Konsequenzen

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Eine auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruhende Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers ist als personenbedingter Kündigungsgrund anerkannt. Allerdings führt nach der Rechtsprechung des BAG nicht jede Freiheitsstrafe ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes (BAG, Urt. v. 24.3.2011 – 2 AZR 790/09).

Vielmehr muss der Mitarbeiter für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Insoweit hat der Arbeitgeber eine objektive Prognose anzustellen. Diese setzt nicht zwingend eine Verurteilung des Beschäftigten voraus. Sie kann bereits bei einer Untersuchungshaft einsetzen. Dann muss der Arbeitgeber aber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen – insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben – haben.

Im Wege der Einzelfallbeurteilung hat das Unternehmen ferner zu prüfen, ob sich die (prognostizierte) Nichterfüllung der Arbeitspflicht im Einzelfall nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt oder es Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Mitarbeiter den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten hat. Solche Maßnahmen sind dem Arbeitgeber jedoch zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt mit einer haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers von mehr als zwei Jahren zu rechnen ist, regelmäßig nicht zuzumuten.

Das BAG hat im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung (Urt. v. 24.3.2011 – 2 AZR 790/09) klargestellt, dass das Unternehmen bei einer personenbedingten Kündigung aufgrund der Haft seines Mitarbeiters nicht zwingend dessen – rechtskräftige – strafgerichtliche Verurteilung abwarten muss, um die notwendige Prognose anzustellen. Dies kann auch schon im Vorfeld – nämlich während einer Untersuchungshaft – geschehen. Voraussetzung ist dann aber, dass der Arbeitgeber alles in seiner Macht stehende zur Informationsbeschaffung unternimmt, um so nach Möglichkeit auszuschließen, dass sich seine Annahme als unzutreffend erweist.

Hierbei misst das BAG – zu Recht – der an den Mitarbeiter gerichteten Aufforderung zur Stellungnahme eine große Bedeutung zu. Wichtig ist, dass das BAG die tatsächliche Entwicklung nach dem Ausspruch der Kündigung nur in – nicht näher genannten – „engen Grenzen“ berücksichtigen will. Dies muss jeden Arbeitgeber, der schon während der Untersuchungshaft gekündigt hat und dessen Kündigung der Arbeitnehmer anficht, veranlassen, nach der Verurteilung eine weitere – hilfsweise – Kündigung zu erklären.

  Praxistipp

Ist mit einem haftbedingten „Ausfall“ von zwei Jahren und mehr zu rechnen, muss das Unternehmen nichts weiter zur Erforderlichkeit eventueller Überbrückungsmaßnahmen vortragen. Liegt die – zu erwartende – haftbedingte Arbeitsverhinderung jedoch darunter, sind nähere Darlegungen dazu erforderlich, inwieweit sich die (prognostizierte) Nichterfüllung der Arbeitspflicht nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt und eine Kündigung bedingt.

Im Ergebnis will die Rechtsprechung des BAG offenbar bezwecken, dass der Gedanke der Resozialisierung nicht aus den Augen verloren wird. Der Praxis ist zu empfehlen, von vorschnellen Kündigungen Abstand zu nehmen. Stattdessen sollte sich der Arbeitgeber durch Sachstandsanfragen Klarheit verschaffen. Erst wenn sich herausstellt, dass mit einer baldigen Rückkehr des Mitarbeiters nicht zu rechnen ist, wird sich die zur Kündigung erforderliche negative Prognose verfestigen.

 

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht 12/1

Fotocredit: 
(1) Petra Bork | pixelio.de
(2) Rainer Sturm | 
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  Problempunkt

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung wegen einer mehrjährigen Haftstrafe des Arbeitnehmers. Der Kläger, der bei der Beklagten seit 1997 beschäftigt war, war nach einer Untersuchungshaft 2008 wegen Verstoßes gegen das BtMG zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. 2010 nahm ihn die Polizei erneut vorläufig fest und zwar wegen des Vorwurfs, eine „Haschisch-Plantage“ betrieben und dort 18 kg Cannabispflanzen aufgezogen zu haben.

Nachdem die Beklagte von der erneuten Untersuchungshaft erfahren hatte, verlangte sie eine Stellungnahme zum Sachstand. Hierzu teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Verurteilung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswirke. Die Beklagte kündigte daraufhin ordentlich aus personenbedingten Gründen.

Das AG verurteilte den Kläger 2011 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Die Staatsanwaltschaft beantragte den Widerruf der Aussetzung der ersten Freiheitsstrafe. Das ArbG Stuttgart gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt. Das LAG wies sie ab.

  Entscheidung

Die dagegen gerichtete Revision vor dem BAG blieb ohne Erfolg. Die Kündigung war sozial gerechtfertigt. Die Beklagte hatte alle ihr möglichen Maßnahmen zur Klärung der Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zum Kündigungszeitpunkt musste sie zum einen davon ausgehen, dass der Kläger die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen hatte; zum anderen war ihr ein Freihalten des Arbeitsplatzes nicht zumutbar.

Die Beklagte musste schon aufgrund der Schwere der vorgeworfenen Tat und der einschlägigen Vorbestrafung mit hoher Gewissheit annehmen, der Kläger werde haftbedingt für mehrere Jahre seine Arbeitsleistung nicht erbringen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er vorzeitig und alsbald seiner Arbeit wieder nachgehen werde, waren bei Kündigungszugang nicht ersichtlich. Deshalb war die Beklagte auch nicht verpflichtet, näher zu konkreten Betriebsablaufstörungen vorzutragen.