Da längst nicht in allen Branchen Arbeitszeiten systematisch erfasst werden, wird dieses Urteil große Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsalltag haben. Das deutsche Arbeitszeitgesetz besagt bisher nur, dass acht Stunden Arbeit pro Tag erlaubt sind. Dies kann auf zehn Stunden erhöht werden, wenn innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen ein Ausgleich erfolgt. In die Pflicht zur Erfassung fällt bislang nur, was über diese Stundenanzahl hinausgeht. Registrierungspflichtig ist künftig aber die gesamte Arbeitszeit – also beispielsweise auch die Arbeit im Homeoffice oder Außendienst.

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Foto von Glenn Carstens-Peters

Noch keine konkreten Umsetzungspläne

Die Umsetzung des Urteils ist Sache der EU-Länder. Deutschland wird also sein Arbeitszeitgesetz novellieren müssen. Konkrete Pläne zur Umsetzung liegen noch nicht vor, es könnte aber durchaus sein, dass dieses Thema von den Parteien noch in den Wahlkampf zur bevorstehenden Europawahl aufgenommen wird.

Unabhängig davon, wie das neue Gesetz aussehen wird, auf deutsche Unternehmen werden Veränderungen zukommen. Arbeitgeber werden dann verpflichtet sein, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem sie die geleistete tägliche Arbeitszeit messen können. In welcher Art und Weise sie dies erfassen – ob per Handzettel, Stechuhr oder App – das werden sich die Unternehmen vermutlich aussuchen können. 

Arbeitgeber, die bislang die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter noch nicht erfassen, sind gut beraten, sich über die rechtlichen und technischen Möglichkeiten zu informieren. Solange die Änderungen im Arbeitszeitgesetz noch nicht vorgelegt und beschlossen wurden, besteht jedoch noch kein akuter Handlungsbedarf. Denn welche Details genau zu beachten sind, bleibt spekulativ, solange der tatsächliche Gesetzentwurf noch nicht vorliegt.

Vorbild Österreich?

Ein Blick ins Nachbarland Österreich zeigt möglicherweise, in welche Richtung es gehen könnte: Dort sind längst alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren. Dabei müssen sie Beginn und Ende der Arbeitszeiten ebenso belegen können wie die Ruhepausen, die ihre Mitarbeiter genommen haben. Denn nur so können sie vor dem Arbeitsinspektorat nachweisen, dass sie die Arbeitszeiten einhalten und welche Überstunden entstanden sind. Genau diese Art der Dokumentation fordert der EuGH nun für alle EU-Mitgliedstaaten.

Trotzdem sieht Anna Mertinz, Geschäftsführende Gesellschafterin bei KW Rechtsanwälte in Wien, das Signal des Urteils kritisch: „Der Wunsch nach flexiblen und selbstbestimmteren Modellen der Arbeit ist seitens der Arbeitnehmer ja sehr groß.“ In dieser Hinsicht sende der EuGH ein ganz entgegengesetztes Signal in Richtung Kontrolle „Und Kontrolle steht in einem logischen Widerspruch zu Selbstbestimmtheit.“