Je nach Position und Anstellungsverhältnis ist die kulturelle Passung von unterschiedlicher Wichtigkeit. Bei kurzfristigen Temporäreinsätzen stehen die Kompetenzen und die Erfahrung im Vordergrund. Bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen sowie repräsentativen Funktionen ist die kulturelle Passung jedoch einer der entscheidenden Faktoren für eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit. 

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Foto von Mimi Thian


So wird sich beispielsweise ein Kandidat mit stark materiell geprägtem Motivsystem in einer Non-Profit-Organisation kaum langfristig motiviert und herausgefordert fühlen. Umgekehrt werden Arbeitnehmende mit einem hohen Bedürfnis nach Benevolenz (dem Streben nach dem Wohlergehen der Gemeinschaft) ihren Wunscharbeitgeber wohl nicht in einem stark profitorientierten Unternehmen finden. Stimmen jedoch die Werte und Ziele des Arbeitnehmers mit denen des Arbeitgebers überein, profitieren beide Seiten: Der Arbeitnehmer  von einer höheren Arbeitszufriedenheit und der Arbeitgeber von einer höheren Leistungsbereitschaft, einer stärkeren Loyalität  und von geringeren Austrittsabsichten seiner Angestellten. Denn je besser ein Mitarbeitender seinen Arbeitgeber «versteht» desto besser kann er sein Verhalten und seine Entscheide an den Unternehmenszielen ausrichten. 

Firmenkultur identifizieren und kommunizieren

Wie kann in der Praxis festgestellt werden, ob ein Kandidat zur Unternehmenskultur passt? Bevor die Selektion beginnt, sollte man sich Klarheit über die vorherrschende Unternehmenskultur verschaffen. Diese wird von verschiedenen betrieblichen Bedingungsgrössen beeinflusst. Die wichtigsten sind die Branche, die Unternehmensgrösse, die Rechtsform, die Strategie und die Organisation (siehe Bild ).

Neben der Identifikation dieser Einflussfaktoren geben Mitarbeiterbefragungen und Austrittsgespräche Aufschluss darüber, wie die Mitarbeitenden die Kultur (er-)leben. Auch empfiehlt es sich, die Unterstützung einer externen Fachperson in Anspruch zu nehmen, die die Erfassung der Unternehmenskultur begleitet – insbesondere um Fehleinschätzungen zu vermeiden (Stichwort «Betriebsblindheit»)

In einem zweiten Schritt werden die Kommunikationskanäle bestimmt, um die Unternehmenskultur zu kommunizieren. Intern eignen sich hierfür Steuerungsdokumente wie das Leitbild oder die Strategie, Werte und Führungsgrundsätze. Die externe Kommunikation erfolgt durch die üblichen Instrumente des Employer Brandings wie Website, Stelleninserate, Videos, Social Media, Kununu etc. Sie bestimmen das Bild, welches die  potenziellen Kandidaten vom Unternehmen erhalten. Dadurch können sich diese ein erstes Bild von der Unternehmenskultur verschaffen und entscheiden, ob sie ihre Bewerbung einreichen wollen.

Je transparenter die Unternehmenskultur gegen aussen vermittelt wird, desto genauer können Kandidaten ihre Passung zum potenziellen Arbeitgeber beurteilen. So findet in Form einer Selbstselektion bereits eine erste Vorauswahl von  Kandidaten statt, was die weitere Selektion durch die Rekrutierungsverantwortlichen erleichtert. Für die Selektion stehen in der  Folge verschiedene Instrumente zur Verfügung, um zu prüfen, ob ein Kandidat kulturell zum Unternehmen passt.

Interviewfragen, Persönlichkeitstests und Assessments sind dabei die Mittel der Wahl, wobei das persönliche, strukturierte Interview allen anderen  Instrumenten nachweislich überlegen ist. Es ist nicht nur die effizienteste und kostengünstigste Methode, sondern liefert auch den grössten  Informationsgewinn.
( > Siehe Bild: Der Kasten enthält konkrete Beipielfragen für die Erfassung der kulturellen Übereinstimmung.)

Werden im Verlauf des Rekrutierungsprozesses Abweichungen zwischen den Werten eines Kandidaten und der Unternehmenskultur festgestellt, kann kaum mit einer späteren Anpassung gerechnet werden. Denn bei den persönlichen Wertvorstellungen handelt es sich wie bei Persönlichkeitsmerkmalen um realtiv stabile Eigenschaften, die sich in der Regel nur minim verändern lassen. Dies im Gegensatz zu allfälligen Wissenslücken und fehlenden Kompetenzen, welche mit spezifischen Bildungsmassnahmen geschlossen oder durch eine Umverteilung der Aufgaben umgangen werden können.

Motiviert für die «Extra-Meile»?!

Darum lohnt es sich (gerade bei Positionen im mittleren bis hohen Lohnsegment), einem kulturell passenden Kandidaten den Vorzug geben, auch wenn dieser die fachlichen Anforderungen nicht ganz erfüllt. Denn wer sich mit den Werten und Zielen seines Arbeitgebers identifizieren kann, ist motiviert, die bekannte «Extra-Meile» zu gehen und wird das Unternehmen auch in schwierigeren Zeiten nicht so schnell verlassen.

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Quelle: persorama – Magazin der Schweizerischen Gesellschaft für Human Resources Management | Nr. 2, Sommer 2016