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Foto von Clayton Cardinalli

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Was haben eigentlich unser Finanzminister Peer Steinbrück und der slowenische Philosoph Slavoj Žižek1 gemeinsam? Diese Frage brennt wirklich auf den Nägeln, oder?
Nun, Steinbrück dürfte für seine Schelte unserer Nachbarn wegen deren Beihilfe zur Steuerhinterziehung bekannt sein. Also zuerst zu Žižek.
Ich gebe zu, dass ich Žižek erst kürzlich in einer meiner Lieblingssendungen des Schweizer Fernsehens „Sternstunde Philosophie“2 kennen gelernt habe. Ich war fasziniert: ein brennend passionierter Denker, Sozialist und Kenner unserer PopulärKultur (z.B. Filme, Werbung und Anekdoten). Er mixt klassische Philosophie, Lacan’sche Psychoanalyse und Gesellschaftskritik zu einem wilden und inspirierenden Cocktail zusammen.
Als Beispiele 3 Thesen:

1) Die Maske ist die eigentliche Wirklichkeit unserer Persönlichkeit, der Wirtschaft und der Politik. Es werden Images gepflegt, die konkretes Tun verschleiern.

2) Früher hinderten uns moralinsaure Vorstellungen wie z.B. Sexualfeindlichkeit am Lebensgenuss. Heute hindert uns ein Diktat des Genießen müssen daran, uns aufrichtig zu begegnen.

3) Die Christliche Religion in die atheistischste von allen. Mit Jesus ist Gott gestorben. Es bleibt nur der heilige Geist, der nur dann überlebt, wenn wir Menschen ihn zwischen uns pflegen.

Seine Freunde nennen ihn Fidel, aber nicht wegen seiner linken Gesinnung, sondern weil er wie jener ankündigt: Freunde, dazu muss ich kurz was erklären und dann 5 Stunden lang redet.

Und wo bleibt Steinbrück? Kommt gleich!

Dieser Žižek überrollt einen geradezu mit seinen unkonventionellen Ideen, seiner Kompromisslosigkeit, seinem respektlosen Tanz über Disziplingrenzen hinweg. Seine Kritiker stürzen sich dann auf seinen Stil und darauf, dass er sich nicht an die Gepflogenheiten hält. Seine Kritiker würden geradezu gehässig zu Stil-Fragen Stellung nehmen und seine inhaltlichen Aussagen beiseite lassen.
Ja, und darüber beklagt sich Steinbrück auch. Zu recht?

Das kennen viele. Innovativen oder kritischen Einwänden begegnet man mit Desinteresse und bestenfalls mit freundlichen Versuchen, alles wieder in den Mainstream zurückzulenken, auch wenn dieser in verrückte Welten fließt. Wenn Querdenker dann unbequem werden, werden sie wegen Stil-Fragen disqualifiziert. Man versucht sie als Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Die Karawane zieht weiter. Wir kennen das auch aus der Therapie von Familien mit psychotischen Angehörigen. Diese “Verrückten” sehen oft etwas völlig richtig, wenn auch in nicht leicht nachvollziehbaren Dimensionen und Zusammenhängen. Das System verlangt dann zuerst das Zurückrücken in Normalität. Die verrückte Wahrheit findet wenig Beachtung. Ist das gerecht?

Ja und Nein. Wer andere nicht erreicht, mit dem, was er für das Gemeinwesen möchte, spielt in der kulturellen Evolution nicht mit. Seine Inhalte mögen noch so wertvoll sein. Umgekehrt: Wenn die Welt hinhört, darf jeder Rattenfänger mitspielen.
Auf jeden Fall ist es die Ästhetik, die oft über Erfolg in der kulturellen Evolution entscheidet. Daher sollte der Stil, der Umgang mit anderen uns nicht egal sein, wenn uns die Inhalte wirklich wichtig sind. Der Ton macht letztlich die Musik. Behalten am Ende solche Mahner recht, die nicht den Wohlklang-Gewohnheiten ihrer Zeit entsprochen haben, dann ist das tragisch gerecht, aber eben evolutionär nutzlos.
Wo sind da die richtigen Mittelwege und von wem kann man erwarten, dass er zugleich leidenschaftlich und leicht zu nehmen ist?

Egal wie, wir sollten Menschen wie Steinbrück oder Žižek zuhören und uns dabei beobachten, wann wir abschalten oder sie wegen ihres Stils disqualifizieren wollen. Vielleicht sind sie nur unbequem, haben aber doch recht und wir haben weniger recht, wollen uns aber nicht irritieren lassen.

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Slavoj_%C5%BDi%C5%BEek ; http://tvprogramm.sf.tv/details/0f00d811-f924-414d-93d7-1f0bf065c6bc
2 http://podcastsource.sf.tv/media/sf/podcast/sternstundephilosophie/2009/05/
sternstundephilosophie_20090517_110543_526k.m4v (Videodownload ) von Website Sternstunden http://www.sf.tv/podcasts/feed.php?docid=ssp

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