Frau Durian, warum befindet sich die Zeitarbeit trotz andauernder Krise im Aufwind?

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Foto von Windows

Zeitarbeit war schon immer ein Frühindikator der Wirtschaft – für einen kommenden Abschwung ebenso wie für einen anstehenden Aufschwung. Denn die Zeitarbeitsmitarbeiter sind die ersten, die betroffen sind, wenn es um Personalanpassungen geht. Zeitarbeit verschafft Arbeitgebern eine enorme Flexibilität, die sonst die deutsche Gesetzgebung nicht erlaubt. Derzeit ist das für Unternehmen besonders wichtig. Die wenigsten können sagen, wie die Auftragslage in der ersten Jahreshälfte 2010 aussehen wird. Sie müssen also ganz kurzfristig ihren Personalbedarf planen – und zwar in einem Ausmaß, wie wir das aus der Vergangenheit nicht kennen.

Vortrag von Ariane Durian

auf der Messe PERSONAL2010:

“Was Sie von mittelständischen Personaldienstleistern fordern können

‚Wir können alles’ hat keine Zukunft mehr

Dienstag, 27. April 2010, 12.55 – 13.25,

Forum 1, Halle 9, Messe Stuttgart

Hat sich die Zeitarbeitsbranche mit der aktuellen Rezession verändert?

Ein Trend ist ganz deutlich: Derzeit sind viele Anbieter auf der Suche nach neuen Nischen. In der Vergangenheit dominierte der Markt für niedrig Qualifizierte die Branche. Sehr viele ungelernte und angelernte Hilfskräfte waren in der Zeitarbeit beschäftigt – vor allem im produzierenden Bereich. Da diese Arbeitsfelder besonders von der Konjunktur abhängig sind, lässt sich ein Umdenken erkennen: Die Personaldienstleister erweitern zunehmend ihre Mitarbeiterpools in Richtung Fachkräfte. Außerdem setzen sie vermehrt auf On-Site-Management: Sie agieren vor Ort als Problemlöser für komplette Produktionslinien – mit der Vermittlung, Beschaffung und Verwaltung von Personal.

Gibt es bestimmte Branchen, die als weniger krisenanfällig gelten und nun für die Zeitarbeitsunternehmen interessant werden?

Ja, das ist beispielsweise ganz klar der Gesundheits- und Pflegebereich. Da gibt es einen enormen Bedarf, weil zu wenig qualifizierte, ausgebildete Kräfte auf dem Arbeitsmarkt sind.

Ist es für Zeitarbeitsunternehmen nicht sehr schwierig, Fachkräfte ins Boot zu holen? Schließlich hat die Branche zumindest den Ruf, dass ihre Arbeitnehmer weniger verdienen als Festangestellte.

Das lässt sich nicht pauschal sagen. Wenn Sie nur die Metall- und Elektrobranche anschauen, dann stimmt es vermutlich, dass Zeitarbeitnehmer weniger verdienen. Aber im Handel, der Gastronomie oder im öffentlichen Dienst bekommen sie unter Umständen mehr Lohn als Festangestellte. Außerdem ist ein Vorteil der Zeitarbeit, dass sie mehr Flexibilität bietet, was die Arbeitszeit oder die Einsatzorte betrifft. Sie eignet sich vor allem für Mitarbeiter, die Abwechslung brauchen und nicht über Jahre den gleichen Job machen möchten. Zeitarbeit macht es beispielsweise möglich, für einen gewissen Zeitraum in der Altenpflege zu arbeiten und danach einer Beschäftigung im Krankenhaus nachzugehen.

Wie hat sich die Lohndifferenz mit der Wirtschaftskrise entwickelt?

Die Krise hat meines Erachtens nicht dazu beigetragen, dass es eine größere Spaltung gibt. Die Löhne haben sich in unseren Tarifverträgen nicht nach unten entwickelt. In den einzelnen Branchen gibt es zwar Unterschiede, aber da die Tarifabschlüsse in den Kundenunternehmen in diesem und im letzten Jahr etwas moderater ausgefallen sind, hat sich der Lohnunterschied nicht vergrößert. Im Fachkräftesegment vermute ich zudem, dass der Markt Unterschiede selbst ausgleichen wird. Wenn ein Zeitarbeitsunternehmen in bestimmten Bereichen nicht genauso viel oder mehr bezahlt als in der jeweiligen Branche üblich, bekommt es keine Mitarbeiter.

Dennoch ist immer wieder ein Mindestlohn für die Zeitarbeit Thema – gerade in Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die 2011 kommen wird und Arbeitnehmern aus Ost- und Mitteleuropa freien Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland ermöglicht. Welchen Bedarf an rechtlichen Regelungen sehen Sie?

Der iGZ hat bereits 2007 einen Branchenmindestlohn unterstützt und mit den DGB-Gewerkschaften vereinbart. Auch der Bundesverband der deutschen Zeitarbeitsunternehmen (BZA) hat das mitgetragen. Ziel war es, dass die Bundesregierung diesen Mindestlohntarifvertrag in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnimmt. Leider haben wir das Ziel mit der alten Bundesregierung nicht erreicht. Aber wir sehen nach wie vor die dringende Notwendigkeit, dass hier eine Regelung her muss. Die Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich sind sowieso am meisten gefährdet in Deutschland. Wenn Arbeitnehmer nach Deutschland kommen, die bereit sind, zu wirklich absoluten Hungerlöhnen zu arbeiten, werden deutsche Arbeitnehmer das Nachsehen haben.

Wie zufrieden sind Sie mit den ersten Ansätzen der Regierung – beispielsweise mit den Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag?

 

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein ganz klares Bekenntnis zur Tarifautonomie abgegeben. Deshalb soll auch der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte Tarifausschuss gestärkt werden. Und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen hat erklärt, Tarifpartner, die die Mehrzahl der Beschäftigten in einer Branche repräsentieren, müssten sich auf eine Mindestlohnuntergrenze einigen. Sie seien Experten in eigener Sache, würden ihre Branche kennen und könnten abschätzen, was gute Arbeit schafft. Diese Einlassung begrüßen wir und arbeiten an einem vernünftigen Konsens in der Zeitarbeitsbranche.

Wie ist es denn angesichts der Krise mit dem sogenannten Klebeeffekt bestellt – also der Übernahme von Zeitarbeiternehmern in ein festes Arbeitsverhältnis?

Durch die Krise ist der Klebeeffekt natürlich geringer geworden im Vergleich zu 2007 und in der ersten Hälfte von 2008. Doch Sie müssen differenzieren. Während Spezialisten meist mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit übernommen werden, da die Unternehmen mit der Einarbeitungszeit schon in den Mitarbeiter investiert haben, kommt es für niedrig Qualifizierte stärker auf gute Leistung an. Insgesamt wird Zeitarbeit für die Rekrutierung vermutlich in Zukunft eine stärkere Rolle spielen, denn Kundenunternehmen kommen in der Regel schneller und günstiger an das passende Personal als über eine Stellenanzeige.

Inwiefern könnte sich die Branche im Zuge des demographischen Wandels verändern?

Mit dem dadurch absehbaren Fachkräftewandel sehe ich neue Aufgaben auf unsere Branche zukommen. Wir werden mit Bewerbern arbeiten müssen, die auf den ersten Blick nicht gleich beschäftigungsfähig sind. Diese Menschen müssen wir da abholen, wo sie stehen, sie fördern, qualifizieren, coachen und wieder fit für den Job machen. Wir erfüllen dabei mehr und mehr die Funktion des Karrierecoachs.

Haben Zeitarbeitnehmer überhaupt eine Chance zur Weiterbildung – gerade jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?

Die Zeitarbeitsbranche hat seit Dezember 2008 auch die Möglichkeit, das Instrument der Kurzarbeit anzuwenden. Vor allem die mittelständischen Zeitarbeitsunternehmen haben das auch getan und versucht, ihre Mitarbeiter währenddessen zu qualifizieren. Wir haben in der Branche nur das Problem, dass die Angebote der Weiterbildungsträger meist nicht auf uns zugeschnitten sind.

Was würden Sie brauchen?

Flexiblere Angebote. Wenn zum Beispiel ein kaufmännischer Mitarbeiter ab nächster Woche keinen Einsatz mehr hat, müssten wir den Weiterbildner anrufen können und sagen, dass wir nächsten Montag jemand zur SAP-Schulung vorbeischicken. Wir müssten ihn dann aber auch relativ schnell wieder aus der Qualifizierung herausnehmen können, wenn er eine Beschäftigung hat. Da sind die Weiterbildungsträger – aber auch wir als Branche – gefordert, intelligente Lösungen zu finden. Beim iGZ steht das für 2010 auf der Agenda; zwei Arbeitskreise beschäftigen sich damit.

Wie viele Leiharbeitnehmer wird es angesichts dieser Entwicklung in den kommenden Jahren geben?

Studien haben in der Vergangenheit für das Jahr 2010 eine Million Zeitarbeitskräfte prognostiziert. Damals ist aber noch niemand davon ausgegangen, dass wir eine solche harte Wirtschaftskrise durchlaufen müssen. Wie sich diese Rezession in den nächsten zwei, drei Jahren entwickelt, kann meiner Ansicht nach niemand sagen. Davon hängt die Entwicklung der Zeitarbeitsbranche zu einem großen Teil ab. Wir werden sicher in der Metall-, Elektro- und Automobilzulieferindustrie nicht mehr die Zuwächse haben wie in der Vergangenheit. In Spitzenjahren waren in diesen Bereichen bis zu 40 Prozent unserer Mitarbeiter im Einsatz. Doch wenn wir es schaffen, flexible und kreative Lösungen zu finden, könnten wir vielleicht dennoch das Niveau von Mitte 2008 – also rund 800.000 Beschäftigte – in 2011 wieder erreichen.

Interview: Stefanie Hornung

Literaturtipp:

Markus-Oliver Schwaab, Ariane Durian (Hrsg.): Zeitarbeit. Chancen – Erfahrungen – Herausforderungen.

Gabler Verlag 2009, ISBN 978-3-8349-1277-0