die ihr der Filialleiter am 12.1.2008 übergeben hatte. Daher hielt es die Kündigung für wirksam.

Verletzt der Mitarbeiter rechtswidrig und vorsätzlich das Eigentum oder Vermögen des Arbeitgebers, stellt dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine wesentliche Vertragsverletzung dar, die das Unternehmen grundsätzlich berechtigt, dem Betreffenden auch ohne vorherige Abmahnung außerordentlich zu kündigen. Dies gilt auch, wenn die Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft. Dabei muss die Vertragsverletzung nicht erwiesen sein. Auch schon der schwer wiegende Verdacht einer solchen Verfehlung kann genügen.

Eine Kündigung ist aber nur gerechtfertigt, wenn eine Abwägung der beiderseitigen Inte – ressen im Einzelfall ergibt, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das LAG berücksichtigte hier die lange Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die schlechten Chancen der Klägerin am Arbeitsmarkt zu ihren Gunsten. Trotzdem hielten die Richter die Kündigung für berechtigt. Sie begründeten dies u. a. damit, dass die Klägerin hartnäckig den Tatvorwurf bestritt. Zudem hatte sie im Kündigungsschutzprozess falsch vorgetragen und versucht, den Verdacht auf andere Mitarbeiter zu lenken.

Konsequenzen

Die Entscheidung des LAG wurde vielfach – und bisweilen hart – kritisiert. Der Bundestagsvizepräsident bezeichnete die Entscheidung als „barbarisches Urteil von asozialer Qualität“. Auch wenn er diese Äußerung später relativierte, widmete die Presse diesem Fall besondere Aufmerksamkeit.

Arbeitsrechtlich bringt „Emmely“ dagegen wenig Neues. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kann eine Straftat gegen Eigentum oder Vermögen des Arbeitgebers die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch dann rechtfertigen, wenn sie sich auf eine geringwertige Sache bezieht. Der entstandene Schaden ist, neben vielen anderen Umständen, wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Chancen am Arbeitsmarkt, in die im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung einzustellen. Dabei geht es nicht darum, zwischen Schaden auf der einen und Verlust des Arbeitsplatzes auf der anderen Seite abzuwägen. Relevant ist vielmehr die Frage, ob das Vertrauen des Arbeitgebers in die Person des Arbeitnehmers so nachhaltig gestört ist, dass es ihm nicht mehr zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das sah das LAG im Fall der Kassiererin „Emmely“ als gegeben an.

Praxistipp

Auch Diebstahl und Betrug zulasten des Arbeitgebers rechtfertigen eine fristlose Kündigung nur, wenn es für den Arbeitgeber – unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers – unzumutbar ist, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Diese Interessenabwägung ist sehr sorgfältig durchzuführen. Deshalb sollte das Unternehmen – nicht nur bei Verdachtskündigungen – den Mitarbeiter anhören, bevor es ihm kündigt. Eine fehlerhafte Interessenabwägung bedeutet für den Arbeitgeber nämlich ein erhebliches Risiko, da er für die gesamte Prozessdauer das Annahmeverzugsrisiko trägt.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi – 12/09