BAG vom 18.8.2009 – 1 ABR 47/08

selective focus photography of people sits in front of table inside room
Foto von Annie Spratt

Sachverhalt

 

Der beklagte Arbeitgeber des vorliegenden Falles betreibt eine Kette von Drogeriemärkten. Er übersandte dem Betriebsrat interne Stellenausschreibungen, in denen es um die Besetzung einer Position als Verkaufs-/Kassierkraft ging. Dabei begrenzte das Unternehmen den Bewerberkreis auf Mitarbeiter im ersten Berufsjahr, die in “Tarifgruppe A / 1. Bj.” eingruppiert waren.

Der Betriebsrat verlangte, die Beschränkung zu unterlassen, da sie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoße. Der Arbeitgeber schließe von vornherein Stellenbewerber aus, die älter seien und die über mehr Berufsjahre verfügten. Damit beabsichtige das Unternehmen unzulässigerweise, ältere und damit teurere Interessenten von einer Bewerbung abzuhalten. Die Stellenausschreibungen bezögen sich zwar nicht ausdrücklich auf jüngere Bewerber, jedoch wirkten sie sich mittelbar diskriminierend auf ältere Kandidaten aus. Dies könne anhand von Vergleichsgruppen nachgewiesen werden. Eine Auswertung einer vom Betriebsrat erstellten Mitarbeiterliste habe ergeben, dass die Beschäftigten im ersten Berufsjahr durchschnittlich 29,82 Jahre alt seien, im zweiten Berufsjahr durchschnittlich 36 Jahre und ab dem dritten Berufsjahr durchschnittlich 43,47 Jahre.

Der Arbeitgeber meinte hingegen, es sei ihm vorbehalten zu entscheiden, welche Kosten er für die Schaffung eines Arbeitsplatzes zu tragen bereit sei. Die Gewinnspannen im Einzelhandel seien derzeit derart gering, dass der Gehaltsunterschied zwischen erstem und letztem Berufsjahr darüber entscheide, ob eine Verkaufsstelle Gewinn oder Verlust mache. Im Übrigen habe der Betriebsrat keinen Anspruch auf Unterlassung der Stellenausschreibung, da das Verhalten des Arbeitgebers jedenfalls keinen “groben Verstoß” im Sinne des AGG darstelle, der den Betriebsrat berechtige, gerichtlich vorzugehen. Das sah der Betriebsrat anders und erhob Klage auf Unterlassung der Stellenausschreibung.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab dem Betriebsrat Recht. Die Begrenzung einer innerbetrieblichen Stellenausschreibung auf Arbeitnehmer im ersten Berufsjahr kann eine unzulässige mittelbare Benachteiligung wegen des Alters darstellen (§ 3 Abs. 2 AGG). Mitarbeiter mit mehreren Berufsjahren weisen typischerweise gegenüber Arbeitnehmern im ersten Berufsjahr ein höheres Lebensalter auf. Eine solche Beschränkung kann jedoch grundsätzlich dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber mit ihr ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und sie zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Sind die hierfür vom Arbeitgeber angeführten Gründe jedoch offensichtlich ungeeignet, verstößt er grob gegen seine Pflicht zur diskriminierungsfreien Stellenausschreibung (§ 11 AGG). Dagegen kann der Betriebsrat gerichtlich vorgehen (§ 17 AGG). Das BAG entschied, dass die Berufung des Unternehmens auf das vorgegebene Personalbudget offensichtlich ungeeignet ist, den Bewerberkreis von vornherein auf jüngere Beschäftigte zu begrenzen.

Konsequenzen für die Praxis: Bei der Gestaltung von Stellenausschreibungen ist nach wie vor erhebliche Vorsicht geboten. Das wird schon dadurch deutlich, dass das AGG dem Thema “Ausschreibungen” sogar eine eigene Vorschrift widmet: Nach § 11 AGG dürfen Arbeitgeber ihre Stellen nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ausschreiben. Zwar liegt in der Beschränkung auf Kandidaten im ersten Berufsjahr keine unmittelbare Benachteiligung (“weniger günstige Behandlung älterer gegenüber jüngeren Mitarbeitern”). Das BAG bescheinigt dem Unternehmen jedoch eine mittelbare Benachteiligung. Eine mittelbare Benachteiligung ist dann gegeben, wenn “dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren” Personen wegen eines Benachteiligungsgrundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Im vorliegenden Fall waren ältere Mitarbeiter durch die Beschränkung auf Mitarbeiter im ersten Berufsjahr dadurch mittelbar beschränkt, dass Arbeitnehmer im ersten Berufsjahr tendenziell jünger waren. Eine mittelbare Benachteiligung ist nach dem AGG jedoch nicht per se verpönt. Erst dann, wenn sie nicht zu rechtfertigen ist, liegt eine nach dem AGG sanktionsfähige Diskriminierung vor. Eine mittelbare Benachteiligung kann dann gerechtfertigt sein, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Ein limitiertes Budget ist nach Ansicht des BAG dafür offensichtlich ungeeignet, und zwar derart ungeeignet, dass das BAG dem Betriebsrat im vorliegenden Fall sogar zubilligt, den dadurch vorliegenden “groben” AGG-Verstoß gerichtlich geltend zu machen.

Praxistipp

Um sich Schwierigkeiten bei einer komplizierten Rechtfertigung einer (legalen) Benachteiligung zu ersparen, sollten Arbeitgeber Ausschreibungen zur Sicherheit von vorneherein benachteiligungsfrei formulieren. Eine Benachteiligung nach dem AGG kann “aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität” vorliegen. Diese Benachteiligungsgründe sollten vor jeder Ausschreibung berücksichtigt werden. Dabei ist wegen der Möglichkeit einer mittelbaren Benachteiligung auch zu bedenken, ob Kriterien sich nicht, wie in diesem Fall, mittelbar auf Benachteiligungsmerkmale beziehen. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, schon bei der Formulierung einer Stellenausschreibung Rechtsrat einzuholen, da langwierige Gerichtsverfahren, die der Betriebsrat unter Umständen wie hier auf Kosten des Arbeitgebers durch drei Instanzen führen kann, Unternehmen kostenmäßig nicht unerheblich belasten können.