Frau Wittenberg-Cox, immer mehr Unternehmen versuchen, Frauen in führende Positionen zu bringen – sei es über Quoten oder mithilfe anderer Instrumente. Inwieweit profitieren Arbeitgeber von weiblichen Führungskräften?

Wir leben im 21. Jahrhundert, in dem 60 Prozent der Hochschulabsolventen Frauen sind. Unternehmen können einen so grossen Prozentsatz des Talentepools nicht ignorieren. Das gilt vor allem für Westeuropa, wo die Bevölkerung bereits schrumpft. Es ist fast selbstmörderisch, diese Entwicklung nicht ernst zu nehmen. Frauen fällen 80 Prozent der Kaufentscheidungen. Wenn Sie 60 Prozent der Talente und 80 Prozent der Kunden ignorieren, wird Ihr Unternehmen nicht auf eine gesunde Zukunft zusteuern. Daher ist es keine grosse Überraschung, dass Arbeitgeber dieses Thema aufgreifen. Überraschend ist, dass sie so lange gewartet haben.

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Foto von Brusk Dede
Veranstaltungstipp

Messe Zukunft Personal 2010

Keynote-Vortrag
von Avivah Wittenberg-Cox
 

Mittwoch, 13. Oktober 2010,
14.30 – 15.30 Uhr, Keynote-Forum,
im Anschluss Public Interview

www.zukunft-personal.de

Was ändert sich in Unternehmen, wenn Frauen in Führung gehen? Glauben Sie an einen weiblichen Führungsstil?

Wir wissen noch nicht, ob es einen typisch weiblichen Führungsstil gibt. Wir wissen aber aus der Forschung, dass eine Genderbalance bessere Teams hervorbringt und Innovationen fördert – ebenso wie Profitabilität. Wer jedoch über einen weiblichen Führungsstil spricht, riskiert, in Stereotype zu verfallen. Denn momentan ist es noch zu früh, darüber gesichert urteilen zu können. Geben Sie mir zehn weitere Jahre .

Der Konzern Deutsche Telekom hat kürzlich als erstes DAX-30-Unternehmen eine Frauenquote eingeführt, die auch für die österreichische T-Mobile gilt. Glauben Sie, die Quote ist ein gutes Instrument für eine Genderbalance?

Die Deutsche Telekom sagt, dass 30 Prozent der Führungspositionen für Frauen bestimmt sein sollten. Natürlich kann man diskutieren, warum man sich für die 30 Prozent entschieden hat. Aber grundsätzlich werden Unternehmen über Zahlen geführt – und wenn sie keine Zahlen vorgeben, erhalten sie keine Resultate. Ich würde allerdings keine Frauenquote, sondern eine „Gender-Balance-Quote“ empfehlen. Anstatt einer Frauenquote von 30 Prozent, sollten Arbeitgeber anstreben, auf jeder Hierarchieebene mindestens 30 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer zu beschäftigen. Dann wäre es genderneutral, Frauen und Männer könnten es besser akzeptieren – und es würde Männer in Zukunft schützen.

Grundsätzlich befürworten Sie demnach Quoten als Instrumente der Genderbalance?

Es ist viel besser, wenn Unternehmen sich selbst Ziele setzen, als wenn die Regierung diese Quoten vorgibt, was derzeit in vielen Ländern geschieht. Die EU plant gerade eine Quote von 20 Prozent für die Ebene der Boards of Directors (oberste Leitungs- und Kontrollgremien von Unternehmen im anglo-amerikanischen Raum, Anm. d. Red.). Ich glaube allerdings nicht, dass die Boards das zentrale Thema sind. Das sind Aufsichtsratsgremien, die keine Unternehmen führen. Eine Genderbalance auf dieser Ebene hat intern nur geringe Auswirkungen. Die Executive Committees hingegen (das Senior Management, bestehend aus den Chief Officers) bestimmen viel eher, wie aktiv Arbeitgeber im Bereich Genderbalance sind.

Wie hoch sollte eine Quote sein?

Das muss jedes Unternehmen im Hinblick auf sein Recruiting und die Zusammensetzung seines Kundenstamms diskutieren. Genderbalance heißt jedenfalls nicht notwendigerweise Parität. Es ist die Art von Balance, die für das jeweilige Business wichtig ist.

Eine Quote ist nur ein Instrument für eine bessere Genderbalance. Welche weiteren empfehlen Sie?

Eine Quote zwingt Manager dazu, Frauen ebenso wie Männer anzuwerben, zu halten und zu fördern. Damit das gelingt, müssen Unternehmen ihre Prozesse, Managementstile und Kulturen verändern. Indem sie sich Ziele stecken wie die Deutsche Telekom, lernen sie, was sie benötigen, um diese zu erreichen. Das bringt Veränderungen mit sich – und die meisten haben damit zu tun, wie Manager managen.

Können Sie diese Veränderungen an einem Beispiel erläutern?

Die meisten Unternehmen identifizieren die Führungskräfte der nächsten Generation im Alter zwischen 30 und 35 Jahren. Damit wollen sie Frauen nicht bewusst diskriminieren. Aber sie können keinen schlimmeren Zeitraum wählen als jenen, in dem die meisten Hochschulabsolventinnen, die schon eine Karriere begonnen haben und jetzt Kinder möchten, mit der Familienplanung beginnen. Systemimmanente Regeln wie diese sind oft unbewusst, bis Unternehmen versuchen, Frauen zu fördern. Dann realisieren sie, dass ihre Regeln im 20. Jahrhundert gemacht wurden – für Männer, die Frauen zu Hause hatten, die sich um den Alltag kümmerten.

Sind Branchen mit mehrheitlich weiblicher Kundschaft besser darin, auf Frauen einzugehen?

Nicht wirklich. Frauen treffen heute 60 Prozent der Kaufentscheidungen für Autos. Aber die Art, wie die Automobilindustrie mit Frauen kommuniziert, lässt viele Wünsche offen. Wie viele Unternehmen dieser Branche haben ihre Marktforschung, ihre Produktentwicklung und ihr Beziehungsmanagement an die Tatsache angepasst, dass ihre Kundschaft mehrheitlich weiblich ist? Es ist unglaublich, zu welchem Ausmass sie den größten Teil ihrer Käufer ignorieren können. Wenn sie einen besseren Draht zu ihren Kundinnen aufbauen würden, könnten sie ihre Marktanteile deutlich steigern. Und das fiele ihnen viel leichter, wenn sie im Unternehmen einige Frauen mit Entscheidungsbefugnissen hätten.

Genau das möchten aber doch vermutlich Ihre Kunden erreichen – mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Mit welchen Anfragen kommen Unternehmen zu Ihnen?

Die typische Anfrage lautet: „Wir wissen, warum wir das tun müssen“, was häufig nicht der Fall ist, „wir wissen nur nicht, wie wir es erreichen.“

Warum gehen Sie davon aus, dass die Unternehmen die Bedeutung des Themas unterschätzen?

Sie spüren zwar den wachsenden Druck, dass sie etwas unternehmen müssen, denn ihre Führungsteam sind nur mit Männern besetzt, und wissen, daran stimmt etwas nicht. Aber sie erkennen noch nicht, dass es sich dabei um ein riesiges Businessthema handelt. Sie glauben, Genderbalance sei gut für das Image und das Employer Branding oder helfe, Recruitingprobleme zu lösen. Für sie ist es ein kleines HR-Thema.

Wie sehen die ersten Schritte aus, wenn Sie mit den Unternehmen arbeiten?

Im ersten Schritt arbeiten wir einen Tag lang mit dem Executive Committee an dem Thema und diskutieren, warum Genderbalance für das Unternehmen relevant ist und was das Senior Management bereit ist, dafür zu tun. Wir raten davon ab, die Thematik an irgendwelche Diversity-Verantwortliche zu delegieren. Wenn Unternehmen eine bessere Genderbalance wollen, liegt es in der Verantwortung der Führungskräfte, dafür zu sorgen.

Wie nützlich sind Mentoring-Programme in diesem Zusammenhang?

Unternehmen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, verfolgten bislang mehrheitlich Strategien, die wir als „Fix the Women“-Strategien (frei übersetzt: „Doktert an den Frauen rum“) bezeichnen. Sie sagen: „Was ist bloss los mit diesen armen Ladies, dass sie es nicht an die Spitze schaffen? Lasst uns helfen. Wir geben ihnen ein Leadership-Training und Mentoring und helfen ihnen auf den Weg.“ Im Jahr 2010 wird es Zeit, von diesem Ansatz wegzukommen. Stattdessen sollte man fragen: „Was ist los mit unserem Unternehmen, dass wir die Mehrheit der Talente in unserem Land nicht ausreichend anwerben, halten und fördern können – und so die Mehrheit unserer Kunden nicht ansprechen?“ Wenn man diese Frage stellt, sind es die Manager, an denen man arbeiten sollte und nicht die Frauen. Daher glaube ich nicht, dass Mentoring für Frauen ein gutes Instrument ist. Organisationen können Mentoring einsetzen, aber es sollte sich an Männer und Frauen richten.

Das Bemühen einiger Unternehmen um mehr Genderbalance könnte daran scheitern, dass Frauen keine Führungsverantwortung übernehmen wollen. Oder ist das nur ein Klischee?

Nein, das ist so. Frauen wollen keine Führungsverantwortung übernehmen. Aber wen interessiert das? Geht es darum, was Frauen wollen oder was Unternehmen brauchen? Unternehmen brauchen Genderbalance, denn sie ist nachweislich besser für ihre Gewinne, ihre Kunden und ihre Talente. Wenn Frauen in Unternehmen, wie sie jetzt sind, keine Führungspositionen übernehmen wollen, müssen sich die Organisationen ändern. Eine weitere wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wer hat jemals nachgewiesen, dass nur Menschen, die Macht wollen, am besten geeignet sind, um diese auszuüben? Unternehmen befördern nur diejenigen, die befördert werden wollen. Und Frauen – es stimmt insgesamt – wollen wahrgenommen werden, aber nicht, indem man ihre Karriere befördert. Heisst das, man kann sie nicht fördern? Nein. Wir kennen viele Unternehmen, in denen Frauen Karriere machen und sich gut entwickeln. Manager müssen eben lernen, Leute zu unterstützen, die nicht danach fragen, auch wenn sie sich dabei intellektuell umstellen müssen.

Interview: Bettina Geuenich und Stefanie Hornung

Literaturtipps

How Women Mean Business: A Step by Step Guide to Profiting from Gender Balanced Business.
Von Avivah Wittenberg-Cox, John Wiley & Sons 2010.

Why Women Mean Business: Understanding the Emergence of our next Economic Revolution.
Von Avivah Wittenberg-Cox und Alison Maitland, John Wiley & Sons 2009.