Arbeitsmarkt im Wandel: Zwischen Fachkräftemangel und Digitalisierung
Auf dem Arbeitsmarkt ist vieles in Bewegung: Manche Branchen kämpfen derzeit mit einem Überangebot an Kandidaten, andere ringen um jede qualifizierte Bewerbung. Parallel zur Fachkräftesituation schreiten Digitalisierung und struktureller Wandel mit hoher Geschwindigkeit voran und fordern von Unternehmen innovative und flexible Lösungen – insbesondere von Personaldienstleistern und Zeitarbeitsfirmen, die im Spannungsfeld zwischen Arbeitskräftemangel und neuen Technologien agieren.
Das bedeutet: Sie stehen heute an der Schnittstelle zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. „Prognosen werden schwieriger, Planungsintervalle kürzer,“ sagt Susanne Wißfeld, Geschäftsführerin Business Innovations & Concepts von Randstad. Der Druck, passgenaues Matching zu liefern, wächst – ebenso wie der Bedarf, Prozesse zu digitalisieren, und Kundenbeziehungen nachhaltig zu gestalten.
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Neue Realität, neue Rollen: Stimmen aus der Branche
Der Wandel ist spürbar – aber er zeigt sich in jeder Organisation anders. Zwischen Fachkräftemangel, Kostendruck und digitalem Umbruch müssen Personaldienstleister heute oft neu definieren, was Effizienz, Partnerschaft und Wachstum bedeuten.
Wir wollten wissen: Welche Veränderungen bleiben, welche sind nur Übergangsphänomene? Und welche Weichen müssen Unternehmen jetzt stellen, um in zwei Jahren noch vorne mitzuspielen?

Christian Freund, Senior Sales Director DACH, Indeed:
„Wir beobachten, dass sich unsere Kunden intensiv mit neuen Geschäftsfeldern und der Ausweitung des eigenen Leistungsschwerpunktes beschäftigen. Die Spezialisierung auf einzelne Branchen, wie beispielsweise die Automobilindustrie, war früher sicherlich eine Stärke. Sie entpuppt sich allerdings in Zeiten der Krise auch als Herausforderung, die einen deutlichen Diversifizierungsbedarf bei vielen Personaldienstleistern offenlegt.“

Atena-Rabou-Degenkolbe, Head of Aquisition and Employer Branding, The Stepstone Group:
„Das Recruiting hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Gesucht werden heute zunehmend spezialisierte Profile mit Skills, die sich durch die Digitalisierung und neue Technologien stark verschoben haben. Es wird immer schwieriger, Menschen zu finden die diese Fertigkeiten mitbringen. Deshalb sind Unternehmen zunehmend bereit, passende Kandidat*innen besser zu vergüten – auch auf Junior-Level. Das verschärft zum einen den Wettbewerb um Talente, gleichzeitig verändern sich aber auch die Erwartungen junger Berufseinsteiger*innen, insbesondere in Bezug auf das Gehalt und die Tätigkeiten im Job.“
Florian Swyter, Hauptgeschäftsführer, Gesamtverband der Personaldienstleister e. V.:
„Besonders die gewerbliche Wirtschaft, vorne dran die Autoindustrie, erlebte erhebliche Rückgänge in Wachstum und Beschäftigung. Folglich hat diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Personaldienstleistungsbranche, wie vor allem der Rückgang der Zeitarbeitskräfte von fast 10% innerhalb des letzten Jahres zeigt. Viele Personaldienstleister haben richtigerweise mit Maßnahmen zur Kostensenkung und Effizienzsteigerungen reagiert.
Was sich besonders verändert hat, ist die Rolle der Personaldienstleister selbst: Sie sind heute weit mehr als reine Vermittler von Arbeitskräften. Sie sind strategische Partner für Unternehmen, wenn es darum geht, Personalengpässe zu überbrücken, neue Zielgruppen zu erschließen und flexible Beschäftigungsmodelle zu gestalten.“

Robin Gollbach, CEO, Freelance:
„Wir erleben aktuell eine deutliche Marktkonsolidierung in der Personaldienstleistungsbranche. Kleinere Anbieter werden es künftig schwer haben, wenn eine klare Positionierung und ausgeprägte Nischenexpertise fehlen. Gleichzeitig spüren wir, dass Unternehmen deutlich zurückhaltender sind, wenn es darum geht, Projekte mit externen Experten zu besetzen – das macht die Arbeit für Recruitment Consultants anspruchsvoller.“

Stefan Kramer, CEO, Zvoove:
„Der Fachkräftemangel, steigende Kosten und wirtschaftliche Unsicherheit haben uns gezwungen, schneller, digitaler und zugleich menschlicher zu werden.
Besonders deutlich hat sich die Art der Ansprache von Talenten verändert: Heute geht es nicht nur darum, Positionen zu besetzen, sondern echte Verbindungen aufzubauen – mit Menschen, die zum Unternehmen und seiner Kultur passen.“

Felix Adam, CEO, Mona AI:
„Wir sehen täglich, dass klassische manuelle Abläufe nicht mehr tragfähig sind. Der größte Wandel ist daher die Akzeptanz, dass KI und Automatisierung keine Zukunftsthemen mehr sind, sondern längst betriebliche Realität.“
Vom Reagieren zum Gestalten: Strategien für die Zukunft
Unsere Expert:innen betonen die zunehmende Digitalisierung und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) sowohl als Herausforderung als auch als Chance. Wichtig ist es hier, diese Chance auch strategisch zu nutzen: „Unternehmen und Personaldienstleister müssen jetzt vom Reagieren ins Gestalten kommen – mit Mut zur Innovation, Offenheit für neue Zielgruppen und einem klaren Fokus auf die Menschen, die im Mittelpunkt aller Veränderungen stehen,“ so Florian Swyter vom Gesamtverband Personaldienstleister e. V..
Wie das konkret aussehen kann, zeigen die Perspektiven unserer Expert:innen:
Florian Swyter, Hauptgeschäftsführer, Gesamtverband der Personaldienstleister e. V.:
„Der Schlüssel liegt in drei Bereichen: Strategische Partnerschaft, Qualifizierung und Digitalisierung.
Erstens braucht es eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Personaldienstleistern. Nur wer Personalstrategien frühzeitig gemeinsam denkt – von der Bedarfsplanung bis zur Talentbindung – kann in einem angespannten Markt schnell und passgenau reagieren.
Zweitens müssen beide Seiten stärker auf Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung setzen. Der Fachkräftemangel lässt sich nicht allein durch Recruiting lösen. Investitionen in Upskilling und Nachqualifizierung sind unverzichtbar, um den zukünftigen Personalbedarf zu decken. Personaldienstleister können hier eine zentrale Rolle übernehmen, indem sie Qualifizierungsangebote gezielt mit der Arbeitsvermittlung verknüpfen.
Drittens ist die konsequente Digitalisierung der Prozesse entscheidend: Von der digitalen Bewerberkommunikation über automatisierte Matching-Systeme bis hin zu KI-gestützten Kompetenzanalysen. Wer hier frühzeitig investiert, gewinnt Zeit, Qualität und Reichweite.“

Felix Adam, CEO, Mona AI:
„Für die nächsten zwei Jahre müssen Personaldienstleister vor allem eines tun: Ihre Prozesse intelligent optimieren und idealerweise automatisieren. Wer jetzt KI-gestützte Systeme einführt, etwa zur Bewerberkommunikation, Profilanalyse oder Disposition, handelt endlich proaktiv, statt nur zu reagieren. Unternehmen, die diesen Schritt verpassen, werden in wenigen Jahren schlicht zu teuer und zu langsam sein.“

Robin Gollbach, CEO, Freelance:
„Mittelfristig wird der Bedarf an externen Expertinnen und Experten wieder steigen. Denn Flexibilität bleibt die wirksamste Antwort auf Kostendruck und Unsicherheit. Wer sich heute darauf vorbereitet, wird morgen direkt durchstarten können.“

Atena-Rabou-Degenkolbe, Head of Aquisition and Employer Branding, The Stepstone Group:
“Erfolg im Recruiting hängt künftig noch stärker von klaren Prozessen und einer starken Candidate Experience ab. Unternehmen sollten einen sauberen, zur eigenen Kultur passenden Recruiting-Prozess etablieren, Ziele klar an der Unternehmensstrategie ausrichten und ihre Mitarbeitenden im Umgang mit HR-Technologien und KI schulen.
Zwar kann Automatisierung helfen, Prozesse effizienter zu gestalten, entscheidend bleibt aber der menschliche Faktor: nur wer Bewerbende wertschätzend, transparent und schnell durch den Prozess führt, wird sich im Wettbewerb um Talente behaupten.”

Christian Freund, Senior Sales Director DACH, Indeed:
„Ein Digitalisierungskonzept mit klarem Fahrplan, ein hochperformanter, aktiver Vertrieb sowie eine Diversifizierungsstrategie sind unverzichtbare Pfeiler für nachhaltiges und resilientes Wachstum in diesem Umfeld.“
Susanne Wißfeld, Geschäftsführerin Business Innovations & Concepts, Randstad:
„In einem größeren Kontext gesehen braucht die Wirtschaft Flexibilität, gerade in herausfordernden Zeiten. Wir Personaldienstleister leisten hier einen zentralen Beitrag – insbesondere bei der Überbrückung von Personalengpässen in allen Qualifikationsstufen.
Sobald die Wirtschaft wieder anzieht, werden wir den Arbeitskräftebedarf, insbesondere im qualifizierten Bereich in Deutschland aber nur decken können, wenn wir Personaldienstleister endlich auch Fachkräfte aus Drittstaaten rekrutieren und bei unseren Kunden einsetzen dürfen.“

Stefan Kramer, CEO, Zvoove:
„Unternehmen und Personaldienstleister müssen die Weichen klar auf Innovation, Zusammenarbeit und Haltung stellen.
Das beginnt mit einer ehrlich gelebten Arbeitgebermarke: Menschen wollen wissen, wofür ein Unternehmen steht – kulturell, ökologisch und sozial. Gleichzeitig braucht es eine konsequente Digitalisierung der Prozesse, um Geschwindigkeit und Transparenz zu gewinnen – vom Recruiting über die Disposition bis hin zur Lohnabrechnung.
Ebenso wichtig ist der Fokus auf Weiterbildung und interne Mobilität: Der Fachkräftemangel lässt sich nicht allein über externe Rekrutierung lösen. Wer in Menschen investiert, schafft Loyalität und Kompetenz zugleich.
Und zuletzt: Mut zur Veränderung. Die Branche braucht weniger Reaktion und mehr Gestaltung – also den Willen, Technologie, Daten und Empathie intelligent zu verbinden. So wird aus dem Druck der Transformation ein echter Wettbewerbsvorteil.“
Was bleibt: Wandel als Dauerzustand und Chance
Die Stimmen aus der Praxis machen deutlich: Die Personaldienstleistung steht nicht nur vor einem technologischen, sondern vor einem kulturellen Wandel. Digitalisierung, Qualifizierung und Partnerschaft sind dabei die gemeinsamen Nenner einer Branche, die sich zunehmend als strategischer Gestalter versteht.
Klar ist: Wer jetzt in Menschen, Technologie und Haltung investiert, legt das Fundament für nachhaltigen Erfolg. Die Zukunft der Arbeit wird nicht von Algorithmen oder Tools allein entschieden, sondern von jenen, die sie strategisch, verantwortungsvoll und mutig einsetzen.