Schon in den 1980er und 1990er Jahren war die Unternehmenskultur ein Schwerpunktthema der Organisationsforschung. Die Unternehmenspraxis beachtete den vermeintlich weichen Faktor Kultur dagegen kaum. Erst die nüchterne Erkenntnis, dass die Kultur eines Unternehmens Einfl uss auf die Umsatzzahlen hat und sogar Fusionen oder Übernahmen zum Scheitern bringen kann, weckte das Interesse an der Thematik. Heute scheint die große Bedeutung der Unternehmenskultur zum Allgemeingut des Managementwissens zu gehören, wie eine Internetbefragung des Beratungsunternehmens ARGO aus dem Jahr 2007 zeigt: Insgesamt 91 Prozent der 160 befragten Manager gaben an, dass die Unternehmenskultur für ihre Organisation wichtig oder sehr wichtig sei (Abbildung 1).

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Foto von Austin Distel

Allerdings defi nierten die Teilnehmer den Begriff Kultur sehr unterschiedlich. Was heißt „Unternehmenskultur“? Wie entsteht sie und – vor allem – wie lässt sich diese Kultur in Fusions- und Übernahmeprozessen steuern?

Die Literatur bietet verschiedene Zugänge zum Thema an, von denen sich die folgende Definition ableiten lässt:

„Unternehmenskultur ist der sichtbare Ausdruck von Werthaltungen und Normen sowie der zugrunde liegenden Annahmen und Überzeugungen, die eine Organisation im Lauf ihrer Geschichte entwickelt und sie von anderen Unternehmen unterscheidet.“

Diese Kultur zeigt sich in Umgangsformen, Kleidung und Sprachbildern, in Verboten und Geboten, in Ritualen, Mythen und Geschichten oder in architektonischen und technologischen Ausprägungen. Auch wenn Unternehmen sich dessen nicht bewusst sind,prägen sie doch eine eigene Kultur aus, die nicht ausgesprochen oder schriftlich festgehalten sein muss und sich laufend auch ohne bewusste Steuerung ändern kann. Unternehmenskulturen sind nicht per se gut, schlecht, richtig oder falsch. Entscheidend ist, ob sie die Ziele der Organisation behindern oder fördern. Zwei Faktoren sind dabei besonders zentral:

  • Unternehmenskulturen können sich verändern. Übernahmen oder Zusammenschlüsse von Unternehmen bringen zum Beispiel einschneidende Kulturveränderungen mit sich. Gerade in diesen Momenten der kollektiven Aufmerksamkeit hinterlässt Erlebtes nachhaltige Spuren. Wenn Mitarbeiter im Fusionsprozess feststellen, dass bestimmte Vorgehensweisen im Unternehmen „normal“ werden, prägen sie sich diese Veränderungen ein. Wer diesen Prozess sowohl im „Was“ als auch im „Wie“ bewusst gestalten will, muss lange vor der Post-Merger- Integration ansetzen.
  • In der Regel zwingt der „Stärkere“ dem „Schwächeren“ seine Kultur auf, ohne zu hinterfragen, ob der eigene Ansatz sinnvoll ist. Damit kann er das Wertvolle einer anderen Kultur zerstören, noch bevor klar ist, wie die Vision des Zusammenschlusses aussieht und welche Strategie und damit notwendige Kultur als Träger daraus resultiert. Diese Gefahr ist dann besonders groß, wenn Unternehmen deutlich unterschiedliche Märkte bedienen. Stehen Vision und Strategie des Zusammenschlusses fest, wird schnell klar, dass Elemente aus allen betroffenen Kulturen einen Mehrwert darstellen. Diese Zielkultur kann der gemeinsame Nenner sein, der genügend Spielraum für marktbedingte Unterschiede zulässt.

 

Abbildung 1: Antworten von 160 Unternehmen aus der ARGO-Internetbefragung

Beispiel Moeller

Eines von vielen Beispielen für einen produktiven Umgang mit kulturellen Veränderungen liefert die Moeller Firmengruppe mit Sitz in Bonn. Der weltweit tätige Anbieter von Komponenten und Systemen für die Energieverteilung und Automatisierung gehört seit kurzem zum amerikanischen Industriekonzern Eaton Corporation in Cleveland. Nach dem Merger der Felten & Guilleaume AG mit Moeller im Jahr 1998 übernahm 2003 die amerikanische Investorengruppe Advent International das Unternehmen, um es 2005 an die britischen Investoren Doughty Hanson zu veräußern. Das Management der Moeller Firmengruppe stellte in dieser Umbruchphase die Weichen auf internationales Wachstum, stieß einen Restrukturierungsprozess an und startete im Jahr 2005, begleitend dazu, einen weltweiten Kulturprozess.

Dem Management war von Anfang an klar, dass eine neue, gemeinsame Unternehmensvision, Strategie und Kultur notwendig war, um diesen Weg erfolgreich zu gehen. Dieses neue Wir-Gefühl musste sich nach dem Zusammenschluss jedoch erst entwickeln. Dazu beitragen sollte der im Jänner 2005 gestartete „Moeller Cultural Change“.

Der Veränderungsprozess startete mit einer Analysephase, in der eine Projektgruppe den Ist-Stand der Unternehmenskulturen skizzierte. Das Team bestand aus dem Projektleiter des Beratungsunternehmens ARGO, seinem internen Pendant, dem Marketing- sowie dem Personalleiter der Moeller Firmengruppe, zwei Area Managern sowie Führungskräften aus dem Fertigungsbereich, der kaufmännischen Leitung und dem Projektmanagement. Im Dialog arbeiteten die Beteiligten die Gemeinsamkeiten der beteiligten Kulturen heraus, wie zum Beispiel die in beiden Unternehmen stark verwurzelte Kunden- und Qualitätsorientierung oder die Hilfsbereitschaft in den Teams. Außerdem strichen sie Potenziale für gegenseitige Ergänzung hervor, wie das Arbeitstempo oder die Informationspolitik.

Diese Ergebnisse lieferten die Basis für die Initiationsphase, deren Kern das Entwickeln einer gemeinsamen Vision und Mission sowie regional ausdifferenzierter Leitbilder war. „We keep power under control!“ lautete schließlich das Mission-Statement, das in einem weltweiten, strukturierten Diskussions- und Feedbackprozess top-down und bottom-up als Kernbotschaft und Oberbegriff der regional ausdifferenzierten Leitbilder entstand. Die Initiationsphase diente zum einen dazu, Botschaften so zu finden, dass der Stil des Findungsprozesses dem Inhalt der Botschaften entsprach. Im Fall der Moeller Firmengruppe hieß dies, dass der Dialog im Vordergrund stand, denn das Unternehmen strebte eine gesprächsorientierte und offene Kultur an. Zum anderen ging es darum, Botschaften zu formulieren, die mit einfachen und nachvollziehbaren Aussagen Bilder der neuen Realität schaffen und das Erreichen der Ziele unterstützen. Ein Leitsatz, der in diesem Prozess entstand, lautete zum Beispiel: „We further international understanding and accept differences“ („Wir fördern den internationalen Austausch und akzeptieren Unterschiede“).

Botschaften wie diese konkretisierte die Firmengruppe in regionalen Leitbildern für Nord- und Südeuropa, Osteuropa, Asien und Übersee. In einem Großgruppen-Workshop arbeitete das Management der einzelnen Regionen zunächst in parallelen Streams die Leitbild-Kernthemen heraus, um anschließend gemeinsam konkrete Sätze zu formulieren, die das gewünschte Verhalten in der Zielkultur genauer beschreiben sollten. Interkulturelle Unterschiede zeigten sich zum Beispiel darin, dass die asiatischen Manager das Kernthema „Respekt“ in ihr Leitbild aufnahmen, während osteuropäische Führungskräfte der „starken persönlichen Kundenbeziehung“ ein besonderes Gewicht gaben.

Wie stark diese Leitbilder bereits im Unternehmen verankert waren, untersuchte Moeller anschließend mithilfe von Mitarbeiterbefragungen. In der folgenden Implementierungsphase startete das Management internationale und nationale Umsetzungsprojekte, die den kulturellen Veränderungsprozess weiter vorantreiben sollten. Von den Geschäftsbereichen nominierte Mitarbeiter begleiteten als Change-Agents den Prozess und unterstützten die Führungskräfte bei der Umsetzung und dem Monitoring von Projekten. Außerdem trugen sie Erfolge und Fragen in überregionale Workshops, um dort Kompetenzen auszutauschen und den internationalen Wissenstransfer zu fördern. Dabei kristallisierten sich drei Arbeitsfelder heraus, in denen die lokale Umsetzung auch durch globale Aktivitäten vorangetrieben und unterstützt wurde. Im Fokus des kulturellen Veränderungsprozesses standen:

  • Personalentwicklung,
  • Kommunikation und
  • internationaler Austausch.

Ziel war es, Rahmenbedingungen und Kompetenzen zu schaffen, die dazu beitrugen, die Kultur im Arbeitsalltag zu verankern. Dem Wunsch nach einer schnelleren und gezielteren Kommunikation begegnete das Unternehmen beispielsweise mit dem Aufbau eines internationalen Teams von Kommunikationsmanagern. Die Kommunikationsexperten sollten sowohl den Austausch von Informationen mit dem Headquarter fördern und monitoren als auch länderübergreifende Kommunikationsnetzwerke schaffen, um eine raschere und gezieltere Wissensvermittlung zu ermöglichen. Auch für den Bereich Human Resource Development entwickelte Moeller eine Plattform, um die internationale Personalentwicklung voranzubringen.

Anfang 2008 belegte eine erneute Mitarbeiterbefragung, dass sich der Kulturprozess positiv entwickelt hat. Gerade Regionen wie Asien, in denen anfangs deutliche Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der gewünschten Firmenkultur vorherrschten, hatten Fortschritte gemacht, sowohl im Vergleich zu den eigenen Basiswerten als auch zum Konzernmittel. Kernthemen, auf die das Unternehmen seinen Entwicklungsfokus setzte, hatten sich in allen Regionen positiv verändert, und dies, obwohl das Management in der Zeit auch schmerzhafte Restrukturierungen umsetzte. Was in den ersten drei Phasen durch ARGO als externen Berater gestützt und gesteuert wurde, muss im Folgenden schrittweise in die Verantwortung und das Selbstverständnis der Organisation übergehen. In der derzeit noch andauernden Integrationsphase baut die Moeller Firmengruppe zurzeit monitorende, steuernde und intervenierende Kompetenzen auf. Viele Plattformen, die im Lauf des Projektes geschaffen wurden, um Feedback einzufangen oder Verbesserungsvorschläge zu erfassen, übergibt das Beratungsunternehmen jetzt Internen zur Leitung und Weiterführung. Nach dem Merger mit der Eaton Gruppe im Frühjahr dieses Jahres gilt es nun, die Erfolge aus dem Cultural Change zu nutzen und als Erfolgsfaktor für die gemeinsame Zukunft Eaton-Moeller fortzuführen.

Abbildung 2: Erfolgskritische Faktoren für Veränderung

Das Beispiel Moeller zeigt, dass Unternehmen ihre Kultur produktiv beeinflussen können, um Aspekte wie Kommunikation oder Internationalität gezielt zu verändern. Doch dabei müssen sie verschiedene Hindernisse überwinden. Die eingangs erwähnte ARGOInternetumfrage liefert Antworten darauf, unter welchen Bedingungen kulturelle Veränderungen gelingen:

  • 41 Prozent der Befragten geben an, dass Veränderungen scheitern, wenn Führungskräfte nicht hinter ihnen stehen und ihre Vorbildfunktion nicht wahrnehmen.
  • 31 Prozent sehen die Ursache des Scheiterns in einer fehlenden Zielsetzung und Kommunikation.
  • 26 Prozent weisen darauf hin, dass sich eine Unternehmenskultur nicht verändert, wenn der Sinn dieser Neuerung nicht nachvollziehbar ist.

Kulturelle Faktoren können Veränderungen vorantreiben oder blockieren. Unternehmen, die den Faktor Kultur in Fusionen und Übernahmen nicht nur berücksichtigen, sondern auch gezielt steuern, haben gute Chancen, die Transaktion zum Erfolg zu führen und einen deutlichen Mehrwert für alle beteiligten Stakeholder zu schaffen.

Quelle: personal manager 05/2008