Herr Humphreys, bei Ihrer täglichen Arbeit als Psychologe haben Sie es nicht nur mit Paaren, Kindern oder Familien zu tun, sondern auch mit Unternehmen. Mit welcher Art von Problemen kommen diese hauptsächlich zu Ihnen?

three people sitting in front of table laughing together
Foto von Brooke Cagle

Viele kommen wegen Mobbing oder anderen Konflikten am Arbeitsplatz. Manche melden sich aufgrund erster Anzeichen für Herzkrankheiten, Stress oder Burnout. Es sind hauptsächlich die Manager selbst, die sich an mich wenden, manchmal aber auch die Mitarbeiter, die von Mobbing betroffen sind und wissen möchten, wie sie damit umgehen können.

Wie können Sie beispielsweise den Managern helfen?

Ich muss mir zunächst ihren Reifegrad anschauen, denn das ist die Hauptursache für Schwierigkeiten in der Arbeitswelt.

Veranstaltungstipp

Messe Zukunft Personal 2010

Koelnmesse

Keynote-Vortrag

von Tony Humphreys

 

Dienstag, 12. Oktober 2010,

9.30 – 10.30 Uhr, Keynote-Forum,

im Anschluss Public Interview

www.zukunft-personal.de

Was bedeutet Reife für Sie?

Je mehr jemand über ein standhaftes Inneres verfügt, einen gesunden Abstand zu seiner Arbeit hat und sich nicht über Erfolg definiert, desto reifer ist er. Reife hat etwas damit zu tun, wie unabhängig, frei und selbstbestimmt jemand ist.

Ihr Buch über die Psychologie des Managements heißt übersetzt “Der reife Manager. Von innen nach außen managen“. Heißt das, wenn wir älter und weiser werden, sind wir bessere Manager?

Alter ist kein Anzeichen für Reife. Es gibt Zweijährige, die reifer sind als Neunzigjährige. Auch das Geschlecht hat nichts mit Reife zu tun. Wenn Sie sich all die Politiker, Banker und Top-Manager anschauen, die über Ländergrenzen hinweg tätig sind, dann sind das meistens Männer. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir mit Frauen an der Macht eine bessere Welt hätten und die Gefahr einer weiteren Krise nicht mehr bestehen würde. Und auch die Bildung hat nichts mit Reife zu tun. Es gibt hochgebildete Leute, die sehr konkurrenzbetont und perfektionistisch sind. Die zentrale Frage beim Thema Reife ist: Wie gut kennen Sie sich selbst?

Sind Manager Ihrer Ansicht nach also unreif?

Ich habe 75 Charakteristiken definiert, die einen reifen Manager ausmachen. Wenige von ihnen haben fünf davon. Als reifer Manager müssen Sie zum Beispiel, konsequent und nachvollziehbar agieren, den Mitarbeitern Herausforderungen bieten, fair sein und bedingungslos alle gleich behandeln. Die meisten knüpfen ihr Handeln aber an bestimmte Bedingungen, so dass die Beschäftigten Angst haben, diese nicht zu erfüllen. Das schafft ein sehr ungesundes Klima am Arbeitsplatz. Der Punkt ist doch: Manager müssen sich nicht mit ihrem Leben auseinandersetzen, bevor sie auf ihre Position kommen – das ist auch bei Eltern, Lehrern und Politikern nicht anders. Das Ergebnis haben wir mit der Rezession präsentiert bekommen: Armseliges Management hat uns zu diesem Zusammenbruch gebracht. Management sollte ein eigenständiger Beruf sein.

Könnten Sie dafür ein Beispiel nennen?

Als ich zum Beispiel als klinischer Psychologe Abteilungsleiter bei einem irischen Dienstleister für Gesundheitslösungen wurde, bedeutete das nicht, dass ich etwas von Management verstand. Das gleiche passiert oft in Universitäten: Die Leute, die PhDs haben und über einen großes Wissen auf ihrem Fachgebiet verfügen, werden an die Spitze von Abteilungen gesetzt, in der Annahme, sie würden etwas von Führung verstehen. Oft ist das aber nicht der Fall. Management ist eine Kunst für sich und leider ist die Ausbildung und Vorbereitung für Manager noch immer etwas mittelalterlich. Im Moment gibt es keine adäquate Vorbereitung.

Was müsste sich genau verbessern?

Management-Training sollte sich damit befassen, welchen persönlichen Reifegrad jemand erreicht hat. Wer die Rolle als Manager übernimmt und ängstlich, perfektionistisch, aggressiv oder passiv ist, wird zwangsläufig scheitern. Als ich kürzlich mit Bankern in Amsterdam geredet habe, fragte ich sie, was das am häufigsten auftretende Phänomen in ihren Sitzungen sei. Sie antworteten: Stille. Diese Stille hat etwas mit der Passivität der Manager zu tun und mit einer angsterfüllten Atmosphäre. Die Manager selbst müssen deshalb zunächst herausfinden, wovor sie Angst haben. Sie müssen sich solche unbewussten Prozesse bewusst machen, damit sich die Dinge verändern können. Management-Training sollte sich wieder auf Sokrates berufen, der die Devise ausgerufen hatte: „Lerne Dich selbst kennen!“.

Was sagen Sie Ihren Kunden: Wie können sie sich selbst kennenlernen?

Ich sage Ihnen gar nichts, denn damit würde ich ihnen ja nur etwas vorschreiben, was ihnen nicht unbedingt entspricht. Ich muss sie soweit bringen, dass sie selbst ihr Leben entdecken möchten. Sie müssen zum Beispiel zunächst herausfinden, welche Art von Mitarbeiter sie sind. In der Forschungsliteratur werden drei verschiedene Arten beschrieben: Die erste Gruppe sind die hochmotivierten, engagierte Mitarbeiter, die Unternehmen um jeden Preis halten möchten. Die zweite Gruppe von Mitarbeitern sind die unengagierten. Sie tun so wenig wie nötig für so viel Geld wie möglich. Die dritte Gruppe nennt die Literatur „Höhlenbewohner“. Sie sind immer gegen alles und verursachen ständig Schwierigkeiten. Leider ist in solchen Untersuchen noch nirgends die Rede vom reifen Mitarbeiter. Das wäre derjenige, der sich engagiert, aber nicht so sehr, dass es in Erfolgssucht ausartet. Der engagierte Mitarbeiter liebt seine Arbeit, doch sie bestimmt ihn nicht.

Manager gehören meisten zur ersten Gruppe der hochmotivierten, engagierten Mitarbeiter. Um diese Haltung zu verändern, müssen sie die Quellen ihrer Abhängigkeit in der eigenen Kindheit entdecken.

Probleme am Arbeitsplatz hängen aber doch auch immer mit anderen Mitarbeitern oder Führungskräften zusammen, oder?

Sie denken immer noch zu sehr in Abhängigkeiten. Gefragt ist aber ein individueller Ansatz: Nicht darauf zu warten, dass andere sich verändern. Das würde dazu führen, dass jeder auf eine Veränderung wartet. Manager müssen bei sich selbst anfangen, bevor sie mit anderen Beschäftigten arbeiten können.

Wenn alles von einem selbst abhängt, brauchen Manager dann für jeden Mitarbeiter den gleichen Management-Stil?

Nein, auf keinen Fall, denn jeder Mitarbeiter ist anders und einzigartig. Das größte Bedürfnis jedes Beschäftigten ist es, als Individuum gesehen zu werden, mit seiner einzigartigen Geschichte. Wenn wir diese Geschichten nicht untersuchen und sie als spannende Abenteuer begreifen, werden wir uns nie richtig kennenlernen. Leider ist Individualität am Arbeitplatz nicht wirklich gefragt. Die Beschäftigten sollen sich vielmehr anpassen. In Banken zum Beispiel lassen sie besser ihre eigenen Gedanken, Überzeugungen und Werte außen vor. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter so behandeln, zahlen dafür jedoch einen hohen Preis – etwa in Form von Mobbing oder Absentismus.

Was sind die Hauptfehler, die Unternehmen auf psychologischer Ebene machen?

Sie denken zu wenig über ihre Handlungen nach. Kürzlich hatte ich mit einem Unternehmen zu tun, das eine sehr hohe Absentismusrate zu verzeichnen hatte. Deshalb sollte jeder Mitarbeiter, der davon betroffen war, mit drei verschiedenen Managern sprechen, die mit ihm seine Anwesenheitstage durchgingen und ihn zu mehr Disziplin anhalten sollten. Ich wollte wissen, ob sie die Mitarbeiter auch nach dem Grund ihres Wegbleibens gefragt hatten. Hatten sie nicht. Als ich das in einigen Telefongesprächen nachholte, stellte sich heraus, dass es ein großes Mobbingproblem in der Firma gab. Die Unternehmen schaffen es oft nicht, ein sicheres Umfeld aufzubauen, in dem die Mitarbeiter solche Dinge ansprechen. Gefragt sind emotionale, intellektuelle, soziale und kreative Sicherheiten am Arbeitsplatz.

Mit dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel starten immer mehr Unternehmen Work-Life-Balance-Programme. Haben die Manager auch psychologischen Einfluss darauf?

Ich mag das Wort „Work-Life-Balance“ nicht, weil es suggeriert, dass die Arbeit erst aufhören müsste, damit wir leben können. Ich möchte meine Arbeit als einen wichtigen Teil in mein Leben integrieren. Deshalb spreche ich lieber von Integration als von Balance. Aber zu Ihrer Frage: Manager können vor allem eine Vorbildfunktion einnehmen, wie etwa Eltern für ihre Kinder. Deshalb müssen Manager die Integration von Arbeit im Leben zuerst vorleben. Außerdem müssen Unternehmen hochmotivierte, engagierte Mitarbeiter auf ein weniger engagiertes Level bringen. Das ist noch sehr ungewöhnlich, aber zumindest merken inzwischen manche Firmen, dass ein zu hohes Maß an Engagement einfach nicht mehr produktiv ist, weil damit die Gefahr des Burnouts erheblich zunimmt.

Wie können HR-Manager Mitarbeiter dabei unterstützen, ihren Reifegrad zu erhöhen?

Bis in die 1980er Jahre hinein lief das Personalmanagement in Unternehmen unter dem Begriff “Personalabteilung“. Doch seither wird die Bezeichnung Human Resource Management immer gebräuchlicher. Immer, wenn ich mit HR-Managern zu tun habe, lege ich ihnen nahe, HR stärker als Human Relationship zu betrachten. Ich fühle mich zumindest beleidigt, wenn mich jemand als Ressource bezeichnet. Als individueller Mensch ruft diese Beleidigung Rebellion in mir wach. HR sollte sich stärker auf das Verhältnis zwischen Managern und Mitarbeitern sowie Mitarbeitern untereinander und auf ihre eigenen Beziehungen zu den Beschäftigten konzentrieren. Leider verlassen Personaler sich oft auf HR-Management-Bücher, die verwirrende Theorien über Methoden, Modelle, Prozesse und Projekte aufstellen. Sie verlieren den Blick dafür, dass es hier um Menschen und nicht um Systeme geht.

Wenn HR-Manager und Manager im Allgemeinen lieber in Systemen und harten Fakten denken, wie ist dann ihre Einstellung der Psychologie gegenüber?

Viele Manager denken sehr kopflastig. Sie übergehen emotionale Aspekte am Arbeitsplatz – egal ob sie sie selbst oder andere betreffen. Wenn sie mir aber sagen, all dieser emotionale, psychologische Kram sei ihnen zu soft, antworte ich mit der Frage: „Wie kommt es dann, dass Ihnen gerade dieser Aspekt so schwer fällt?“ Viele haben Angst vor sich selbst und übertragen das auf die Psychologie. Wer sich jedoch nur mit Fakten auseinandersetzt und davon ausgeht, dass allein das, was offensichtlich ist, die Realität ausmacht, vergibt ein großes menschliches Potenzial.

Hat sich mit der Wirtschaftskrise etwas an dieser Einstellung geändert?

Ich kann da noch nicht viele Veränderungen erkennen, gerade auch was die Bereitschaft, Verantwortung dafür zu übernehmen, betrifft. Es herrscht doch eher eine rechtfertigende Haltung vor, um sich gegen die Wut der Betroffenen zu schützen. Nur wenn wir Licht in die dunklen Nischen der Regierungen, der Banken und der multinationalen Konzerne bringen, haben wir eine Chance etwas zu ändern. Die Bonuskultur sollten wir zum Beispiel abschaffen. Wer nur für einen Bonus arbeitet, kann keine intrinsische Liebe zur Arbeit entwickeln. Außerdem brauchen wir wieder mehr echte Führungspersönlichkeiten, die die Dinge nicht einfach unter den Tisch kehren. Wir brauchen Authentizität, wenn wir Fortschritt wollen.

Interview: Stefanie Hornung