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Foto von Thomas Martinsen
Herr Mag. Zulehner, die Finanzkrise geht auch an Magna nicht spurlos vorüber. Am Standort Graz musste Ihr Unternehmen Mitarbeiter entlassen und Kurzarbeit einführen. Steht weiterer Personalabbau bevor?
Derzeit haben wir für rund 3.000 Mitarbeiter Kurzarbeit eingeführt, Leiharbeitsplätze abgebaut sowie Urlaub und Überstunden aufgebraucht. Momentan sind keine weiteren Personalreduzierungen geplant, aber wir verfolgen die Entwicklung genau. Denn wir sind natürlich von unseren Kunden abhängig. Wenn der Kunde keine Autos produziert, können wir keine Teile liefern.

Was unternehmen Sie jetzt, um Ihre Mitarbeiter bei der Stange zu halten?
Wir setzen auf Kommunikation und Information. Denn es gibt nichts Schlimmeres als aus Zeitung oder Internet zu erfahren, was in der eigenen Firma los ist. Zurzeit stimmen wir uns im Dreitagesrhythmus mit allen Personalverantwortlichen und Präsidenten der Magna-Gruppen über die aktuelle Auftrags- und Beschäftigungslage ab. Management und Mitarbeiter informieren wir regelmäßig in Meetings und Veranstaltungen.

Einige Unternehmen haben schon angekündigt, dass sie ihre Budgets für die Personalentwicklung kürzen oder einfrieren werden. Regiert in den Personalbüros künftig der Rotstift?

Ich habe so etwas auch schon gehört – und natürlich ist klar, dass man in Krisenzeiten den Gürtel enger schnallen muss. Aber das heißt nicht automatisch, dass dies nur im HR- oder Trainingsbereich geschieht. Ganz im Gegenteil. Gerade in Krisenzeiten benötige ich hoch qualifizierte Mitarbeiter und müsste eigentlich das Training verstärken. Ich bin allerdings Realist genug, um zu wissen, dass sich dieser Wunsch nur schwer in die Tat umsetzen lässt. Wir versuchen, die Weiterbildung der Mitarbeiter weiterzutreiben, denn sobald sie zum Stillstand kommt, wird es schwer, die Beschäftigten zu motivieren.

Stichwort Motivation: Magna hat empirisch untersucht, welchen Einfluss die Zufriedenheit der Mitarbeiter auf den Geschäftserfolg hat – mit welchem Ergebnis?
Wir messen im Abstand von 18 Monaten die Zufriedenheit unserer Beschäftigten über ein ausgeklügeltes System von 28 Fragen. Die Beschäftigten müssen in der Befragung zum Beispiel angeben, wie wohl sie sich im Unternehmen fühlen, wie der Vorgesetzte mit ihnen umgeht, ob sie die Informationen bekommen, die sie benötigen, und ob sie sich fair und gut bezahlt fühlen. Eine Diplomarbeit, die wir zu diesem Thema vergeben haben, hat herausgearbeitet, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und dem Betriebsergebnis eines Standortes gibt. Wenn die Zufriedenheit sinkt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Unternehmensergebnis fällt und umgekehrt.

Wovon hängt die Zufriedenheit der Mitarbeiter konkret ab?
In erster Linie von der Befriedigung der Grundbedürfnisse „Orientierung“, „Anerkennung“ und „Wertschätzung“. Wir alle wünschen uns eine wesensgerechte, spannende Arbeit, die fair bezahlt ist und fordert, in der wir aber auch gefördert werden. Das ist eigentlich bei allen Menschen gleich. Abhängig von Person und Lebenssituation gewichten wir aber bestimmte Aspekte unterschiedlich. Themen wie Work-Life-Balance oder Vergütung haben bei jüngeren Beschäftigten einen anderen Stellenwert als bei älteren.

Sind die Faktoren, die Mitarbeiter motivieren, auch kulturabhängig?
Ja, es ist zum Beispiel in China oder Russland viel schwieriger, gute Leute im Unternehmen zu halten. Für diese Länder entwickeln wir eigene Incentive-Programme außerhalb der Vergütung, die von Aktienpaketen über Ausbildungs- und Karriereprogramme bis hin zu atypischen Aktionen wie der Übernahme von Kosten für einen Fitnessclub reichen kann. Die Personalarbeit wird immer internationaler und muss sich auch auf die Bedürfnisse der einzelnen Länder einstellen. Vor sechs oder sieben Jahren hatte zum Beispiel Russland in der Automobilbranche eine eher geringe Bedeutung – heute ist das Land für uns der Wachstumsmarkt in Europa schlechthin.

Wie bereiten Sie Mitarbeiter auf einen Auslandsaufenthalt – zum Beispiel nach Russland – vor?
Alle Expatriates – das sind für uns Mitarbeiter, die mehr als 182 Arbeitstage im Jahr im Ausland verbringen – durchlaufen bei Magna Kultur- und Sicherheitstrainings, die jeweils ein bis eineinhalb Tage dauern. Diese Schulungen behandeln Sicherheitsfragen wie „In welches Taxi darf ich einsteigen?“ oder „In welchen Orten sollte ich ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr alleine ausgehen?“ Hinzu kommen Informationen über die Kultur und die No-Gos in der Kommunikation. Das Thema Tschetschenien-Krieg sollte man im Dialog mit Russen beispielsweise besser nicht aus eigenen Stücken anschneiden. Wir haben ein Handbuch für die Expatriates zusammengestellt, das alles Wissenswerte zusammenfasst – bis hin zu den behördlichen Bestimmungen, die zu beachten sind.

Wie lang bleiben die Expats durchschnittlich in einem Land?
Das hängt von der Aufgabenstellung ab, aber grundsätzlich ein bis maximal drei Jahre. Eigentlich versuchen wir so schnell als möglich lokale Kräfte in Führungspositionen zu bringen und unsere Expats abzuziehen. Das hängt mit unserem Grundsatz „think global, act local“ zusammen. Spätestens nach drei Jahren holen wir jeden nach Hause.

Inwieweit unterstützen Sie die Expats bei der Rückkehr?
Die Reintegration ist die wahre Kunst des Expatriate-Managements. Es ist ungleich leichter, einen Mitarbeiter ins Ausland zu schicken, als ihn anschließend wieder im Heimatland zu integrieren. Manager, die ein paar Jahre im Ausland waren, gehen bei der Rückkehr meist davon aus, dass sie eine oder zwei Hierarchieebenen überspringen können. Das ist aber oft nicht möglich und sie müssen erst mal in eine Warteschleife. Damit unsere Leute wissen, woran sie sind, versuchen wir, die Rückkehr so früh wie möglich vorzubereiten und die Personaleinsätze langfristig zu planen. Es kann nicht sein, dass jemand im September erfährt, dass er im Dezember nach Hause kommen soll.

Wie zentral sollte Personalarbeit sein – und wie dezentral muss sie sein?
Für unseren Konzern gesprochen sollte sie so dezentral wie nur irgendwie möglich sein – und so zentral wie notwendig. Wir sind ein extrem dezentraler Konzern. Das ist einer unserer Wettbewerbsvorteile. Für die Personalpraxis heißt das: Wir entwickeln die HR-Tools zentral, aber in der Ausrollung dürfen sie an die kulturellen Notwendigkeiten angepasst werden. Beispiel Gehaltsbenchmark: Wir wollen jedem Mitarbeiter Informationen darüber bieten, wie er mit seiner Gesamtvergütung im Vergleich zu ähnlichen Jobs in seiner Region liegt. Dafür tauschen wir uns mit anderen Unternehmen aus den jeweiligen Ländern aus. In Osteuropa sind Gehaltsinformationen aber ein absolutes Tabu. Daher ist es ziemlich schwer, an die Daten zu kommen. In anderen Ländern funktioniert der HR-Gehaltsbenchmark dagegen sehr gut.

Ein anderes Beispiel betrifft das Succession- Planning: Wir waren bisher sehr dezentral in der Nachfolgeplanung und der Managementevaluation, werden diese Themen aber jetzt zentral aufstellen. Unser Ziel ist es, die Evaluation der Manager über die Länder und Kontinente hinweg vergleichbarer zu machen – um der internationalen Vernetzung des Geschäfts gerecht werden zu können.

Welche Rolle spielt das Thema Talentmanagement bei Magna?
Eine große. Wir waren in Österreich bisher etwas begünstigt, weil wir hier einer der beliebtesten Arbeitgeber sind und einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Aber bereits in Deutschland, Tschechien oder Polen sieht das anders aus. Andererseits müssen wir auch in Österreich etwas für unser Employer-Branding tun, da jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge nachrücken und die Fachkräfte ausbleiben. Daher haben wir ein Talentmanagementprogramm eingeführt, das vorsieht, dass wir aktiv über Universitäten und Talentscouts an qualifi zierte Nachwuchskräfte herantreten. In Russland versuchen wir zum Beispiel Universitätsabgänger für uns zu gewinnen und als Trainees in Österreich oder Deutschland zu Nachwuchsführungskräften auszubilden, bevor wir sie in Russland in einem Magna-Betrieb einsetzen.

Welchen Anteil hat das länderübergreifende Recruiting an der gesamten Personalbeschaffung von Magna?
Wir sind zwar im Recruiting regionen- und länderübergreifend unterwegs, stellen aber immer wieder fest, dass der Mobilität und Flexibilität vieler Arbeitnehmer in Mitteleuropa Grenzen gesetzt sind. Es ist ungleich leichter einen Mitarbeiter aus der Steiermark nach Kanada oder Mexiko zu bringen als denselben Mitarbeiter täglich zu einem Standort pendeln zu lassen, der 100 Kilometer von seinem Wohnort in Österreich entfernt liegt. Wir werden Berufsnomaden. Aber das wollen viele noch nicht sehen. Flexibilität und Mobilität sind notwendig – aber immer bei den anderen.

Was werden aus Ihrer Sicht die größten personalwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre sein?
Die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben oder – wie wir sagen – die richtigen Leute in den richtigen Bus und dort in den richtigen Sitz zu bringen. Darauf verwenden wir jetzt schon sehr viel Energie – und wir werden diese Energie in der nächsten Zeit noch steigern müssen.


Interview: Bettina Geuenich



Quelle:
personal manager 1/2009