Frau Dr. Rump, bezogen auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, wird häufig von der „gläsernen Decke“ gesprochen, welche Frauen den Aufstieg erschwert. Können Sie die Ursachen genauer ausführen?

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Foto von Thought Catalog

Dr. Jutta Rump: Die „gläserne Decke“ beschreibt das Phänomen, dass es Frauen in Unternehmen bis zu einer bestimmten Position im mittleren Management schaffen, ihnen der Schritt ins obere Management aber verwehrt wird. Um diesen Schritt zu gehen, ist mehr als Qualifikation nötig. Es gibt „geheime Spielregeln“, um von einer mittleren in eine höhere Führungsposition zu kommen. Sie sind eine Ursache des Phänomens der „gläsernen Decke“. Eine weitere sind die Stereotypenfallen, in die wir in unserem Alltag hineintappen. Und auch der Verteilungskampf. Es gibt nur ein paar Stellen, die mit Macht und Prestige verbunden sind. Gleichzeitig wird die Gruppe an Menschen, die um diese wenigen Positionen konkurrieren, immer größer. Es herrschen bestimmte Wettbewerbs- und Konkurrenzmuster, die dazu führen, dass die eine oder andere Stelle mit einer Person besetzt wird, die nicht nur aufgrund ihrer Qualifikation dorthin kommt, sondern auch aufgrund ihres Geschlechtes.

 

2016 ist in Deutschland das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in Kraft getreten. Hat sich seitdem die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt verbessert?

Dr. Jutta Rump: Auf den ersten Blick schon. Es gibt viele Frauenförderpläne, es gibt Gleichstellungspläne, Chancengleichheit, Diversity-Beauftragte, Qualifizierungsprogramme, Frauennetzwerke in den Betrieben, Coaching- und Mentoren-Programme für Frauen. Auf den ersten Blick ist eine Menge passiert. Auf den zweiten Blick muss man auch sagen, dass seit die Telekom 2009 sagte, sie wollen eine „Frauenquote“ haben, das Thema „Frauen in Führungspositionen“ deutlich sachlicher diskutiert wird und nicht länger auf das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ reduziert bleibt. Wenn man dann allerdings auf die Zahlen schaut, stellt man fest: So viel hat sich dann doch nicht verändert. Da ist noch Raum für Verbesserung. Man fördert zwar qualifizierte Frauen besser in den Unternehmen, aber in der obersten Führungsebene sind sie noch nicht angekommen und es gehen sogar viele auf diesem Weg verloren.

 

Der Monitor „Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsplatz“, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben hatte, hat ergeben, dass jeder vierte Betrieb den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen möchte. Was könnten gezielte Maßnahmen für mehr Chancengleichheit sein?

Dr. Jutta Rump: Dass jeder vierte Betrieb den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen möchte, ist ja leider nur eine Willensbekundung. Das bedeutet ja nicht, dass dies tatsächlich schon stattfindet. Zu überprüfen, welcher Anteil davon wirklich etwas unternimmt, wäre dann schon eine andere Thematik.

Als erste Maßnahme muss man sich mit Stereotypen auseinandersetzen. Wir alle leben in unserer Stereotypenwelt, die bestimmt ist von unbewussten Vorurteilen und Handlungsmustern. Diese Bilder in unseren Köpfen sind Teil unserer Sozialisation. Dessen muss man sich bewusst werden. Wenn Sie beispielsweise sagen: Wie kennzeichnen wir eine obere Führungsposition? Welche Attribute sind dafür notwendig? Dann kommen wir auf: Durchsetzungsstärke, Wettbewerbsgedanke, Konkurrenzbewusstsein, Hartnäckigkeit. Und wenn wir im zweiten Schritt nun typische Männer- und Frauenattribute beschreiben sollen, werden Sie feststellen, dass die Dinge, die gerne mit Führungspositionen verbunden werden, die Attribute sind, die wir auch mit Männern verbinden und nicht mit Frauen. Man sagt auch „Think management, think male“. Wenn Sie sich dieser Stereotypen nicht bewusst sind und eine Führungsposition wird ausgeschrieben, wer wird diese Stelle dann wohl bekommen? Natürlich der Mann. Alle im Betrieb – Frauen wie Männer – müssen sich klar sein, dass diese Fallen da sind. Erst, wenn ich in meinem Denken eine Sensibilität dafür habe, kann ich eine Stelle besetzen, ohne mich von diesen Vorurteilen leiten zu lassen.

Zweitens sollten Werdegänge und Karrieren so gestaltet werden, dass sich Frauen nicht dann, wenn Karrieren in der Regel eingetütet werden – nämlich zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr –überdurchschnittlich stark Familienpflichten annehmen müssen. Deswegen müssen sie ihre Arbeitszeit ein Stück weit reduzieren können und brauchen eine gewisse Flexibilität. Das widerspricht im Moment aber der Art und Weise, wie Karrieren gemacht werden. Nämlich durch ganz starke Präsenz- und Überstundenkultur. Und wenn ich dann nicht ganz so präsent bin und mein Arbeitsumfeld nicht so flexibel ist, mal ein Meeting um 7 Uhr morgens oder 21 Uhr abends abzuhalten oder eine längere Besprechung mal während eines Mittagessens ermöglicht, dann kann das ein Karrierebruch sein, wenn ich eben neben der Arbeit auch noch anderes zu erledigen habe. Es gilt, darüber nachzudenken, wie man Karrieremodelle und Führungskarrieren in Zukunft umgestaltet.

Drittens muss man Frauen auf Karrieren und Führungspositionen auch vorbereiten. Dazu gehört die ganze Palette, die man angehenden Führungskräften immer anbietet, nämlich Coaching- und Mentoren-Programme und Netzwerken. Denn Karrieren werden vor allem durch Netzwerke gemacht: Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort das Richtige zu sagen. Um das zu erreichen, bedarf es Unterstützung.

Nicht zuletzt ist ein wichtiger Faktor, damit mehr Frauen Karrieren in Führungspositionen machen können, dass Männer mehr Familienpflichten übernehmen. Nur, wenn wir es auch Vätern ermöglichen, berufliches und privates zu vereinbaren, haben wir eine Chance auf Chancengleichheit. Nur wenn den Blick auf Familienpflichten Männer und Frauen gleichermaßen wahrnehmen und die entsprechende gesellschaftliche Akzeptanz dafür da ist, kann das gelingen.

 

Sie haben davon gesprochen, dass es bestimmte Coachings- und Mentorenprogramme benötigt, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Wie stellen Sie sich die vor?

Dr. Jutta Rump: Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass Frauen und Männer gleich behandelt werden sollten. Oft ist es aber so, dass Frauen ein besonderes Coaching benötigen, weil sie eben anders sozialisiert sind als Männer. Karrieren werden seit Jahrhunderten von Männern gemacht. Die Spielregeln, um Karriere zu machen, sind männlich definiert. Viele Männer bekommen quasi schon durch die Muttermilch mit, wie diese Spielregeln funktionieren. Wir Frauen dürfen dagegen erst seit kurzem mitspielen und sind auch anders aufgewachsen. Wir sind mit den Spielregeln im Sandkasten nicht so vertraut und brauchen deshalb besondere Unterstützung. Ich sage nicht, dass damit Männer benachteiligt werden sollen. Aber das hilft uns den anfänglichen Wettbewerbsnachteil, auszugleichen. Erst, wenn wir die Regeln verstehen, eingeübt haben und mitspielen dürfen, können wir die Regeln im Sandkasten vielleicht mal mittels eigener Erfolge verändern. Aber als ersten Schritt müssen wir erst mal in den Sandkasten gelassen werden. Selbst, wenn Männer keine spezielle Unterstützung erhalten, benötigen Frauen trotzdem Hilfe, dieses von Männern definierte System zu durchschauen.

 

Wir haben darüber gesprochen, was Wirtschaft und Gesellschaft für mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsplatz tun sollten. Welche Faktoren sollte denn eine ambitionierte Arbeitnehmerin für sich selbst beeinflussen?

Dr. Jutta Rump: Karriere bedeutet immer Eigenverantwortung. Je höher man nach oben kommt, desto mehr Eigenverantwortung ist nötig. Zu glauben, irgendwann wird schon mal jemand mein Potential erkennen und mich befördern, ist nicht erfolgsversprechend. Zur Karriere gehört auch, dass man Initiative ergreift. Das ist auch elementar für Führung. Deshalb erwarte ich, dass ambitionierte Frauen für sich selbst Position ergreifen, für sich selbst etwas tun und nicht warten, bis das Angebot im Betrieb da ist. Wenn ich ambitioniert bin, mache ich mir selbst Gedanken. Wer sich hinsetzt und wartet – egal ob Mann oder Frau –, ist nicht geeignet für eine Führungsposition.

 

Könnte angesichts dessen die „Frauenquote“ vielleicht sogar hinderlich sein, weil sie dazu verleitet, statt auf Eigeninitiative eher auf die Quote zu setzen?

Dr. Jutta Rump: Die „Frauenquote“ resultiert ausschließlich aus folgendem Phänomen: Wir wissen, dass sich Systeme nicht aus eigener Überzeugung heraus ändern, sondern in der Regel nur dann, wenn der exogene Druck oder die externen Faktoren so sind, dass sich das System ändern muss.

Ich beobachte seit 25 Jahren die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hinsichtlich mehr Frauen in Führungspositionen. Und eigentlich hat sich in diesem Zeitraum nichts geändert. Seit wir die „Frauenquote“ haben oder alleine die Androhung, es könnte eine geben, setzte jedoch eine Veränderung ein. Die „Frauenquote“ führte also dazu, dass die alten Muster im System überdacht und aufgebrochen werden. So muss man die Quote sehen und so ist sie eigentlich auch gemeint.

Die letzten neun Jahre haben aber auch gezeigt, dass von den Frauen, die über eine Quote in eine Führungsposition gekommen sind, mehr als die Hälfte gescheitert sind. Wenn ich mich also zurücklehne und mir sage: „Prima, die Quote spült mich nach oben“, dann muss ich gleichzeitig wissen, dass meine Quote zu Scheitern so immens ist, dass ich nur überleben kann, wenn ich exzellent bin, die Spielregeln kenne, sie auch genauso spielen kann und ein Rückgrat habe, das durchzustehen.

Die Quote mag in den ersten Jahren Frauen nach oben gespült haben. Aber die Frauen, die heute in Führungspositionen kommen, wissen genau, auf was sie sich einlassen. Und das ist hammerhart. Dazu kommt noch, dass allein der Verdacht, sie könnten über die Quote an diese Position gekommen sein, sie dazu verdammt, erfolgreich zu sein. Denn wenn sie nicht erfolgreich sind, bestätigen sie nur wieder den Stereotyp: „Die ist ja nur wegen der Quote hier“. Diejenigen, die danach kommen, haben es dann doppelt schwer.

 

Viele Männer tun sich schwer, Arbeitszeiten zu reduzieren, um beispielsweise mehr Zeit für die Kindererziehung zu haben. Die Angst, deshalb karrieretechnisch ins Abseits zu geraten, ist allgegenwärtig – gerade in Führungspositionen. Was müsste passieren, damit sich im Zuge besserer Chancengleichheit auch die Rolle des männlichen Arbeitnehmers ändert?

Dr. Jutta Rump: Wir brauchen Rollenvorbilder, die akzeptiert sind. Und daran fehlt es zurzeit. Wenn heute ein Mann mehr Zeit mit seiner Familie verbringt und das auch arbeitszeitmäßig einfordert, gleichzeitig aber Karriere machen will, dann sagen seine Kollegen: „Was für ein Weichei.“ Der größte Hemmschuh in diese Richtung ist aber oft die eigene Mutter. Weil die noch aus einer Welt kommt, in der es ein anderes Rollenverständnis gab. Wenn sich jetzt der Sohn um die eigenen Kinder kümmert, dann kann das die Mutter mit ihrem eigenen Rollenverständnis nicht vereinbaren. Wir brauchen also Rollenvorbilder, die dieses Thema nicht nur in die Wirtschaft, sondern auch in die Gesellschaft hineintragen.

Ein Antrieb zur Veränderung könnten die steigenden Lebenshaltungskosten sein. Das war ein entscheidender Faktor dafür, dass wir in Schweden eine breite Akzeptanz dafür haben, dass sich Männer und Frauen gleichermaßen um Familienpflichten kümmern. Der zentrale Hebel, weshalb dies so akzeptiert wurde, waren die enormen Lebenshaltungskosten und die enormen Steuerabgaben, die in Schweden in den 1970er und 1980er Jahren vorherrschten. Um diese Kosten zu bestreiten, mussten beide Elternteile berufstätig sein. Und wenn beide in Vollzeit arbeiten müssen, entwickelt sich irgendwann automatisch eine andere Aufgabenverteilung innerhalb der Familie. Wenn man nun in unser Land schaut, die steigenden Lebenshaltungskosten und die explodierenden Mietpreise sieht, dann hat man ökonomische Rahmenbedingungen, die ein ganz erheblicher Treiber dafür sein werden, dass alte Denkmuster aufgebrochen werden und über ein anderes Rollen- und Familienverständnis nachgedacht wird.

Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule Ludwigshafen. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen IBE. In zahlreichen Unternehmen und Institutionen ist sie als Projekt- und Prozessbegleiterin tätig.