Wo geht die Entwicklung des E-Learnings hin?
Seit etwas über einem Jahr ist das E-Learning dabei, sich rasant weiterzuentwickeln. Der Grund sind die neuen, informellen und kommunikativen Möglichkeiten, mit Podcasts, Wikis und Weblogs eine schier unendliche Interaktivität zwischen den Lernenden zu fördern. Das Ganze muss natürlich eingebunden sein in ein ganzheitliches Lern- und Wissenskonzept, das dem Einzelnen die gesamte Bandbreite vom formellen Lernen bis zu einem medialen Nachschlagewerk bietet.

people sitting on chair in front of table while holding pens during daytime
Foto von Dylan Gillis

Was bringen Weblogs, wenn es darum geht, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens lernen?
Ein Unternehmen kann sich eine kostenlose Software zum Betrieb von sagen wir 100 Weblogs aus dem Internet herunterladen. Anschließend nutzt eine genau definierte Gruppe von Mitarbeitern die Weblogs, um sich im Intranet zu einem bestimmten Problem auszutauschen. Auf diese Weise veröffentlicht der Lerner seinen eigenen „Microcontent“ firmen-intern an andere Mitarbeiter beziehungsweise erhält Informationen, die nebenbei massiv zu einem sozialen Austausch beitragen. Da musste man früher ein Forum, einen virtuellen Seminarraum oder einen Chat-Raum einrichten, was zeitraubender war und Geld kostete.

Und was bringt das den Lernern?
Die Lerner nutzen Weblogs, um aktiv aus ihrer persönlichen Perspektive an der Gestaltung des Contents mitzuwirken, über ihre Erfahrungen zu berichten oder sich Tipps zu geben. Das Besondere ist, dass das WBT dadurch permanent ergänzt wird um das Wissen jedes Einzelnen, der am Onlinekurs teilnimmt. Jeder Lerner gibt ein Feedback zu den Lerninhalten, das in dieser Form noch nirgendwo aufgesammelt werden konnte. Ein WBT, das von den Lernern selbst aktiv, kommunikativ und kreativ getragen wird, ist viel Themenspecial November 2006 „Die schöne Welt des e-Learning“ spannender als frühere E-Learning-Angebote, bei denen der Lerner passiv durch vorgefertigte Inhalte geführt wurde. Das ist schon ein Quantensprung.

Gibt es dafür schon ein Etikett?
Mit Weblogs schließt sich der Kreis vom formellen zum informellen Lernen. WBTs können jetzt jederzeit und „tagaktuell“ und als integraler Bestandteil unserer vernetzten Systeme zur Wissensbeschaffung mit Informationen aus dem Internet (z.B. aus der freien Enzyklopädie Wikipedia) angereichert werden. Ich schlage vor, wir sollten es „Blended E-Learning“ nennen. Beim klassischen „Blended Learning“ wird ja nichts vermischt, sondern das selbst gesteuerte Lernen am Computer und das Lernen im Seminarraum findet ja hintereinander statt. Jetzt gibt es die Möglichkeit, ein WBT mit der Aktualität des Internets richtiggehend zu vermengen, so dass ein echter „Blend“ im wahrsten Sinn des Wortes entsteht.

Ein Beispiel?
Betrachten wir ein WBT, mit dem die deutschen Mitarbeiter eines US-Konzerns gutes Business-Englisch lernen sollen. Nehmen wir an, die Reden des CEO werden regelmäßig als Podcast auf die Homepage des Konzerns gestellt. Moderne WBTs haben eine „Öffnung“, damit Podcasts integriert werden können. Der Lerner hört somit Sprachbeispiele mit aktuellem Unternehmensbezug, die zu dem Zeitpunkt, als das WBT geschrieben wurde, noch gar nicht existierten oder schon wieder überholt waren. Das konnte ein herkömmliches Englisch-WBT bislang überhaupt nicht bieten.

Im letzten Jahr hielten viele Rapid-E-Learning für einen bahnbrechenden Trend. Was meinen Sie?
Das sehe ich nicht so. Der Autor muss bei Rapid-E-Learning- Tools teilweise die Arbeit des Mediendesigners übernehmen. Das funktioniert in den seltensten Fällen so schnell wie es immer behauptet wird. Konkret habe ich bei vielen Projekten beobachtet, dass durch den erhöhten Abstimmungsbedarf zwischen den Beteiligten sich die „Durchlaufzeit“ für die Entwicklung eines Medienbausteins verdoppelt, wenn der Autor mit Rapid E-Learning-Tools arbeitet. Viele Firmen sind inzwischen frustriert. Zum Schluss wird es wieder heißen, ELearning erfüllt nicht die Erwartungen. Wenn E-Learning, dann High-Quality- Content mit dem Fokus auf die Lernenden.

Interview: Martin Pichler
Quelle: wirtschaft & weiterbildung 2/2006