grayscale photography of corporate room
Foto von Drew Beamer
Veranstaltungstipp

Hermann Mairhofer, CSO Trenkwalder International, diskutiert auf der

Messe Zukunft Personal mit

Trendforscher Matthias Horx:

Temporary Placement as a trendsetter: The working world of tomorrow (auf Englisch)

Dienstag, 20. September,

14.30 bis 15.15 Uhr,

Koelnmesse, Halle 3.2, Forum 2

Weitere Informationen:

www.zukunft-personal.de

Herr Horx, laut dem IW-Zeitarbeitsindex des Instituts der deutschen Wirtschaft sind derzeit knapp 900.000 Arbeitnehmer in Deutschland als Zeitarbeiter beschäftigt – Tendenz steigend. Wie beurteilen Sie das Zukunftspotenzial von Zeitarbeit?

Zeitarbeit ist nur ein winziger Ausschnitt eines großen Veränderungsprozesses von Arbeit, der mit Stichworten wie Work-Life-Balance, neue Selbstständigkeit oder Entrepreneurship zusammenhängt. Diese Entwicklung ist Teil eines langfristigen Megatrends hin zu einer multi-flexiblen Arbeitswelt. Megatrends entwickeln sich in einem langfristigen Tempo von etwa einem Prozent pro Jahr. Das ist auch die Grundregel für eine Zukunftsprognose der Zeitarbeit: Sie nimmt langfristig ein Prozent pro Jahr zu.

Zeitarbeit betrifft befristete Einsätze, die nicht selten in wirtschaftlich schwierigen Phasen enden. Inwiefern schafft diese Beschäftigungsform dennoch Sicherheit?

Zeitarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass Angestellte bei Zeitarbeitsunternehmen dauerhafter beschäftigt sind als beim einzelnen Arbeitseinsatz. Das Risiko tragen letztlich die Vermittlungsagenten. Das bietet für den Einzelnen, der flexiblere Arbeit sucht oder mit einem unstetigen Arbeitsmarkt konfrontiert ist, in dem prekäre Formen von Arbeit vorkommen, eine gewisse Absicherungsfunktion.

Das Ganze macht aber nur dann Sinn, wenn wir es als Teil einer generelleren Umformung begreifen. Dabei gilt es ein Paradox zu verstehen: In einer Arbeitswelt mit immer mehr Erwerbsarbeit wird Arbeit einerseits kreativ aufgewertet, andererseits „auseinandergenommen“. Die alte Institution des lebenslangen männlichen Arbeitsplatzes, der Identität, Einkommen und Familie garantierte, verschwindet. Das Kulturmodell von Arbeit, wie es in der frühen Industrialisierung entstand, verschwindet, denn Innovationsrhythmen verändern sich, die Globalisierung schreitet voran und die Nachfrage nach flexiblen Organisationsmodellen in den Firmen steigt. Eine Folge davon ist, dass Menschen, die ihre Arbeit gerne und selbstständig machen, immer mehr verdienen, diejenigen, die ihre Arbeitskräfte „verkaufen“, aber immer weniger. Deshalb benötigen wir neue Organisationsformen der Arbeit, die den Einzelnen mit dieser Situation nicht allein lassen. Gewerkschaften alleine können das nicht lösen.

Zeitarbeit dient also aus Ihrer Sicht als Kriseninstrument?

Wir haben ja gesehen, wie beim letzten großen Konjunktureinbruch, in der Krise 2008/2009, eine geschickte Ergänzung staatlicher Absicherungsformen und -überbrückungen mit Zeitarbeitsformen die Krisendynamik abfedern konnte. Ohne diese Art von Zwischeninstitutionen mit veränderten Arbeitsstrukturen und -rhythmen provozieren wir sich selbst verstärkende ökonomische Krisen. Dann werden wir wirklich in die Arme der alten Angstvision einer „arbeitslosen Gesellschaft“ getrieben. Sie erinnern sich: vor fünfzehn Jahren wurde in jeder Talkshow über die angeblich immer mehr schrumpfende Arbeit gestritten. Aber die Entwicklung ging in eine ganz andere Richtung: Heute arbeiten mehr Menschen als jemals zuvor, die Frauen sind auf dem Vormarsch und viele atypische Berufs- und Tätigkeitsformen breiten sich aus.

Zeitarbeit hat aber auch Schattenseiten. Equal Pay ist noch nicht Realität.

Das ist auch schwierig, weil bei manchen gering qualifizierten Jobs die Nachfrage gering und das Angebot hoch ist. Zudem ist die Zeitarbeitsbrache in manchen Bereichen sehr konservativ. Sie arbeitet im Rahmen des alten Industriesystems, das langsam zerbricht. Zudem hat Zeitarbeitsbranche, wie alle anderen Branchen auch, immer nur eine nachlaufende Kommunikationsstrategie. Autohersteller reagieren auf die Medien, wenn der Erdölpreis explodiert. Energieunternehmen fangen erst dann an mit der Gesellschaft zu kommunizieren, wenn die Atomkraft abgeschafft wird. Und so etwas Ähnliches haben wir leider auch in der Zeitarbeitsbranche. Sie kann auf Dauer nicht nur von den Defiziten der alten Arbeitswelt leben, sondern sie braucht offensivere, kreativere Strategien.

Wie könnten solche Strategien aussehen?

Die Zeitarbeitsbranche könnte sehr viel selbstbewusster auftreten und aufzeigen, wie sie Arbeit formt und wie sie neue Formen von abgesicherter Flexibilität als gesellschaftliches Angebot formuliert. Sie muss sich mehr mit Bildung und Qualifikation auseinandersetzen und sollte das Thema der neuen Selbstständigkeit von sich aus viel aktiver gestalten. Wir brauchen andere Varianten von Zeitarbeit, die sich nicht nur auf den Niedriglohnbereich beziehen – etwa im Management oder im kreativen Sektor. Zeitarbeit sollte sich nicht nur mit Defiziten, sondern auch mit Zukunftschancen von Flexibilisierung beschäftigen.

Es gibt eine Menge Menschen, die sich nicht mehr lebenslang an einen Arbeitgeber binden wollen, die Flexibilität schätzen und die einen eigenständigen Lebensentwurf haben. Diese „neuen Kreativen“ organisieren sich heute weitgehend neben der Zeitarbeitsbranche im Internet. Für diese Menschen muss die Zeitarbeitsbranche neue Packages anbieten, zum Beispiel indem sie Weiterbildungs- und Qualifikationsangebote in das Konzept von Zeitarbeit integriert. Personaldienstleister müssen sich mehr fragen, wie sie Menschen mit einem flexiblen Arbeitsentwurf aus positiven Gründen für die Zeitarbeit interessieren, so dass sie nicht erst dann darauf stoßen, wenn sie keine andere Wahl mehr haben.

Zeitarbeit steht diesbezüglich in Konkurrenz zu anderen flexiblen Einsatzformen wie Interimsmanagement oder Freelancing. Welche Vorteile könnte die Zeitarbeit im Internetzeitalter bieten?

Das ist der kritische Punkt. Auf jeden Fall wird die Kommunikation über das Internet eine große Rolle spielen. Mit dem Erfolg von Online-Netzwerken wir LinkedIn oder Facebook ist der Markt für flexible Arbeit viel besser gestaltbar. Heute liegt der Vorteil der traditionellen Zeitarbeitsunternehmen darin, dass die großen Unternehmen oft noch gar nicht auf diese Internetmöglichkeiten zugreifen. Doch es wird eine große Aufgabe für die nächsten Jahre, die Wissensarbeiter, die sich im Internet selbst vermarkten, zu integrieren und neue Angebote für sie zu machen.

Da könnten gildenhafte Formen der Selbstorganisation entstehen. Ich kann mir vorstellen, dass „kreative Arbeitsbalance“ in den nächsten Jahren ein großes gesellschaftliches Thema wird, bei der sich die Menschen zusammenschließen und quasi wie in Form einer Bürgerinitiative ihre Arbeitskraft am freien Markt verkaufen. Zeitarbeitsunternehmen könnten dann wie Netzwerke funktionieren, die das „Matching“ von Angebot und Nachfrage regeln. Wie Parship bei der Partnersuche „Workship“ bei der Arbeitssuche...

In welchen Branchen beobachten Sie schon erste gute Ansätze – etwa im Hinblick darauf, dass Zeitarbeit nicht nur im Niedriglohnsektor, sondern auch bei qualifizierten Fachkräften zum Einsatz kommt?

Wenn Sie sagen „qualifizierte Fachkräfte“, dann müssen wir auch verstehen, dass sich die Nachfragen nach Qualifikationen ändern. Es geht heute immer mehr um „Soft Skills“, um Kommunikationskompetenz, Gruppen-Intelligenz, emotionale Intelligenz, um Charakter und Persönlichkeit. Formale Qualifikationen kann jeder dazu lernen, aber die inneren Einstellungen sind es im Endeffekt, die zu Produktivität führen.

Dennoch, könnten Sie ein positives Beispiel für die Entwicklung von Zeitarbeit nennen?

Wir müssen in die Bereiche reinschauen, die weder auf dem Radar der Öffentlichkeit noch auf dem der klassischen Arbeitsmärkte sind: die Arbeit im kreativen Sektor. Da bilden sich die Formen für die Erwerbstätigkeiten von morgen. Zum Beispiel in Berlin: Da haben Sie einen großen Arbeitsmarkt von Kreativen, die ganzen Agenturen, die Designer, die Grafiker, die Kommunikationsbranchen, die sich eigene Arbeitsdrehscheiben schaffen. Es gibt allein in Berlin 20.000 Meditationslehrer, die inzwischen auch für die Wirtschaft arbeiten. Der Arbeitsmarkt im Kreativsektor ist so etwas wie ein Rohmodell des zukünftigen Arbeitsmarktes.

Kreativarbeiter sind hochgradig informell vernetzt und die Vergütung ist sehr unterschiedlich. Ihnen geht es nicht darum, ein kontinuierliches Einkommen zu erzielen, sondern sie arbeiten und verdienen projektorientiert. Das entspricht Unternehmen, die von sich aus, von innen heraus, die Flexibilität von Arbeit vorantreiben. In solchen „New-Work-Unternehmen“ kann sich der Mitarbeiter seinen Zeitaufwand weitgehend selbstständig gestalten, er kann auch mal ein Sabbatical nehmen oder sich eine „Stelle“ teilen, bis hinauf in die Führung. In Skandinavien sind solche Modelle heute schon Normalität, in Deutschland beginnt derzeit in den Personalabteilungen erst die Suche nach solchen Konzepten – spätestens, seit auch männliche Führungskräfte Vaterschaftsurlaub nehmen wollen.

Gerade die kreative Arbeit ist heute aber häufig prekär. Wäre da ein Mindestlohn angebracht?

Mindestlöhne funktionieren nur bei wiederholbaren, gleichförmigen, taylorisierten Segmenten. Und diese schrumpfen tendenziell, weil sie entweder maschiniert oder global outgesourct werden. Es gibt gleichzeitig immer mehr Menschen, denen es wichtiger ist, sich in ihren Talenten zu verwirklichen anstatt ein großes Einkommen zu erzielen. Diese Menschen leben in ganz anderen Ökonomieformen. Sie sind nicht mehr Ernährer einer Familie, sondern in einem Netzwerk von Freunden und Kooperationspartnern unterwegs. Ihre Ökonomie ist „positiv prekär“, das heißt, sie suchen eher nach Herausforderungen als nach Bindungen an einen Job. Auch in scheinbar „altmodischen“ Sektoren wie dem Handwerk finden wir solche Entwicklungen.

Dieses Ideal ist aber noch nicht wirklich in der Realität angekommen. Kritiker von Zeitarbeit, wie etwa die Gewerkschaften, sehen das jedenfalls anders.

Wer mit einem gewerkschaftlichen Blick an die Zeitarbeit herangeht, sieht immer ein Defizit gegenüber dem, was angeblich eigentlich sein sollte – und der Maßstab ist immer die Vergangenheit, die Utopie einer Voll-Arbeitsplatz-Gesellschaft. Solange der Diskurs in diese Richtung läuft, bleibt die Debatte immer schief und defizitär. Wir brauchen ein visionäres und teilweise auch revolutionäres Weiterdenken von Wertschöpfungskonzepten und Innovationen in der Arbeitsorganisation. Wir brauchen Zeitarbeit 2.0.

Interview: Stefanie Hornung