Das Verhalten von Führungskräften wirkt sich unmittelbar auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter aus. Manager sind dann besonders erfolgreich, wenn sie Menschen motivieren und führen können. Umso wichtiger ist es für die Unternehmen, die Führungsqualitäten ihrer Personalverantwortlichen zu überprüfen und zu fördern.

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Foto von Thomas Martinsen

Rund 90 Prozent der 500 größten US-Unternehmen sowie die meisten der TOP-100-Unternehmen bewerten das Führungsverhalten ihrer Manager mit 360-Grad-Feedback. Dabei bewerten Vorgesetzte, Kollegen, Mitarbeiter und Kunden die Arbeit einer Führungskraft über einen Fragebogen. Die Betroffenen selbst beschreiben, wie fair, kollegial und kundenorientiert ein Manager agiert. Meist werten externe Institute den Fragebogen aus, schreiben einen individuellen Ergebnisbericht und stellen diesen dem Kandidaten in einem Einzelgespräch (oder alternativ in einem moderierten Workshop) vor.

Förderung oder Auslese

360-Grad-Feedback kann als Instrument der Förderung oder der Auswahl verwendet werden. Es gibt Managern eine Rückmeldung darüber, wie andere ihr Verhalten und ihre Arbeit wahrnehmen. Die Kenntnis der unterschiedlichen Fremdbilder kann zu einer störungsfreieren Interaktion mit den Mitarbeitern beitragen – und damit die Leistungen des Teams fördern.

Dient 360-Grad-Feedback der Personalauswahl, können die Ergebnisse der Befragung umfangreiche Konsequenzen für die Betroffenen haben. Von ihnen hängen unter Umständen Beförderungen oder Gehaltserhöhungen ab. Zielt das Rückmeldeverfahren primär auf die Auswahl von Personal ab, wird es häufi g auch als 360-Grad-Review bezeichnet.

Während die meisten Beschäftigten akzeptieren, dass die Beurteilung durch den Vorgesetzten den Karriereverlauf bestimmt, ist das 360-Grad-Review stark umstritten. Die wenigsten Manager wollen, dass ihre Karriere vom Urteil der Kollegen abhängt. Viele sträuben sich gegen jegliche Art der institutionalisierten Fremdbeurteilung, unabhängig davon, welche Ziele sie verfolgt.

Führungskräfte befürchten

  • „abgeurteilt” oder „verurteilt” zu werden
  • ein „gläserer Mitarbeiter” zu sein, dessen (fehlende) Kompetenzen alle kennen
  • kontrolliert zu werden („Big Brother ist watching you“)
  • dass Kollegen „alte, offene” Rechnungen begleichen beziehungsweise mobben
  • dass sich Machtstrukturen umdrehen, denn wer beurteilt, hat die Macht,
  • konkrete Einkommensverluste beziehungsweise Karrierehürden

Falsche und subjektive Urteile

Tatsächlich besteht die Gefahr, dass Kollegen oder Vorgesetzte eine Führungskraft zu gut bewerten, um ihn „wegzuloben“, oder zu schlecht beurteilen, damit er der eigenen Organisation erhalten bleibt. Hinzu kommt das Problem der Subjektivität. Denn wie wir Kollegen oder Vorgesetzte einschätzen, hängt von unserem Standpunkt, unserer Weltsicht, unseren Überzeugungen ab. Aus diesem Grund können wir das Verhalten anderer nie objektiv bewerten.

Insofern liefert 360-Grad-Feedback keine „Wahrheiten“, sondern viele unterschiedliche „Wirklichkeiten“. Die Urteile sagen oft mehr über die Beurteilenden als über die Beurteilten aus. Das ist vor allem dann problematisch, wenn 360-Grad-Feedback der Entgeltfindung oder Personalauswahl dienen soll.

Prinzipiell lässt sich festhalten: Je mehr karriererelevante Konsequenzen mit dem Feedback verbunden sind, umso größere methodische Ansprüche sollten an das Verfahren gestellt werden. Die (Neu-)Gestaltung und Implementierung eines Beurteilungssystems stellt einen schwerwiegenden Eingriff in den Organismus einer Organisation dar, der ohne Interaktion und Kommunikation kaum vorstellbar ist. Versuche, durch den Einkauf von „bequemen Komplettlösungen“ Kosten und Zeit zu sparen, bewähren sich selten. Was ist daher bei der Konzeption und Einführung zu beachten?

Konzeption und Einführung

Koordiniert wird das Projekt normalerweise von der Personalabteilung. Sie gründet ein Projektteam, das die unterschiedlichen Perspektiven und Anforderungen der Organisation in das Projekt einbringt. Ihm gehören Vertreter aller wichtigen Abteilungen ebenso an wie Personal- beziehungsweise Betriebsrat. Auch Mitarbeiter, die bereits an ähnlichen Themenstellungen gearbeitet haben, werden möglichst eingebunden. Andernfalls geht wertvolles Wissen verloren. Zudem können sich übergangene Experten zu negativen Multiplikatoren entwickeln, die Widerstände gegen das Projekt fördern.

Das Projektteam formuliert Arbeitspakete: „Wer beurteilt wen – wozu – wie – wann – nach welchen Kriterien und mit welchen Konsequenzen?“ Erfahrungen zeigen, dass beim Einstieg meist nicht alle Zielgruppen, die im Grundmodell der 360-Grad-Beurteilung vorgesehen sind, berücksichtigt werden können. Deshalb starten Unternehmen häufig mit einer Beurteilung durch den Vorgesetzten, gefolgt von einer Aufwärtsbeurteilung (durch die Mitarbeiter). Erst dann werden schrittweise auch Kollegen und Kunden hinzugezogen.

Sehr wichtig ist die Erarbeitung eines Kommunikationskonzeptes: „Wer informiert wen – bis wann – über was?“ Die Führungsmannschaft muss klar kommunizieren, dass 360-Grad-Feedback gewollt ist und vom Management vorgelebt wird. Die Projektgruppe sollte die Ziele des Projekts beschreiben und zugleich betonen, welche Ziele das Management nicht verfolgt (zum Beispiel Überwachung, Kontrolle etc.). Dabei sollte sie herausarbeiten, welchen Nutzen die Beschäftigten aus der Methode ziehen können. Auf diese Weise kann das Projektteam Berührungsängste abbauen.

Zudem muss das Team ganz klar die möglichen Folgen einer guten oder schlechten Bewertung nennen und offen das Problem eines möglichen Missbrauchs ansprechen, um die Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren. Ergänzend hierzu bieten mehrere Unternehmen bereits gezielte Feedbacktrainings an, in denen die Beteiligten lernen, konstruktive Rückmeldungen zu geben.

Unternehmen sollten das 360-Grad-Feedback in bereits vorhandene Instrumente integrieren. So sollten sich beispielsweise in den Beurteilungskriterien auch Anforderungen aus Assessmentcentern, Führungsleitlinien oder anderen Beurteilungssystemen wiederfinden.

Damit Beurteilungen akzeptiert und darüber hinaus als fair und gerecht empfunden werden, müssen sie transparent, nachvollziehbar und vor allem auch gewollt sein. Die betroffenen Mitarbeiter müssen sich die Frage nach dem „Wozu“ positiv beantworten können und in die Gestaltung miteinbezogen werden.

Der Erfolg der Methode steht und fällt mit der Konzeption und Einführung. Hier entscheidet sich, ob das Management ein „360-Grad-Feedback“ oder ein so genanntes „360-Grad-Fiesback“ installiert. Es verhält sich eben wie mit jeder Methode: Der Anwender bestimmt, ob er mit seinem Brotmesser Brot schneidet oder jemanden umbringt.

Buchtipps

Ziele vereinbaren, Leistungen bewerten.

Von Elisabeth von Hornstein und Lutz von Rosensteiel.

Langen/Müller 2000.

360-Grad-Feedback.

Von Martin Scherm und Werner Sarges.

Aus der Reihe: Praxis der Personalpsychologie.

Hogrefe Verlag 2002.

Vorgesetztenbeurteilung mittels 360-Grad-Feedback.

Von Christian Bahners. Aus der

Reihe: Praxisorientierte Personal- und Organisationsforschung.

Rainer Hampp Verlag 2003.

Das 360-Grad-Feedback. Alle fragen? Alles sehen? Alles sagen?

Hrsg. von Oswald Neuberger. Schriftenreihe Organisation & Personal.

Rainer Hampp Verlag 2000.

Quelle: personal manager 4/2004