Entscheidung

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Foto von Marten Bjork

Das BAG hat die vorhergehenden Entscheidungen bestätigt. Die Beklagte ist demnach nicht verpflichtet, der Klägerin vor Erreichen der Altersgrenze von 58 Jahren zwei Zusatztage Urlaub zu gewähren. Die Urlaubsregelung ist nicht gem. § 7 Abs.2 AGG unwirksam. Zwar liegt in der unterschiedlichen Behandlung der Mitarbeitergruppen eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Das AGG schützt auch jüngere Arbeitnehmer vor einer Benachteiligung im Vergleich zu älteren. Und schließlich erhalten jüngere Beschäftigte durch die Nichtgewährung eine weniger günstige Behandlung. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gem. § 10 Satz 1, 2 und 3 Nr. 2 AGG gerechtfertigt. Sie bezweckt den Schutz älterer Mitarbeiter und ist geeignet, erforderlich und angemessen. Bei freiwilligen zusätzlichen Leistungen wie dieser steht dem Arbeitgeber ein Gestaltungsund Ermessensspielraum zu. Feste Altersgrenzen gibt es nicht. Wie in früheren Entscheidungen hat der 9. Senat ein solches Bedürfnis bei über 50- bis 60-Jährigen für „eher nachvollziehbar“ gehalten (BAG, Urt. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10, AuA 11/12, S. 677). Das LAG musste auch keinen Sachverständigen einschalten. Der vom LAG zu Grunde gelegte Erfahrungssatz, dass bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten – wie in der Produktion der Beklagten – das Erholungsbedürfnis in höherem Alter steigt, war laut BAG nicht zu beanstanden. Dass der Schutz Älterer, nicht in der – hier schriftlich fehlenden – Regelung zur Gewährung des Zusatzurlaubs enthalten ist, schadet nicht. Es reicht, wenn die Beurteilung der dahinter stehenden Ziele aus dem Kontext heraus möglich ist. Auch muss sich das Unternehmen bei der Gewährung zusätzlichen Erholungsurlaubs nicht nach den individuellen Belastungen der einzelnen Mitarbeiter richten. Eine solche Verpflichtung wäre nicht handhabbar. Es darf typisierend vorgehen.

Konsequenzen

Es ist eine erfreuliche Entscheidung, die den Arbeitgebern Freiräume bei der Entscheidung über die Gewährung zusätzlicher Leistungen zuspricht. Solche müssen sie nicht gleichsam an alle Beschäftigten gewähren. Man kann – im Rahmen des AGG – durchaus zwischen verschiedenen Gruppen differenzieren. Das umfasst auch die altersabhängige Staffelung von Zusatzurlaub. 

Es bleibt aber eine gewisse Unsicherheit, ob die Gerichte die vom Unternehmen zu Grunde gelegten Differenzierungskriterien bestätigen. Insbesondere eine feste Altersgrenze, ab der z.B. feststeht, dass ein gesteigerter Erholungsbedarf besteht, existiert weiterhin nicht. Eine solche Grenze wird daher auch in Zukunft anhand der konkreten Umstände bei den einzelnen Arbeitgebern geprüft werden. Erfreulich ist jedoch, dass das BAG in diesem Zusammenhang ausdrücklich keine „übersteigerte Darlegungslast“ auf dessen Seiten fordert, um die Einführung freiwilliger Leistungen nicht unzumutbar zu erschweren. Für den Bereich der körperlich belastenden Produktion kann man mit dieser Entscheidung eine Altersgrenze von 58 Jahren anwenden. Inwieweit das jedoch auch außerhalb der Produktion gilt, lässt dieses Urteil offen. Einen allgemeinen Grundsatz mit festen Grenzen stellt das BAG nicht auf – was aber auch Argumentationsspielraum im Einzelfall lässt.

 

Praxistipp

Bei freiwilligen Leistungen ist es durchaus möglich, Mitarbeiter unterschiedlich zu behandeln. Insbesondere die Vorgaben des AGG müssen aber beachtet werden. Liegt kein Verstoß gegen das AGG vor, so ist auch kein Verstoß gegen den stets zu beachtenden allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gegeben. Bei der praktischen Umsetzung ist es ratsam, dass die Ziele, die man als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung heranziehen will, auch schon in der Regelung enthalten sind und nicht nur gedanklich den Anlass für die Gewährung bilden. So kommt es später nicht zu Auslegungsschwierigkeiten. Vorliegend hatte der Arbeitgeber zwar dennoch gute Argumente, insbesondere, da der – bei der Beklagten nicht anwendbare – Tarifvertrag der Branche ebenfalls zwei Zusatztage für ältere Arbeitnehmer vorsah. Wenn aber derartige Umstände fehlen, kann eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durchaus daran scheitern, dass das (eigentlich legitime) Ziel nirgendwo festgehalten ist. Um zu verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht, empfiehlt es sich ohnehin, freiwillige Leistungen nicht einfach so zu gewähren, sondern gerade auch die Freiwilligkeit sauber zu formulieren.


Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | Ausgabe 8 – 2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

Fotocredit: Tim Reckmann | www.pixelio.de

Problempunkt

Die Klägerin ist im Jahr 1960 geboren und arbeitet als Produktionsmitarbeiterin bei einem nicht tarifgebundenen Schuhhersteller. Ihr Arbeitsvertrag sieht – wie auch bei anderen Arbeitnehmern – einen Jahresurlaub von 34 Arbeitstagen vor. Der beklagte Arbeitgeber gewährt – ohne Vorliegen einer entsprechenden schriftlichen Regelung – Mitarbeitern in der Produktion, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, 36 Tage Urlaub. 

Die Klägerin empfand diese Regelung als altersdiskriminierend. Es sei nicht erkennbar, warum gerade mit 58 ein gesteigertes Erholungsbedürfnis eintrete und überhaupt im Produktionsbetrieb längere Erholungsphasen erforderlich seien. Vielmehr seien jüngere Beschäftigte durch Familie und Beruf stärker beansprucht als ältere. Zudem sehe auch das BUrlG eine solche Staffelung gerade nicht vor. Sie forderte daher ebenfalls zwei Tage zusätzlichen Urlaub. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG wies die Berufung der Klägerin zurück.