HRM.de aktuell: Frau Krummacker, warum führte die Nordmilch AG Wissensmanagement ein?

person holding pencil and stick note beside table
Foto von Marten Bjork

Krummacker: “Ich möchte etwas vorwegschicken, das die Frage verändert: Ich kann keinen Tag ‘x’ für die Einführung benennen. Vielmehr haben verschiedene Entscheider und Mitarbeiter allmählich erkannt, dass Nordmilch mehr mit dem nutzbringenden Wissen der Beschäftigten arbeiten sollte, um sich zu weiterzuentwickeln. Diese Erkenntnis gründet auf Erfahrungen bei Veränderungsprozessen, die wir in den letzten zehn Jahren erlebt und begleitet haben. Allein interne Wechsel stellen die Bereiche und besonders die Mitarbeiter vor Herausforderungen: Stellen Sie sich vor, Sie sind im Vertrieb von Käse im Lebensmitteleinzelhandel beschäftigt und sollen sich nun mit dem Verkauf von Käse in die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie befassen. Die Mechanismen sind andere, die Partner wechseln, da müssen Sie sich neu orientieren. Das kostet wertvolle Zeit. Und wenn dann noch der Kollege ausgeschieden oder versetzt ist, der einarbeiten könnte, wird es schnell eng.

HRM.de aktuell: Eine der sensiblen Fragen im Wissensmanagement betrifft die Wissensweitergabe, umso mehr bei Veränderungsprozessen. Was sollte Mitarbeiter in einer solchen denn motivieren, ihr Knowhow abzugeben?

Krummacker: “Bei Nordmilch leben wir eine Kultur des Gebens und Nehmens. Entsprechend erkennt jeder Mitarbeiter im Wissensmanagement einen Nutzen für sich. Er bekommt von anderen, was er für sich braucht und ist deshalb bereit, ebenfalls Input zu leisten. Nicht „Wissen ist Macht“ ist unser Motto, sondern „Wissensweitergabe schafft Freiräume zur eignen Weiterentwicklung“

HRM.de aktuell: Beschäftigen Sie denn auch freie Mitarbeiter?

Krummacker: “Nein. Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Freie Mitarbeiter leben von dem Wissen, dass sie an Unternehmen verkaufen. Von daher wäre es schwierig bzw. unmöglich, von ihnen die Preisgabe dieses Wissens zu verlangen. Das Wissen ist ihr Kapital. Wissensmanagement ist ja generell ein emotionsgeprägtes Thema. Auch intern gibt es immer noch Beteiligte, für die Wissensweitergabe ein Stück Machtverlust bedeutet.”

HRM.de aktuell: Ausschlaggebend für die Mitarbeiter ist sicher auch, wie das Wissen weitergegeben werden soll.

Krummacker: “Wie schon erwähnt, sollen Mitarbeiter ihren Input nicht quasi pflichtschuldig abliefern. Bei uns herrscht eine Atmosphäre des Austausches. Wir setzen auf Freiwilligkeit und sagen dabei deutlich, dass alle Wissensweitergabe der Weiterentwicklung der Organisation dient. Dabei sprechen wir grundsätzlich von nutzbringendem Wissen. Wissensmanagement verfolgt klare Ziele.”

HRM.de aktuell: “Und welche Formate wählten Sie für das Wissensmanagement, um einen echten Lernprozess anzustoßen? Sie erwähnten im Vorgespräch zum Interview, dass Sie mit kleinem Budget arbeiten.”

Krummacker: “Richtig. Wir glauben, dass wir Vieles aus eigener Kraft umsetzen können. Die Formatwahl ist insofern bestimmend für die Lernprozesse, als Handbücher am Server allein niemandem wirklich nutzen. Man muss der Sache Leben einhauchen. Lernen braucht Erfahrungen und Erlebnisse. Fachleute unterscheiden ja zwischen explizitem und implizitem Wissen. Ersteres fokussiert das ‚was’ – also Fakten, Daten, Informationen. Letzteres umfasst u. a. auch Erfahrungen, was schwerer abzubilden ist. Uns ging es um beides. Für die explizite Wissensaufbereitung verfassen unsere Mitarbeiter Leitfäden und Handbücher – als Dokumente oder über ein betriebseigenes Wiki, das mehreren Personen erlaubt, an einer Sache zu schreiben. Hier arbeiten wir mit Schlagwortkatalogen und redigieren auch immer wieder Artikel, um Texte schlank zu halten. So unterstützen wir die Mitarbeiter, die es noch nicht so gewöhnt sind, professionell Texte zu verfassen. Das implizite Wissen wird bei uns über „Vorleben“ oder z. B. bereichsübergreifende Hospitationen übertragen. Ein Beispiel für erfolgreiches Wissensmanagement im gewerblichen/technischen Bereich ist der standortübergreifende Austausch der Kollegen über einen eigenen „Kanal“ im IT-System: Hat einer der Kollegen ein Problem, kann dieser über den Kanal mittels Suchfunktion herausfinden, ob es ein ähnliches Problem schon gegeben hat und im Idealfall den Lösungsweg einsehen. Das spart Zeit und Geld.

HRM.de aktuell: Sie sprachen vorhin viel von ‚wir’. Wer betreut bei Ihnen das Wissensmanagement?

Krummacker: “Unser so genannter Wissenszirkel besteht aus 10-15 Kollegen verschiedener Fachbereiche und Couleur. Die Geschäftsleitung steht beratend zur Seite. Die Gruppe steuert das Wissensmanagement und generiert neue Ideen.

HRM.de aktuell: Wie sorgen Sie denn dafür, dass sich Mitarbeiter nicht auf den Wissensaustausch kaprizieren? Beispielsweise um ihre Bewertung beim Vorgesetzten aufzupolieren.

Krummacker: “Diese Fälle sind eher selten. Die Frage ist doch vielmehr, inwiefern ein Engagement im Bereich Wissensmanagement vom Vorgesetzten gewertschätzt wird. Für unser Unternehmen ist Wissensmanagement derart wichtig, dass wir unsere Führungskräfte dazu anhalten, einen Mitarbeiter auch daran zu messen, wie er sich selbst und seine Kollegen durch unser System weiterbringt.

HRM.de aktuell: Wie sollen denn die Führungskräfte im Vieraugengespräch über die Lernprozesse sprechen? Was raten Sei ihnen?

Krummacker: “Es ist unmöglich, hier normativ vorgehen zu wollen. Führungskräfte können nach dem Selbstbild des Mitarbeiters fragen und ihren Eindruck im Gegenzug schildern. Lernen ist ein Thema, das jeder Mensch anders erlebt und organisiert. Die Lernmotivation sinkt evident mit strikten Vorgaben. Wir machen mit unserem System gute Erfahrungen. Es geht nicht um große Quantensprünge, sondern darum, den Mitarbeiter langfristig ans Lernen heranzuführen, auf eine möglichst stressfreie Art.

HRM.de aktuell: Wie gehen Sie mit Wissensverlust bei Mitarbeiteraustritten um? Gibt es ein implementiertes Verfahren, um Wissen für das Unternehmen zu „sichern“?

Krummacker: “Bei Austritten geht immer Wissen verloren, das wird man nie verhindern können. Künftig wollen wir Austritte aber anhand eines strukturierten Leitfadens begleiten. Dies dient neben den bestehenden Funktionsbeschreibungen vor allem der Ermittlung der künftigen Anforderungen an die Position, die vakant wird. Wir fragen dabei neuralgische Punkte ab, die sich bündig beantworten lassen, zum Beispiel ‘Welche Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen haben Sie besonders genutzt?’, ‘Woher haben Sie Ihr Wissen in einer bestimmten Situation organisiert?’ oder ‘Welche Inhalte benötigt der neue Einarbeitungsplan des nachfolgenden Mitarbeiters?`.”

HRM.de aktuell: Ich höre an keiner Stelle heraus, dass Sie sich an anderen Unternehmen oder Beratern orientiert haben.

Krummacker: “Wie erwähnt hat sich das Wissensmanagement bei uns allmählich entwickelt. Und das ist gut so, denn wir wollen ja schließlich ein System, das zu uns passt, und wir haben die Mitarbeiter, um selbst gute Lösungen zu finden. Dies ist meines Erachtens immer noch der beste Weg für ein Unternehmen. Unsere Belegschaft steht voll hinter der Sache, weil sie daran beteiligt sind. Ich spare mir die Werbung und Adaptionszeit für ein externes System.