Mitte 2005 hat die Deutsche Post World Net beschlossen, sämtliche Bildungsaktivitäten des Finanzbereichs weltweit neu aufzustellen. Ziel des zu „errichtenden“ House of Finance war es, die bislang jeweils individuell gesteuerten Bildungsaktivitäten auf eine gemeinsame Basis zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Personalentwicklung an allen Standorten einer einheitlichen Strategie folgt. Dadurch sollen Synergieeffekte erreicht und der informelle Austausch innerhalb der verschiedenen Finanzfunktionen sowie zu den operativen Geschäftseinheiten als deren „interne Kunden“ gefördert werden.

three men using MacBooks
Foto von Austin Distel

Zunächst wurde der Qualifizierungsbedarf der „Finance Community“, also der Zielgruppen der Bildungsmaßnahmen, ermittelt. Dazu gehören die Zentralbereiche mit den Funktionen Konzernrechnungswesen und Controlling, Investor Relations, Corporate Finance, Interne Revision, Steuern und Compliance. Darüber hinaus wurden die Chief Financial Officers (Leiter Finanzen) der operativen Unternehmensbereiche einbezogen. Für die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs wurden alle Zentralsbereichsleiter und Leiter Finanzen sowie sämtliche Abteilungsleiter befragt. Die Ergebnisse bildeten die Basis für die Konzeption des Programms. Die Anforderungen an die Inhalte der einzelnen Trainingsbausteine wurden in einer zweiten Interviewrunde mit den Top-Führungskräften erhoben und weiter spezifiziert. Nachdem die Konzeption des House of Finance-Programms stand, wurden ein Katalog gestaltet und ein Webportal programmiert. Die Versendung des Katalogs an die Zielgruppe sowie die Liveschaltung des Portals erfolgten im ersten Quartal 2006, im zweiten Quartal fanden dann die ersten Veranstaltungen statt.

Von Bonn in die ganze Welt

Seitdem dient das House of Finance als zentrale Bildungsplattform des Finanzbereichs – und mittlerweile auch als Anlaufstelle für andere Konzernangehörige, die finanzbezogene Trainingsangebote nutzen möchten. Da der Finanzbereich des Konzerns in aller Welt vertreten ist, sollten die Leistungen global verfügbar sein. Zunächst fanden die Seminare in der Konzernzentrale in Bonn und an einigen weiteren europäischen Standorten statt. Seit 2007 werden auch Veranstaltungen an Standorten wie Singapur und Fort Lauderdale (Florida) oder Madrid, Moskau, Nairobi, Bahrain, Dubai und Hongkong durchgeführt.

Konzeptionell gliedert sich das Angebot in vier farblich dargestellte Bereiche („Stockwerke“). Das blaue Stockwerk „Personal Skills“ ist auf die sozialen oder kommunikativen Kompetenzen fokussiert, die laut Bedarfsanalyse für die Kernzielgruppe der Finanzexperten besonders relevant sind. 2006 gab es hierzu 14 englisch- und 13 deutschsprachige Seminarthemen, dieses Jahr sind es 19 englischsprachige Seminare. Für das House of Finance wurden neue Maßnahmen konzipiert, etwa drei Seminare zu interkultureller Kompetenz mit den Schwerpunkten USA, China und Deutschland oder ein finanzspezifisches Präsentationstraining.

Das grüne Stockwerk „Allgemeine Finanzthemen und Wissen über den Konzern“ unterscheidet Fachseminare von bereichsübergreifendem Interesse sowie Überblicksseminare zu den operativen Geschäftsfeldern des Konzerns. Zu Themen wie etwa „Business Knowledge“ gibt es kompakte Expertenvorträge über Geschäftsmodelle, Organisation, Produkte, Marktentwicklungen, Mitbewerber und Kunden mit einer Exkursion zu einem oder mehreren Produktionsstandorten. 2006 enthielt dieses Segment 20 englisch- sowie ein deutschsprachiges Seminar, in diesem Jahr gibt es ein zusätzliches deutschsprachiges Thema.

Auf individuelle Bedürfnisse herunterdekliniert

Für fachliche Trainings, die für einzelne Zentral- und Geschäftsbereiche des Finanzbereichs aufgesetzt wurden oder sich auf spezifische Zielgruppen innerhalb der Finance Community konzentrieren, ist das gelbe Stockwerk „Spezielle Fachthemen für Experten“ reserviert. So gibt es Spezialseminare für Controller, Revisoren und Steuer- oder Zollexperten sowie Kurse über das konzerneigene Management-Informations-System CREST, in denen die Teilnehmer ihr Wissen zielgerichtet vertiefen können. Insgesamt umfasst der gelbe Bereich 42 Seminarthemen (30 englisch; 4 deutsch; 8 deutsch/englisch).

Auch das rote Stockwerk „Programme für Führungskräfte“ hat eine eingegrenzte Zielgruppe, nämlich die Führungskräfte mit Personalverantwortung. Die Themen werden in enger Abstimmung mit der Konzern- Führungskräfteentwicklung gestaltet. Momentan bildet das Stockwerk die Kompetenzfelder Führung, Rhetorik und Verhandeln ab. Seit 2007 werden den Führungskräften ausgesuchte offene Managementprogramme internationaler Top-Institute empfohlen, um ihren individuellen Entwicklungsanforderungen zu entsprechen. Im House of Finance gibt es nicht nur das offene Programm. Die Abteilungen und Bereiche haben zudem die Möglichkeit, Inhouse-Trainings für geschlossene Zielgruppen zu beauftragen. Damit die Teilnahme als bewusste Investition betrachtet wird, gehen sie zu Lasten der Kostenstellen der Teilnehmer. Die operative Durchführungsverantwortung liegt bei der zentralen Personalentwicklung, die seit April 2007 auch die konzeptionelle Steuerungsverantwortung hat.

Ohne Kommunikation geht es nicht

Das House of Finance-Angebot wurde von Beginn an multimedial kommuniziert, etwa in konzerneigenen Medien wie der Führungskräftezeitschrift oder im ressortinternen E-Magazin. Die Kernzielgruppe erhält zudem einen gedruckten Katalog. Als besonders erfolgreich erwies sich ein Informationsstand auf den jährlichen Konferenzen des Finanzressorts. Der zentrale Anlaufpunkt für Interessierte ist indes das Internetportal www.house-of-finance.net. Das House of Finance ist das erste konzerninterne Bildungsangebot, das über ein Webportal mit elektronischer Buchungsmöglichkeit verfügt. Die elektronische Anmeldung – unter Einhaltung des Beteiligungsrechts des Betriebsrats – hat sich in kurzer Zeit so bewährt, dass sie schnell auf andere konzerneigene Bildungsangebote übertragen wurde.

Wie erfolgreich ein Angebot ist, zeigt letztlich die Nachfrage: Von April bis Ende 2006 besuchten durchschnittlich etwa 85 Prozent der Kernzielgruppe – das sind rund 350 von insgesamt etwa 400 Finance-Mitarbeitern in der Konzernzentrale – die Seminare. Im ersten Halbjahr 2007 buchten bereits 975 Teilnehmer weltweit eine Veranstaltung im House of Finance. Das formulierte Ziel, dass jeder Angehörige des Zentralen Finanzressorts mindestens zwei Veranstaltungen pro Jahr besuchen soll, um den individuellen Entwicklungszielen optimal zu dienen, wird bereits nahezu erreicht. Besonders stark nachgefragt waren Controllingthemen, die Veranstaltungen zum Rechnungswesen nach IFRS, Seminare zum Verständnis der operativen Geschäftsbereiche sowie Soft-skill-Themen wie Projektmanagement.

Verantwortung für Inhalte tragen

Um das Portfolio konsequent weiterzuentwickeln, wertet die Personalentwicklung unterjährig die aktuellen Buchungszahlen aus und leitet kurzfristig Handlungsmaßnahmen ab. Zum Beispiel werden bestimmte Themen gezielter beworben oder die Titel und Zielgruppenbeschreibungen modifiziert, um die Passung zwischen Seminar und Teilnehmern zu verbessern. In Abstimmung mit den Trainern werden bei Bedarf auch Didaktik und Inhalte justiert. Unter Einbezug der Führungskräfte und Mentoren werden zudem alle Konzepte auf den Prüfstand gestellt, um die Praxisrelevanz weiter zu optimieren.

Quartalsweise tagt zudem ein Steuerungskomittee, das den Vorstandsbereich Finanzen und die Personalentwicklung über den Status Quo informiert und Entscheidungen trifft. Daneben erfolgt ein Monitoring durch einen monatlichen Bericht der Personalentwicklung. Dieser regelmäßige Report gibt unter anderem Aufschluss über Buchungszahlen, den Auslastungsgrad der Seminare, die Rückmeldungen der Seminarteilnehmer sowie eine Übersicht über laufende Maßnahmen und anstehende Inhouse-Seminare.

Ein herausragendes Merkmal des House of Finance ist das Mentorenprinzip. Es gibt für jeden Kurs einen Mentor, der die konzeptionelle Verantwortung für das jeweilige Thema trägt. Die Gruppe der Mentoren besteht aus unmittelbar an den Konzernvorstand berichtenden Führungskräften, die den gesamten Prozess von der Entwicklung und Ausgestaltung des Themas bis zur konkreten Seminarplanung begleiten. Sie überprüfen regelmäßig das Design und den Erfolg der Veranstaltung und stoßen notwendige Modifikationen an, wenn dies nötig ist. Dieses Mentorenmodell stellt die enge Ausrichtung des Angebots am operativen Geschäft und an den Entwicklungsbedürfnissen des Finanzbereichs sicher.

Teil eines größeren Ganzen

Das House of Finance ist in die Personalund Führungskräfteentwicklungssystematik „motiv8“ des Konzerns eingebunden. Dieses deckt die Kernfunktionen Performance Management, Kompetenzmanagement, Potenzialanalyse und Nachfolgeplanung ab und stellt hierfür entsprechende Prozesse und Instrumente zur Verfügung. Das House of Finance ergänzt motiv8, indem es ein Trainingsportfolio bereitstellt, aus dem individuelle Trainingsmaßnahmen für den persönlichen Entwicklungsplan – ein Instrument motiv8 – ausgewählt werden können. Die einzelnen Seminare wurden hinsichtlich ihrer Schwerpunkte in Inhalt und Lernzielen mit den in motiv8 geforderten Kompetenzen verknüpft.

Eine weitere Stärke des House of Finance liegt darin, Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Handlungskompetenz bei den Teilnehmern und den internen Referenten zu fördern. Denn es handelt sich um keine „Zwangsbeschulung“, sondern um ein maßgeschneidertes Angebot, das im Rahmen der individuellen Personalentwicklung selektiv genutzt werden kann und soll.

Der überwiegende Einsatz interner Experten als Trainer oder Referenten ist ein Stück gelebtes Wissensmanagement und stellt für diese Mitarbeiter eine persönliche Entwicklungsmöglichkeit dar: als Job Enrichment und als Chance, sich in der Organisation „sichtbar“ zu machen. Die Einbindung interner Referenten hat auch einen weiteren erfreulichen Nebeneffekt – die Kosten werden niedrig gehalten.

Was das House of Finance auszeichnet

  1. Bildung als Instrument der Strategieumsetzung: Das House of Finance ist an der Strategie des Finanzressorts ausgerichtet und hilft, diese zu implementieren.
  2. Spezialprogramm mit globaler Reichweite: Das House of Finance richtet sich primär an eine klar definierte Zielgruppe („Finance Community“), für die weltweit fachliche und überfachliche Trainings bereitgestellt werden.
  3. Einbettung in eine umfassende Personalentwicklungssystematik: Dazu wird das House of Finance mit den Prozessen, Instrumenten und dem Kompetenzmodell von motiv8 verknüpft.
  4. Dauerhafte Verzahnung von Bildungsmaßnahmen mit den Anforderungen des operativen Geschäfts: Das Mentorenkonzept garantiert einen Rückkoppelungskreislauf.
  5. State-of-the-Art in Sachen Kommunikation: Die Angebotsbewerbung erfolgt auf vielfältigen Kommunikationskanälen.
  6. Überwiegender Einsatz interner Experten als Trainer/Referenten: ermöglicht ein Job Enrichment und eröffnet die Chance, in der Organisation stärker wahrgenommen zu werden.

Die Struktur des House of Finance

Autoren:

Walter Lindemann,

Zentralbereichsleiter Personalentwicklung, Deutsche Post World Net

Dr. Thomas Raddatz,

Senior Experte Personalentwicklung Grundsätze und Steuerung, Deutsche Post World Net

Dr. Hendrik Vater,

Director und Leiter Vorstandsstab Finanzen, Deutsche Post World Net

Quelle: Personalwirtschaft 12/2007