Fazit: Die ungenutzte Chance!
Die Studie zeichnet ein problematisches Bild: Viele Mitarbeiter und Führungskräfte empfinden interne Regelungen als Bürde und nutzen sie nicht produktiv. Häufig können sie sich nicht vorstellen, dass Regelungen ihnen wirklich helfen könnten. Arbeitgeber sollten den Fokus bei diesem Thema daher nicht auf „Vorgabe“ und „Kontrolle“, sondern viel stärker auf die Faktoren „Relevanz“ und „Verständnis“ legen. Den Mehrwert durch vermiedene Schäden und höhere Harmonisierung sowie Standardisierung sehen die Studienteilnehmer nicht.

group of people doing jump shot photography
Foto von Husna Miskandar


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 5  September/ Oktober 2016.

Eines vorweg: Die praktische Relevanz interner Regelungen drückt sich auch in unseren Studienergebnissen aus. Ein Drittel der Befragten nutzt sie wöchentlich (29,9 %), mehr als 67 Prozent sogar täglich. Doch nur die wenigsten Unternehmen erschließen für sich den Mehrwert produktiver Regelungen. Meist fehlt das Bewusstsein dafür, wie sehr sich dieses vermeintlich langweilige Thema auf den Unternehmenserfolg auswirkt.

Relevanz für HR
Warum kommt HR dabei eine besondere Rolle zu? Erstens stellen Regelungen der Personalarbeit, wie zum Beispiel Einstufungs- und Kompensationsstandards, Dienstwagenrichtlinien oder Betriebsvereinbarungen, Eckpfeiler für alle Mitarbeiter dar. 


Sie gehören nach unserer Erfahrung auch zu den Regelungen, die Mitarbeiter besonders häufig benötigen. Wenn sie unklar, unlogisch oder nicht aktuell sind, kann dies schnell den Erfolg der Personalarbeit untergraben.

Zweitens spielen interne Regelungen für die Schulung von Mitarbeitern (insbesondere nach einem internen Wechsel oder Neurekrutierung) eine große Rolle. Sind diese nicht auf Stand, verlängert sich die Einarbeitungszeit und die Mitarbeiter sind weniger effektiv.

Drittens sind die meisten Mitarbeiter durch ihre Arbeitsverträge verpflichtet, alle internen Regelungen einzuhalten. Bei nicht gepflegten und intransparenten Regelungen kann HR seiner Aufgabe, eine arbeitsrechtliche Haftungsprävention für das Unternehmen sicherzustellen, nicht mehr ausreichend nachkommen. Damit wird es wesentlich schwieriger, rechtliche Schritte zu setzen, wenn Mitarbeiter ihre Pflichten verletzen.

Überregulierung als Problem?
Mehr als 50 Prozent aller Befragten und fast 60 Prozent der Führungskräfte empfinden interne Regelungen als Belastung und nicht als Hilfe. Einig (mit circa 90 Prozent) sind sich die Befragten auch, dass die Anzahl der Regelungen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen ist und weiter steigen wird (85 Prozent der Antworten).

Interessanterweise schätzen dennoch über 50 Prozent der Befragten die Zahl der internen Regelungen in ihrem Unternehmen auf weniger als 500, 30 Prozent gehen sogar von weniger als 100 Regelungen aus.

Wir wissen aber aus unserer praktischen Arbeit, dass die Zahl der Regelungen ab 500 Mitarbeitern schnell vierstellig wird – getrieben durch die organisatorische Komplexität (jede regionale Einheit benötigt aus rechtlichen Gründen sowie durch Zertifizierungsanforderungen ihr eigenes Set an internen Regelungen). Vor diesem Hintergrund lässt das Befragungsergebnis den Rückschluss zu, dass viele Mitarbeiter nur jene Regelungen wahrnehmen, die ihnen am nächsten sind. Zudem dürfte es in vielen Unternehmen an der notwendigen Transparenz und Übersicht und damit am Bewusstsein für den vorhandenen Regelbestand mangeln.

Unternehmenszentrale gegen lokale Einheiten?
Ein zentraler Faktor für die Produktivität von internen Regelungen ist die Schnittstelle zwischen „Oben“ und „Unten“, das heißt zwischen Konzernfunktionen und lokalen Einheiten. Die Frage, ob die Konzernzentrale auf lokale Gegebenheiten eingeht, wird von den Befragten unterschiedlich gesehen. Mitarbeiter aus zentralen Einheiten sind zu immerhin 52 Prozent und Führungskräfte aus der Zentrale zu 64 Prozent der Meinung, dass sie alles Notwendige getan haben, damit interne Regelungen für lokale Einheiten anwendbar sind. Im Gegensatz dazu fühlen sich nur 14 Prozent der Mitarbeiter vor Ort abgeholt. Lokale Führungskräfte sind immerhin zu 42 Prozent zufrieden – klar schlechter als die Befragten in der Konzernzentrale, aber weit zufriedener als die lokalen Mitarbeiter.

Diese Zahlen zeigen, dass Konzernregelungen zwar häufig bis zum lokalen Management durchdringen, dann aber die Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter vor Ort nicht mehr erreichen. Ein großes Problem, da die Regelungen ja meist erst bei ausführenden Einheiten an der Basis (also den Mitarbeitern) ihre Wirkung entfalten.

Das Top-Management haftet
Einer der kritischsten Punkte sind die Ergebnisse zur Rolle des (Top-)Managements. Die Hälfte aller Führungskräfte hat keinen Überblick darüber, welche und wie viele Regelungen in ihrem Unternehmen gelten. 44 Prozent sind sich sogar ihrer persönlichen Haftung nicht bewusst, die der Gesetzgeber über Vorgaben für die Handhabung und Bereitstellung von Regelungen und Vorgaben (Stichwort „Interne Kontrollsysteme“) festgelegt hat.

Hierbei spielt der rechtliche Kontext eine besondere Rolle. Um die persönliche Haftung von Vorständen und Geschäftsführern zu begrenzen, ist es notwendig, dass Regelungen aktuell und allen Mitarbeitern zugänglich sind. Außerdem sollten Arbeitgeber – insbesondere bei wichtigen Regelungen – eine nachweisbare Verständniskontrolle sicherstellen.

In der Studie haben wir darum auch die Frage gestellt, wie Unternehmen Regelungen vermitteln. Der Aussage „Das Top-Management informiert regelmäßig, wie und warum Regelungen zu beachten sind“ widersprechen 60 Prozent der Befragten. Weniger als ein Drittel erhielt bereits einmal eine Schulung zu einer Regelung. Knapp 47 Prozent werden vom Vorgesetzten und zwei Drittel nur über Intranet und E-Mails informiert (Mehrfachantworten möglich).

Der Mehrwert interner Regelungen
Am besten zeigt sich der Wert interner Regelungen, wenn Unternehmen diese nicht priorisieren. Im besten Fall führt dies nur zu Ineffizienzen, weil Mitarbeiter desorientiert sind (Wer macht was bis wann und warum?). Im weit schlimmeren Fall führen mangelhafte oder vor allem nicht verstandene und angewandte Regelungen zu Irregularitäten oder sogar zu Gesetzesverstößen und Unfällen.

An Beispielen wie Deepwater Horizon, VW oder anderen Skandalen, an denen nichtbeachtete Regelungen einen großen Anteil hatten, lässt sich erkennen, dass Schäden in die Millionen Euro gehen können.

Die Studie und ihre Teilnehmer
Welchen Stellenwert Regelungen in Unternehmen im deutschsprachigen Raum haben und wie diese intern gelebt werden – diesen Fragen sind wir von März bis Mai 2016 in einer Onlinebefragung nachgegangen. 336 Personen nahmen daran teil. Parallel zur offenen Befragung führten wir zu Vergleichszwecken für einzelne Unternehmen intern Befragungen in der Gesamtbelegschaft durch.

Die Teilnehmer der offenen Studie kommen zu fast 83 Prozent aus Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Das verwundert nicht. Da Organisationen ab dieser Unternehmensgröße deutlich komplexer werden, steigt ab diesem Schwellenwert üblicherweise auch die Zahl der internen Regelungen signifikant. Mehr als die Hälfte (57,1 %) der Teilnehmer sind Führungskräfte mit Budget- und Mitarbeiterverantwortung (inklusive Vorständen und Geschäftsführern). 35,7 Prozent sind Mitarbeiter (inklusive Fachexperten), 7,2 Prozent Führungskräfte ohne Mitarbeiterverantwortung. 

Bezeichnenderweise kommen die mit Abstand meisten Antworten (16,7 %) aus dem Bereich „Bank, Finanzen, Versicherungen“ – der Branche, die seit Jahren wie keine andere mit einer Flut an neuen Regelungen konfrontiert ist. Die nächststärksten Branchen sind „Dienstleistung & Beratung“ mit 11,6 Prozent und die Regelungs-intensiven, technisch geprägten Branchen „Hightech, Elektro & IT“ mit elf Prozent sowie „Energie, Öl, Versorgung“ mit 8,5 Prozent.

Für alle immer und überall verfügbar
Auch die Zugänglichkeit interner Regelungen spielt eine zentrale Rolle für deren Wirksamkeit. 73 Prozent der Befragten geben an, dass es einen zentralen Punkt gibt, zum Beispiel eine IT-Plattform, an dem alle Regelungen auffindbar sind. Aber nur 22 Prozent können diesen Punkt benennen. Bei unseren unternehmensinternen Befragungen wurde dies ähnlich beantwortet: Die Mitarbeiter gaben großteils an, dass es einen zentralen Punkt gibt – unsere Ansprechpartner benannten aber mehrere Ablagepunkte für interne Regelungen. Dies bestätigt die bereits getroffene Schlussfolgerung, dass Mitarbeiter lediglich die internen Regelungen wahrnehmen, die ihnen am nächsten sind, und in Folge möglicherweise relevante, aber an anderen Orten hinterlegte Vorgaben nicht berücksichtigen.

Verstehen Sie das?
Beim Thema „Verständnis und Relevanz“ interner Regelungen ergibt sich ebenfalls ein bedenkliches Bild: Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter und 25 Prozent der Führungskräfte wissen nicht, welche Vorgaben für ihre tägliche Arbeit relevant sind. Vertiefend beklagen 63 Prozent aller Mitarbeiter und mehr als 56 Prozent aller Befragten, dass die Regelungsinhalte schlecht strukturiert sind. Diese Antworten zeigen deutlich, dass die wenigsten Unternehmen ihre Regelungen als produktiven Faktor nutzen.