Quelle

three men sitting on chair beside tables
Foto von Austin Distel

LERNENDE ORGANISATION

Zeitschrift für Relationales Management und Organisation

Relationales Denken und Handeln

N°59 Januar / Februar 2011

Verlag interrelationales Relationales Denken und Handeln

Ein besonderer Bestandteil des Relationalen Handelns ist die sokratische Weltanschauung. Folgen wir diesem Denken, heißt das aus meiner Sicht, seine Denkmuster zu verändern und sich immer offen zu lassen um-zudenken. Speziell im Wirtschaftskontext ist die sokratische Weltanschauung noch nicht etabliert, sondern Vieles wird noch linear-aristotelisch betrachtet (z.B. Wer gut arbeitet, arbeitet schnell. Dieser Mitarbeiter arbeitet nicht schnell. Daher…). Vielleicht wundern Sie sich, warum Ihre Mitarbeiter nicht das gleiche Verständnis von Strategie haben, wie Sie. Letztendlich ist ja auch der Empfänger für seine Konstruktion der Nachricht verantwortlich, oder doch nicht?

 „Gestalten Sie oder werden Sie gestaltet?“

 Lassen wir uns treiben und lassen wir uns gestalten, dann werden wir nur in einem sehr geringen Ausmaß unser Leben mitbestimmen. Die Frage, die ich mir dazu regelmäßig stelle, lautet: „Bin ich Kapitän oder Passagier?“ Zugegeben: Manchmal tut es auch gut, sich treiben zu lassen. Aber das sollte in unserer Entscheidung bleiben: Relationales Denken heißt aus meiner Sicht, konsequent nach Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Bereich zu suchen (nicht in anderen Bereichen, sonst sind wir rasch bei der Sisyphus-Arbeit!) und das eigene Leben nicht nur „dem Zufall“ oder den Zielen meiner Umwelt zu überlassen (und sich hinterher darüber zu ärgern). Stehen Sie zu dem, was Sie tun? Gestalten Sie oder werden Sie gestaltet?

Abweichend von der aristotelischen Weltanschauung, dass unsere Sinnesorgane riechen, sehen, schmecken, hören und fühlen und verlässliche, vergleichbare Ergebnisse liefern, gehen wir beim relationalen Denken davon aus, dass erst die Verknüpfung mit unserer Herangehensweise ein Konstrukt von Wahrnehmungen schafft. Wie wollen Sie Ihr Unternehmen denn morgen wahrnehmen, wie den Markt und wie Ihre Mitarbeiter? Sie können jeden Tag Ihr Umfeld anders beschreiben, sich erklären und bewerten: Selbst Ihren Kollegen könnten sie durchaus verständliches Verhalten zuerkennen – ausgehend von deren Informationsstand. Und wir erweitern dadurch das Spektrum unserer Handlungsalternativen. Haben Sie Lust darauf, zu experimentieren?

Eine persönliche Wahrnehmung entsteht im Sinne des radikalen Konstruktivismus im Auge des Betrachters. So kann eine Wahrnehmung nie ein Abbild der Realität sein, sondern eine Konstruktion von Sinnesleistung mit der Verknüpfung der Gedächtnisleistung aus Erfahrungen. Da Relationales Handeln m. E. aber auch einen Abgleich unterschiedlicher Realitäten darstellt, erlaube ich mir an dieser Stelle die Frage: Wie gut kennen Sie die Realitäten Ihrer Mitarbeiter? Welche Möglichkeiten haben Sie Ihnen angeboten, sodass ein Abgleich stattfinden kann? Und wie gut kennen Ihre Mitarbeiter Ihre Realität? Nicht, dass ein solcher Abgleich Selbstzweck sein sollte: Er ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, dass Sie in etwa das bekommen, was Sie erwarten – und was Sie sich verdient haben.

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In meiner beraterischen Tätigkeit heißt es oft: „Wir müssen unsere Mitarbeiter motivieren, dass sie dieses und jenes tun.“ Dazu kann ich nur sagen: Viel Spaß und gutes Gelingen! Menschen sind m.E. eben gerade nicht in eine bestimmte Richtung motivierbar, also bewegbar, sondern handeln immer gemäß ihrer eigenen Struktur und Erfahrungen. Die Frage, die sich stellt ist: „Welche Rahmenbedingungen muss ich setzen, damit meine Mitarbeiter als selbst gestaltete lebende Systeme gestalterisch tätig werden?“ Letztlich können wir aus Relationaler Sicht nur die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – ob die Mitarbeiter diese Rahmenbedingungen dann nutzen oder nicht, können wir nicht erzwingen (wir können nur entscheiden, mit wem wir zusammen arbeiten und davon sollten wir auch Gebrauch machen). Aber motivieren? Das kann sich jeder selbst…

Letztendlich heißt Relationales Handeln auch zu reflektieren. Reflektieren heißt im Sinne von Gregory Bateson auch lernen, weil wir unsere Handlungsmöglichkeiten dadurch erweitern. Versuchen Sie doch einmal als Beobachter Ihr Unternehmen zu betrachten. Was sehen Sie? Sehen Sie engagierte Mitarbeiter, die gemäß ihrem Rahmen agieren? Welchen Eindruck hinterlassen die Mitarbeiter bei den Kunden, wenn sie das Geschäft verlassen oder das Gespräch zu Ende geführt haben? Wofür bekommen Sie als Unternehmer Ovationen (und wofür nicht)? Was unterscheidet Ihr Unternehmen noch von dem, das Sie eigentlich gerne hätten? Und wo müssen Sie heute noch ansetzen, damit Ihr Unternehmen zu einem lernenden wird – und Fehler nur einmal gemacht werden?

Nur zu gerne würde mancher Manager in einem Veränderungsprozess zuerst das Eine und dann das Andere erledigen. Also zuerst den Verkauf, dann den Einkauf neu strukturieren und dann vielleicht die Produktion. Alles schön der Reihe nach: Denn es soll ja auch alles seinen geordneten und strukturierten Weg gehen (interessanter Weise suggerieren das auch die traditionellen BWLBücher und die bekannten großen Beratungsunternehmen. Relationales Handeln erfordert, Veränderungen simultan zu gestalten. Das erhöht zunächst die Komplexität – ist aber m. E. notwendig, weil überall dort, wo Menschen beteiligt sind, alles mit allem verbunden ist. Dies lässt sich gut mit einem Bild vergleichen: Stellen Sie sich vor, Sie würden in eine neue Wohnung ziehen und nehmen den ersten Teil ihrer Möbel heute mit und den zweiten Teil in 6 Monaten.

„Veränderung ist laufendes Experimentieren
mit neuen Gedanken; manche passen länger, andere weniger lang“

Als die letzte Veränderung gut über die Bühne gegangen war, waren alle Mitarbeiter erleichtert und hofften, für die nächsten Jahre ihre Arbeit in Ruhe erledigen zu können. Zum Glück sah das die Unternehmensleitung nicht so: Relationale unternehmerische Verantwortung zu tragen heißt, ständig seinen Rahmen zu hinterfragen und zu überprüfen, ob denn alle Elemente noch adäquat sind, beziehungsweise was denn heute (neu) gesetzt werden muss, um die Zukunft als erfolgreich zu erleben. Veränderung ist laufendes Experimentieren mit neuen Gedanken; manche passen länger, andere weniger lang. Je abstrakter – also weniger konkret – Veränderungen von oben definiert werden (z.B. nur in wenigen Zahlen: Wir brauchen 2010 eine Rendite von 6%), desto einfacher ist es, sich „weiter unten“ entsprechend und innovativ zu organisieren.

Ohne das Bewusstsein und das Wissen in welchem Rahmen wie z.B. in welchem System befinde ich mich, also in welcher bestimmten Hierarchieebene oder Abteilung bin ich bzw. von welchem Standort aus ich meine Aufgabe und Funktion wahrnehme, kann ich meine persönlich erlebten Erfahrungen nicht ins System einbringen. Erst durch das Bewusstsein, wer ich bin, welche einzigartigen Beiträge ich liefern soll, was von mir an Ergebnissen erwartet wird und wofür ich konkret verantwortlich bin (also wo von mir Antworten erwartet werden), kann ich gestalterisch tätig werden. Wichtig erscheint mir jedenfalls, dass Ihnen das, was und wer Sie sind, als sinnvoll erscheint: Dass Sie den Eindruck haben, Sie liefern einen wichtigen Beitrag und dass Ihre Beiträge Sie zufrieden machen.

Tausend Dinge können sich um uns herum ändern, auch der Rahmen, der unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt und bestimmte Vorgaben an uns setzt. Und stets erleben wir einen Rahmen, den wir einhalten müssen – sei es in der Stadt, sei es im Tennisklub, sei es im Freundeskreis, sei es im Unternehmen und im eigenen Team; nennen Sie es Gerüst, Erwartungen, Rahmenbedingen oder wie auch immer. Aber wir haben die Wahlfreiheit, in welchem Rahmen wir uns gerne bewegen möchten: Wir können das System verlassen und damit auch den Rahmen wechseln! Dafür sollten wir allerdings auch wissen, für bzw. gegen welche Rahmen wir uns entscheiden. Ich erlebe es in der Praxis oftmals so, dass das nicht Setzen eines Rahmens durch die Verantwortlichen als Unsicherheit empfunden wird. Überlegen Sie gerne, welchen Fingerabdruck Sie ihm gerne geben möchten?