Warum nicht mal Beschäftigte in die
Kreativschmieden der Coworking Spaces schicken?

person holding pencil near laptop computer
Foto von Scott Graham

Kongresse. Messen. Restaurants. Betriebsbesichtigungen. Industrie- und Handelskammern. Akademien. Die Liste der personalpolitisch akzeptierten Destinations für Beschäftigte lässt sich fortsetzen. Übrigens auch durch so genannte Coworking Spaces; also Räume für Start-Ups, Freelancer, temporäre Teams und Unternehmen. Es gibt sie zwischen Wilhelmshaven, Hamburg, Krefeld, Wuppertal und Dresden bis runter zu Bad Tölz und Dießen am Ammersee. Die Website coworking.de weist bundesweit über 150 Spaces aus. Ihr kreativer Spirit verrät sich an den Namen: „Pionierhaus Krefeld“, „GarageBilk“, „Unperfekthaus“ oder „Gewächshaus Düsseldorf“. Da mag „Bürogemeinschaft Fürstenwall 228“, „Solution Space“ und „myOffice Steinbach“ noch bürokratisch vertraut klingen. Alle Spaces wollen diese Dimensionen zusammenbringen: Arbeit | Sozial | Kontakt | Wirtschaft | Information | Lernen | Teilen | Diskussion | Spiel | Entwicklung.

Die Mutter der Netzwerkorte ist das Betahaus in Berlin. Gegründet wurde es von Tonia Welter, Gregor Scheppan, Stephan Bielefeldt, Madeleine von Mohl, Max von der Ahé und Christoph Fahle im Januar 2009, die offizielle Eröffnung in Berlin fand im April 2009 statt. Die ursprünglich 400 Quadratmeter große Fläche ist auf heute 2.500 Quadratmeter angewachsen. Mehrere hundert Mitglieder tummeln sich inzwischen dort. Erfolgreiche Unternehmen wurden hier gegründet, bahnbrechende Produktideen wurden entworfen und kreative Teams fanden sich.

                      Coworking-Mythen entkräftet
                      (gesehen bei: Startplatz.de)

                        1 | Coworking ist ein neues Wortlabel für das Gemeinschaftbüro.
                         > Coworking bedeutet Netzwerkarbeit.

                             2 | Die Spaces sind laut; konzentriertes Arbeiten ist unmöglich
                             >  Spaces bieten verschiedene Räume. Rücksicht gehört zur Space-Etikette!

                                3 | Das Beste am Space sind die Kontaktmöglichkeiten
                                >  Es geht um Synergien aus Mentoren, Investoren, Unternehmen,
                                    Freelancern & Kommune.

Wirtschaftsfördergesellschaften und Unternehmen
haben Spaces schon für sich entdeckt

Unternehmensberatungen und Wirtschaftsfördergesellschaften wissen um das kreative Potential der Coworking Spaces und beteiligen sich daher ideel oder finanziell an denselben, wie zum Beispiel in Münster, Nürnberg, Frankfurt und Münster. In Köln unterstützt KPMG den Space „Startplatz“ und stellt sich den Mitgliedern und Interessenten selbst als Netzwerk von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen vor. Zwei Ansprechpartner bieten jeweils am letzten Freitag eines Monats eine KPMG-Sprechstunde an. Als weitere Partner treten unter anderem AXA und die Kanzlei Osborne Clarke auf.

Das Portal „Gründerszene“ berichtete im August 2015, wie der Konzern Bayer in Berlin versucht, von den vielen Start-ups und Kreativen zu profitieren. Zitat: „Eigene Kräfte und Erfahrungen sollen mit den frischen Ideen und dem digitalen Ansatz von Startups kombiniert werden – um am Ende im unerschöpflichen Gesundheitsmarkt auf dem Laufenden zu bleiben“. Über die Website grants4apps.com formiert Bayer derzeit ein Netzwerk von freien Radikalen. Aktuell wird Coworking in Barcelona geboten. Wie schon in Berlin lädt man Start-ups zum Wettbewerb und winkt den Gewinnern mit temporären Arbeitsplätzen im eigenen Hause, wie Kreative sie lieben. Kleine Büros, eine Küche. In Berlin gibt es sogar Dachterrasse. Als die fünf Gewinner – darunter Leute aus China und San Francisco – in der deutschen Hauptstadt einzogen, kam sogar Berlins Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung und fand für diese Aktion warme Worte. Und noch mehr hatte die Gewinner angezogen: 50.000 Euro Unterstützung und dass ihnen ein Mentor aus dem Konzern zur Verfügung gestellt wurde.  

Wirtschaftsförderungsgesellschaften geben oft guten Rat

Wer mehr darüber wissen will, wie er zu welchem Nutzen mit Coworking Spaces zusammenarbeiten kann, der sollte einmal nachsehen, inwiefern die Wirtschaftsförderungsgesellschaft seiner Region einen solchen Space hostet, unterstützt oder dessen Event-Programm mitgestaltet; wie zum Beispiel in Duisburg, Düsseldorf oder Münster. Die jeweiligen Gesellschaftsansprechpartner können Interessenten auf den Punkt beraten.

Die Preismodelle für die Space-Nutzungen sind sehr unterschiedlich, sie reichen von Stundenentgelten, Tages- und Monatstickets bis hin zu Kombipaketen, in denen Platz- und Gerätemieten mit Eventangeboten und Catering inkludiert sind.

Das Portal CoWorking-News.de berichtet außerdem laufend über spannende Aktionen in und rund um bundesweite Spaces. Die Website vermittelt zudem den innovativen ud kreativen Spirit der Szene; so dass interessierte Unternehmen für sich erwägen könne, inwiefern es sich für sie lohnen könnte, Mitarbeiter in die Spaces zu senden oder solche zu unterstützen.  

Showdown eines Unternehmen:
Am Raumkonzept entscheidend gescheitert?

Heute in 2015 wirtschaftet ein anderes Unternehmen in den zwei Stockwerken mit ihren zahlreichen Einzelbüros, in denen sich die beschriebenen Szenen abgespielt hatten. Die Sache ging nicht gut aus. Im Nachhinein ist man immer klüger. Und das Kind schüttet derjenige mit dem Bad aus, welcher alle damaligen kreativen Personalentscheidungen in einem Streich verurteilt. Ein kriselndes Projekt mit Freien zu durchsetzen, tat der gebeutelten Quote damals gut; wenn auch nicht so wie von der Agentur erhofft. Die Reibereien zwischen den Leuten waren vorprogrammiert – so sind eben Menschen.

Ein entscheidender Punkt aber hätte anders gestaltet sein können: Die meisten Berater verfügten über ein eigenes Büro für die vertraulichen Gespräche mit Klienten. Wenige saßen mit einem zweiten Kollegen auf 15 bis 20 Quadratmetern. Zusammenkünfte von mehreren Mitarbeitern gab es zu wöchentlichen Meetings. Der maßgebende Vorgesetzte saß in einem Bürokomplex auf der anderen Straßenseite. Dieses Raumkonzept ließ zwar alle Beteiligten trotz schlechtem Betriebsklima reibungslos – auch aneinander vorbei – arbeiten, verhinderte jedoch in großem Stil, dass der frische Wind der Neuen, Ihr Können, Ihre Sicht die anderen Beschäftigten motivieren konnte.

Bis heute wurden entscheidende Fragen nie gestellt:

>> Was wäre aus der Filiale geworden, wenn viele Beschäftigte mit den
     freien Mitarbeitern in einem Großraumbüro gesessen hätten?

>> Was wäre gewesen, wenn der Vorgesetzte wöchentlich alternierend in einem    
     Einzelbüro in jeweils einem anderen Beraterstockwerk gearbeitet hätte?

>> Was wäre aus der Filiale geworden, wenn jedem Stammbeschäftigten ein Freier ins    
      Zimmer gesetzt worden wäre, wenn man sie zu Tandems vereint hätten?   

>> Was hat die Raumsituation mit den Beschäftigten gemacht? Welche psychologischen  
     Distanzen und welche Nähe hat er zwischen ihnen geschaffen?

Fotos: (1) Detlef Menzel | pixelio.de (2) Manuel Bendig | pixelio.de

 

Der Chef sitzt allein – so viel
Raumverständnis existiert wohl doch

Jeder Intendant oder Regisseur überlegt sich vor einer Programmgestaltung und Inszenierung, welchen Raum er für ein Stück braucht. Kammerstücke spielt man nicht in der Mailänder Skala. Heldische Geschichten wirken in engen, winzigen Grotten eigentümlich und in einem verlassenen Tunnelstück sollte man ein Drama über die Himmelfahrt nur inszenieren, wenn man mit dem Gegensatz von Bunker und Stückinhalt spielen will.

Das Theater arbeitet mit keinen anderen Gesetzmäßigkeiten als denen der Psychologie. Ursachen und Wirkungen bleiben dieselben, verlagert man Interaktionen und Dialoge aus den Kulissen ins Büro oder an den Werkplatz. Auch personalpolitisches Denken arbeitet mit dem Raum; vor allem in hierarchischer Hinsicht: Bosse sitzen nicht zufällig in Einzelbüros. Also: Ein gewisses Raumverständnis besitzt jeder arbeitende, führende und personalpolitische Mensch im Unternehmen.

Wollte man Räume neu denken, ginge es also darum, Raumphänomen konsequent durch zu deklinieren. Die aktuellen Aufhänger der Arbeitswelt dafür lauten: New Work. Digitale Verbindungen zwischen Geschäftspartnern rund um den Erdball. Neue Lebenskonzepte in der westlichen Arbeitsgesellschaft. Und immer lauter wird von Fachpresse und Managementkreisen ausgesprochen, dass Mitarbeiter dabei die Haltung von Entrepreneurs einnehmen sollten. Die Sache hat nur einen Haken: Dieser Entrepreneur besitzt ein anderes natürliches Raumverständnis als ein weisungsgebundener Untergebener.

Wenn der Steuerprüfer mit dem Rechtsanwalt wohnt

Was es damit auf sich hat, lässt sich am besten an der Geschäftswelt ablesen. Beispiel „Hausgemeinschaften“: Jeder ambitionierte Geschäftsmann sucht sich seine Wirkstätte auch nach seinen potentiellen Nachbarn aus. Wohl nicht ganz so zufällig sitzen im Mediapark Köln unter anderem Kultur-Unternehmen, Stiftungen, Galerien, Berufsschulen und -akademien für Kreative sowie Andere Tür an Tür mit Unternehmens- sowie Steuerberatungen. Auf profitable Nachbarschaften dürfen auch Rechtsanwälte nebst Wirtschaftsprüfern und Journalistenbüros bei gemeinsamer Wirkstätte hoffen. Liverpool galt lange als Mekka der Call Center. Und der Paypal-Gründer Peter Thiel trieb die Nachbarschaftsidee im September 2015 auf die Spitze, als er offiziell schwimmende Stadtinseln für digitale Communities forderte, auf denen sich die im Web Gleichgesinnten real treffen können; die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ berichtete groß.   

Diese zeitgenössischen Trends in der Wirtschaft unterlaufen zum Teil ein Prinzip, das jahrhundertelang Macht sicherte: „Teile und herrsche, doch besitze selbst beste Verbindungen ungeachtet von Parteien und Grenzen“. Äquivalent dazu pflegte insbesondere der Kauf- und Geschäftsmann durch die Jahrhunderte seine Verbindungen. Er sann darauf, flexible und möglichst viele Allianzen zu schmieden. Heute nennt sich das „netzwerken“ und „Kontakte pflegen“.  

Diese Allezeit-Überall-und-Jetzt-Denke teilen immer mehr Beschäftigte, wenn die Firmenkultur lautet: „Sie sind unser Mitunternehmer“. Darf der unternehmerische Beschäftigte aber, was von ihm erwartet wird? Am Raumkonzept zeigt sich, wie es damit bestellt ist. Im schlimmsten und berühmtesten Fall sitzt der frisch beförderte Abteilungsleiter in einem kleinen Containerraum, wo er von seiner vorigen Gruppe getrennt ist und stupide Aufgaben löst. Im besten Fall darf ein Projektmitarbeiter seine IT Kollegen in der Marketingabteilung besuchen; was funktioniert, weil im Raum ein Ledersofa mit Zeitschriftentisch und der obligatorischen Kanarischen Dattelpalme nebst Yucca-Palme thront. Dann ist auch architektonisch klar: Hier darf jeder mit jedem reden. Hier darf sich jeder frei in der Firma bewegen. Ketzerische Frage: Der echte Unternehmer ist viel unterwegs. Was also, wenn die Orte außerhalb einer Firma liegen und Mann oder Frau nicht Sales Manager oder Servicekraft sind?

Ein Dienstleister der Agentur für Arbeit im Lübecker Raum geriet in 2009 unter Quotendruck. Innerhalb eines Jahres nahmen die Berater schubweise Dutzende schwer vermittelbare Jobsuchende auf; zur Ermutigung und Vermittlung in Arbeit. Selbstredend verbuchte die Agentur nur die Zahlen der Jobantritte als Erfolg.

Da sich aber an diesem nördliche Fleckchen Deutschlands Fuchs und Hase gute Nacht sagen und viele Jobaspiranten nicht täglich zum Geld verdienen nach Hamburg gurken wollten, war die Aktion nicht von dem Erfolg gekrönt, den man sich am Agentur-Reißbrett erhofft hatte. Und noch etwas ließ den Dienstleister stolpern: Unter seinen Beratern herrschte ein munteres Kommen und Gehen. Was also tun? Die Führungskräfte des Unternehmen boxten gegenüber dem Betriebsrat durch, Freelancer ins Boot zu holen: Freie Coaches, Arbeitsvermittler und Trainer auf Stundenbasis. Die waren der Stammmannschaft aber nicht unbedingt willkommen. Kantige Begrüßungssprüche am ersten Tag wie „Ihr erster Tag, nä? Schon mal in Ihren Terminkalender geschaut? Wir sprechen uns dann wieder.“ ließen auch die Tatkräftigen unter den Neuen sofort wissen: Willkommen im Bootcamp der Motivation. Die Belegschaft stritt aufgrund des schwellenden Quotendesasters für sich um anerkennende Führung, ordnungsgemäße Prozesse und weniger Druck. Die Freelancer packten in ihrer Eigenständigkeit dort zu, wo sie Not sahen, sie entschieden im Umgang mit Klienten nach eigenem Dafürhalten und pflegten einen lockereren Umgangston. Viele von ihnen konnten und wollten sich nicht mit dem Kampf der alten Belegschaft gemein machen.