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Die in Russland geborene Bewerberin, Frau Galina Meister, bewarb sich im Alter von 45 Jahren auf eine Stelle eines/einer Softwareentwicklers/in, ausgeschrieben von Speech Design Carrier Systems GmbH. Frau Meister ist Inhaberin eines russischen Diploms als Systemtechnik-Ingenieurin, dessen Gleichwertigkeit mit einem an einer deutschen Fachhochschule abgeschlossenen Studium der Fachrichtung Informatik bescheinigt war. Ihre Bewerbung blieb erfolglos: ohne zu einem Gespräch eingeladen zu werden, erhielt sie eine Absage ohne Begründung.

Die Klägerin meint, sie sei wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft abgelehnt und aus diesen Gründen gegenüber einem/-er anderen Bewerber/-in  benachteiligt worden. Sie erfülle alle in der Stellenanzeige genannten Anforderungen. Bewerber mit besseren als ihren fachlichen Kenntnissen könne es in dem vom Unternehmen gewünschten Bereich objektiv kaum geben. Aus den allgemeinen Statistiken in der IT-Branche ergebe sich eine ausgeprägte geschlechtsbezogene Diskriminierung: In entsprechenden Unternehmen arbeiteten überwiegend Männer.

Sie erhob Klage beim Arbeitsgericht und macht gegen das Unternehmen zum einen Ansprüche auf Entschädigung wegen Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Höhe von 6 Monatsgehältern à EUR 3.000 (EUR 18.000) geltend. Sie verlangt außerdem Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers; dies war erforderlich, da sie letztlich nicht wusste, ob, wer und aufgrund welcher Kriterien ein(e) andere(r) Bewerber(in) eingestellt worden war, und ob der/die  eingestellte Bewerber/-in  fachlich schlechter oder besser qualifiziert war als sie. Das Bundesarbeitsgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob ein abgelehnter Bewerber einen Anspruch auf Auskunft gegen das Unternehmen habe, ob ein anderer Bewerber eingestellt wurde und wenn ja, auf Grund welcher Kriterien.

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH verneint einen Anspruch des abgelehnten Bewerbers auf Auskunft darüber, ob ein anderer Bewerber eingestellt wurde und aufgrund welcher Kriterien dies geschehen ist. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass die Auskunftsverweigerung durch den Arbeitgeber ein Indiz für eine unzulässige Diskriminierung sein könne.

Zu den in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkten für eine Diskriminierung könne insbesondere der Umstand gehören, dass ein Arbeitgeber jeden Zugang zu Informationen der Stellenbesetzung verweigere – auch wenn der Bewerber diese Informationen explizit einfordere. Darüber hinaus könne auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass der Bewerber hinreichend qualifiziert und trotzdem nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei.

Hintergrund:
 
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Diskriminierungen  aus den in § 1 AGG genannten Gründen – unter anderem wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft oder des Alters. Bewerber, die glaubhaft machen können, wegen eines solchen Grundes benachteiligt worden zu sein, können vom Arbeitgeber Schadensersatz und Entschädigung verlangen (§ 15 AGG).

Bei der Geltendmachung dieser Ansprüche werden abgelehnte Bewerber, die sich diskriminiert fühlen, durch § 22 AGG begünstigt. Die Vorschrift gewährt eine Beweiserleichterung dahingehend, dass der abgelehnte Bewerber nur Indizien vorlegen muss, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Gelingt dieser Nachweis von Indizien, trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast, dass keine Diskriminierung vorliegt.

Für abgelehnte Bewerber besteht in der Praxis häufig das Problem, dass sie keine Indizien vorbringen können, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG genügte es auch nicht, dass der abgelehnte Bewerber gleichsam “ins Blaue hinein” behauptet, trotz Erfüllung der in der Ausschreibung verlangten fachlichen Anforderungen sei er/ sie abgelehnt worden. Bewerber mussten zumindest einen weiteren Umstand vortragen, der für die Benachteiligung spricht.

Den Bewerbern fehlen aber regelmäßig Kenntnisse, aus welchen Gründen ihre Bewerbung unberücksichtigt bleibt, und auch darüber, ob Unternehmen die ausgeschriebene Stelle überhaupt besetzt haben. Auch der Umstand, dass sich eine Frau von über 45 Jahren mit russischer Herkunft in der IT-Branche beworben hat, gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unter anderem wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe unterblieben ist. Auch wenn der abgelehnte Bewerber pauschal vorbringt, in der IT-Branche würden Frauen diskriminiert, kann dies keine Indizwirkung für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts entfalten.

Dass Unternehmen einen Bewerber, der sämtlichen in der Stellenausschreibung geforderten Anforderungen genügt, nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, begründet für sich noch nicht den ersten Anschein, dass dies auf einem der Gründe des § 1 AGG (mit)beruht. Vielmehr kann dies vielfältige andere Ursachen haben. Das AGG verbietet auch eine unsachliche Behandlung aus anderen als den in § 1 AGG genannten Gründen nicht, hierunter fallen „weiche Kriterien“ wie Sympathie, Gefallen, persönliche Empfehlung oder Dialekt.

Konsequenzen für die Praxis:

Arbeitgeber können zunächst einmal aufatmen: Einen unmittelbaren Auskunftsanspruchs für abgelehnte Bewerber gibt es nicht. Eine anderslautende Entscheidung des EuGH hätte weitreichende Folgen gehabt. Sämtliche abgelehnten Bewerber hätten von einem Arbeitgeber Auskunft über den Ablauf und den Abschluss eines Bewerbungsverfahrens beanspruchen können. Dies hätte zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand für den Arbeitgeber geführt.

Dennoch bedeutet das Urteil keine volle Entwarnung. Der EuGH hat mit dieser Entscheidung Arbeitgebern wohl die Aufgabe gestellt, gewisse Informationen zum Bewerbungsverfahren gegenüber abgelehnten Bewerbern auf Anfrage doch zu offenbaren. Unternehmen müssen deshalb möglicherweise die bisherige Praxis, Ablehnungen überhaupt nicht zu begründen, überdenken. Die Auskunftsverweigerung kann, jedenfalls zusammen mit weiteren Umständen, geeignet sein, bei einem objektiv geeigneten Bewerber zu einer Umkehr der Beweislast gem. § 22 AGG zu führen.

Gegenüber einem objektiv geeigneten Bewerber können Arbeitgeber auf Nachfrage nicht mehr kategorisch jegliche Auskunft verweigern. Jedenfalls auf Nachfrage werden Unternehmen wohl Ablehnungskriterien nennen müssen.

Arbeitgeber sollten weiterhin darauf achten, alle Schritte im Bewerbungsverfahren lückenlos zu dokumentieren. Verlangt ein abgelehnter Bewerber eine Auskunft, muss es möglich sein, objektive Gründe für die Ablehnung zu nennen. Dies können etwa bessere Noten, bessere Qualifizierung, mehr Berufserfahrung oder umgekehrt Tippfehler in den Bewerbungsunterlagen sein.

Die Auskunft erstreckt sich jedoch nicht auf die eingestellte Person; Bewerbungsunterlagen oder Einzelheiten daraus sind nicht offenzulegen (Vertraulichkeit; vgl. EuGH, 21. Juli 2011 – Rs. C-104/10-Kelly). Vielmehr genügt die Mitteilung, dass die Stelle besetzt wurde und welche Qualifizierungsmerkmale hierfür maßgebend waren.

Offen ist, ob (zunächst) auch pauschale Hinweise auf eine “bessere” Qualifikation der eingestellten Person genügen.