Was verstehen Sie unter Talent – bezogen auf den IT/Software-Bereich?

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Foto von cetteup

Wir sind eine Software-Engineering-Firma. 85 Prozent unserer Mitarbeitenden haben eine Hochschulausbildung absolviert und sind Software-Ingenieure oder Ähnliches. Das heisst: Jeder unserer Mitarbeitenden ist an sich schon talentiert.

 

Wie werden die Mitarbeitenden gefördert und entwickeln sich weiter?

Wir stellen sehr viele Absolventen direkt ab Studium ein. Diese werden dann Teil eines Teams und fangen dort an, „on the job“ Erfahrungen zu sammeln. Im Laufe der Zeit übernehmen sie mehr Verantwortung, entwickeln sich über die Jahre gemäss eigenen Neigungen, Stärken und Zielen in verschiedene Rollen – zum Beispiel in Richtung Projektmanagement, technologischer Experte oder Linienfunktionen wie Teamleiter etc. Wir besetzen praktisch alle führenden Positionen intern. Von der Persönlichkeit, den Neigungen und Chancen bei frei werdenden Stellen hängt es ab, wie schnell die Entwicklung geht.

 

Wie viele Neueinstellungen pro Jahr gibt es?

Ergon Informatik beschäftigt aktuell 280 Mitarbeitende; 2017 waren es 27 Neueinstellungen, wir haben 15 neue Stellen geschaffen. In der Regel holen wir junge Entwickler an Bord. Bei spezifischen Tätigkeiten oder Teamleiterfunktionen schauen wir uns auch im Arbeitsmarkt um, falls intern niemand gefunden wird.

 

Woher kommen die Nachwuchskräfte, die Sie bei Ergon beschäftigen?

Typischerweise von der ETH Zürich oder von der Hochschule Rapperswil.

 

Welche Kanäle benutzen Sie bevorzugt beim Rekrutieren?

Das Kerngeschäft mit Neueinstellungen von Nachwuchsleuten machen wir selbst. Wir veröffentlichen Inserate auf unserer Website und nutzen Jobbörsen bzw. Karrieremessen sowie Kontaktmöglichkeiten an den Hochschulen. Die ETH zum Beispiel veröffentlicht anlässlich der Jobbörse einen Katalog mit Firmenprofilen. So ist man dauerhaft präsent.

 

Mit welchem Ergebnis?

Wir stellen etwa 5 Prozent der Absolventen eines ETH-Jahrgangs des Departements Informatik ein.

 

Das heisst, Fachkräftemangel ist für Sie kein Thema?

Nein. Ich weiss allerdings, dass wir eine besondere Stellung haben. Zudem haben wir das Glück, dass die Leute lang bleiben wollen, die Fluktuation ist gering. Andere Softwarefirmen müssen mehr Zeit und auch Werbebudget in die Rekrutierung investieren als wir.

 

Nutzen Sie externe Personalvermittlung?

Kaum. Das ist nur bei Spezialprofilen erforderlich. Zum Beispiel, wenn wir einen Verkäufer suchen.

 

Wie wichtig ist der persönliche Kontakt beim Rekrutieren von jungen Talenten?

Sehr wichtig. Zu den Recruiting-Anlässen für Informatikstudenten der Hochschulen nehmen wir zum Beispiel immer unsere jüngsten Mitarbeitenden mit, weil diese oft noch Kontakt zu den Absolventen an der Hochschule haben. Die Jungen unterhalten sich lieber auf Augenhöhe. Die wollen nicht von Personalleuten hören, wie toll eine Firma ist, sondern eher mit ihresgleichen reden. Daneben bieten wir Studenten Praktika an – zum Beispiel für ein Freisemester zwischen Bachelor und Master. Die kommen dann später oft zurück. Unsere Mitarbeiter sind die besten Botschafter, um neue Leute zu finden.

 

Welches sind die Erfolgsfaktoren, dass Talente an Bord kommen und bleiben?

Wer bei uns arbeitet, hat es mit spannenden Zukunftsprojekten zu tun – das ist für unsere Leute am wichtigsten. Daneben sind es unsere Unternehmenskultur, die aktiv das Mitunternehmertum fördert, und die hohe Kollegialität, die anziehend wirken.

 

Wie sieht das in der täglichen Praxis aus?

Wir delegieren viel Verantwortung in die einzelnen Teams. Diese arbeiten eigenverantwortlich, nah an Kunden und entscheiden zum Beispiel selbst, welche Technologien sie einsetzen. Es gibt keinen zentralen Personalpool, von wo aus die Mitarbeitenden auf Projekte verteilt werden. Die Arbeit wird im Team organisiert und selbständig priorisiert. Die Verantwortung für Kundenprojekte liegt bei der Team- und Projektleitung.

 

Was verstehen sie unter Mitunternehmertum?

Es gehört zu unseren Unternehmenswerten, dass wir eine hohe Transparenz leben. Alles wird offengelegt – Kennzahlen, Löhne, Protokolle. Und es gibt einen hohen Grad an Mitbestimmung – zum Beispiel ein Vetorecht gegen Entscheide der Geschäftsleitung. Auch am Risiko und Erfolg des Unternehmens sind unsere Leute direkt beteiligt.

 

Dass die Mitarbeitenden dies schätzen, zeigen nicht zuletzt die guten Platzierungen beim Swiss Arbeitgeber Award. Was bringt Ihnen die Teilnahme?

Ja, wir haben 2012 gewonnen und 2015 sind wir bei den mittelgrossen Unternehmen Zweiter geworden. Das Spannende an diesem Award ist, dass nicht eine Jury entscheidet, wie gut man als Arbeitgeber ist. Sondern man gewinnt über eine umfassende Befragung der eigenen Mitarbeitenden ein sehr differenziertes Bild über sein Unternehmen. 2018 sind wir wieder mit dabei.

 

Hilft ein solcher Award auch für die Bekanntheit und Beliebtheit als Arbeitgeber?

Innerhalb der IT-Branche, aber auch an der ETH und der Hochschule Rapperswil kennt man uns. Eine generelle Bekanntheit ist sicherlich von Vorteil. Anziehend wirkt auf Bewerber, dass unsere Mitarbeitenden eigenverantwortlich arbeiten können und dies in einem guten, kollegialen Team mit spannenden Projekten. Das ist die Voraussetzung für eine höhere Motivation und ein Engagement übers normale Mass hinaus.

 

IT- und Programmierkenntnisse sind wichtige Fertigkeiten für Arbeitsplatzchancen in Zukunft. Dieses Berufsfeld ist allerdings sehr stark männlich dominiert. Wie können Frauen motiviert werden, sich mehr Computerkenntnisse anzueignen bzw. IT-Berufe zu ergreifen?

Unsere Frauenquote bei Ergon Informatik entspricht 1:1 den Informatik-Studiengängen der Hochschulen – etwa 10 bis 15 Prozent unserer Belegschaft ist weiblich. Es gibt in der Schweiz zwar viele Bemühungen, Informatik aus der „Nerd“-Ecke herauszubringen und junge Frauen zu motivieren, auch etwas „mit Programmieren“ zu machen. In der Praxis stellen wir allerdings fest, dass sich Mädchen am Ende des Gymnasiums oft lieber für etwas „Soziales“ entscheiden. Für die Zukunft brauchen wir allerdings unbedingt die analytischen Fähigkeiten. Zumindest ein Grundwissen in Informatik und Programmieren muss schon in den Schulen vermittelt werden.

 

Sie sind ja selbst Informatikerin und ETH-Absolventin. Was hat Sie begeistert?

Ich bin in den Anfängen des PC zur Informatik gekommen. Am Gymnasium hatten wir die ersten Macs. Es hat mir Spass gemacht, mich damit zu beschäftigen und zu programmieren. Dabei bin ich dann geblieben und habe es nicht bereut.

 

Wie unterstützt bei Ergon HR die Führungskräfte in der Nachwuchsarbeit?

Es gibt bei uns einen zentralen Personalbereich mit zwei Vollzeitstellen und in jeder Abteilung ist eine Führungskraft für Personal zuständig. Ein regelmässiger Austausch findet in beide Richtungen statt. Die zentrale HR-Funktion hat Koordinationsaufgaben, definiert Rahmenbedingungen, stellt Vorlagen, zum Beispiel für Mitarbeitergespräche zur Verfügung, führt selbst Assessments und Bewerbungsgespräche, ist involviert, wenn Teams personelle Engpässe haben und organisiert die Präsenz an den Stellenbörsen bzw. Karrieremessen. Ein wichtiges Thema ist auch die Weiterbildung. Ergon Informatik ermöglicht jedem Mitarbeitenden pro Jahr zehn Tage Weiterbildung zur freien Verfügung und alle fünf Jahre zusätzlich 20 Tage als Sabbatical. Das ist wichtig, um à jour zu bleiben und sich kontinuierlich zu entwickeln.

 

Gibt es Herausforderungen?

Momentan läuft es bei uns rund. Das ist nicht reines Glück, sondern wir pflegen unsere Unternehmenskultur. Der Fokus auf das «Wie» der Zusammenarbeit – im Unternehmen und mit den Kunden – wirkt sich auf alles aus – auf unsere Dienstleistungen für die Kunden und letztlich auch auf den Unternehmenserfolg.

 

Interview: Michaela Geiger

Ergon Informatik AG stellt individuelle Softwarelösungen und Softwareprodukten her. Die Mitarbeitenden sind hochqualifizierte IT-Spezialisten. Das Unternehmen mit 270 Mitarbeitenden wurde 1984 gegründet. Seit über 20 Jahren wird bei Ergon eine Kultur der Transparenz, Eigenverantwortung und Mitbestimmung gelebt und gefördert. Das Unternehmen zählt zu den beliebtesten Arbeitgebern der Schweiz.

 

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Quelle: persorama - Magazin der Schweizerischen Gesellschaft für Human Resources Management | Nr. 1, Frühling 2018

Gabriela Keller (48) löste per 1. Juli 2016 im Rahmen einer Nachfolgeplanung den langjährigen CEO Patrick Burkhalter in der Unternehmensleitung beim Schweizer Softwaredienstleister Ergon Informatik AG ab. Gabriela Keller ist seit 1994 bei Ergon tätig, davon 15 Jahre in der Geschäftsleitung. Die diplomierte ETH-Informatikingenieurin war vor ihrer CEO-Tätigkeit für Marketing und Personal verantwortlich und auch als Software-Ingenieurin und Projektleiterin sowie als Teamleiterin bei Ergon eingesetzt. Sie lebt mit ihrem langjährigen Partner in Wollerau. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten in der Natur, gerne auch auf den Ski. Und sie interessiert sich für Architektur und Kultur.