Alles scheint auf besten Wegen: Das Pflichtenheft wurde seriös erarbeitet, das Stellenprofil akribisch redigiert, der Inseratetext tönt locker und einladend: Es flattern Bewerbungen ins Haus, eine Vorauswahl wird getroffen und die vielversprechendsten Bewerber werden zum Gespräch eingeladen.
Das Anstellungsgespräch ist oft der letzte Akt bei der Neubesetzung einer Stelle - ein Akt, dem man im Alltagsgeschäft gerne zu wenig Beachtung schenkt. Diese Erfahrungen machen Beat Hiltbrand und Isabelle Hinni von der Beratungsfirma hi-cons. Sie beobachten in ihrer täglichen Arbeit, dass bei Bewerbungsgesprächen sogar erfahrenen Führungspersonen und HR-Spezialisten immer wieder Fehler passieren, die den Erfolg des aufwändigen Auswahlprozess kurz vor dem Ziel noch verhindern.

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Die Rollen im Anstellungsgespräch scheinen klar verteilt: Der Interviewer fragt, der Kandidat antwortet. Gefordert ist also der Kandidat, der Interviewer kann sich zurücklehnen.
Genau da liegt der Fehlschluss: Was nützen gute Fragen, wenn man nicht zuhören kann? Als Interviewer wird man oft auf Nebengleise entführt, die vom Wesentlichen ablenken. Es ist die Kunst des Interviewers, aus den Äusserungen des Kandidaten die richtigen Fäden aufzunehmen – nämlich jene, die Rückschlüsse auf die Schlüsselkompetenzen erlauben, welche für die Stelle notwendig sind.
In der Praxis sind vor allem drei Fehler häufig zu beobachten:
- Interviewende neigen dazu, sich den ersten Eindruck bestätigen zu lassen. Sie sammeln Argumente, die das Bauchgefühl bestätigen und berufen sich beim Entscheid dann auf ihre gute Menschenkenntnis. Sie haken Fragen ab, statt einen Dialog zu führen. Schnell  sind sie mit der Antwort des Kandidaten zufriedenden, glauben ihn verstanden zu haben und verzichten darauf, klärend nachzufragen. Sie lassen sich blenden von oberflächlichen Aussagen oder sie sind überkritisch und verkennen so die Qualitäten des Bewerbers.

- Interviewende, die viel reden und alles wiederholen, was bereits auf der Website steht, sind ebenso schlecht beraten wie solche, die zu wenig reden und wichtige Hintergrundinformationen zurückhalten.

- Interviewende sind im Alltagstress und bereiten sich auf das Gespräch ungenügend vor - ein banaler, aber leider häufiger Fehler.

Anstellungsgespräche führen ist nur bedingt lernbar. Der Interviewende ist die Schlüsselfigur im Interview. Von seinen Kompetenzen hängt es ab, ob die Qualitäten des Kandidaten sichtbar und auch erkannt werden. Dazu ist ein überdurchschnittliches Mass an kognitiver und emotionaler Intelligenz Voraussetzung.
Es bedingt die Bereitschaft, sich auf das Gegenüber einzulassen, sich für seine Situation, seine Motivation und seine Bedürfnisse zu interessieren. Ein Anstellungsgespräch ist keine Selbstdarstellung, sondern die einmalige Gelegenheit, die wichtigen Informationen von einem Kandidaten zu erhalten und die entsprechenden Kompetenzen herauszufiltern.
Der gute Interviever beobachtet sein eigenes Verhalten kritisch. Er prüft, wie weit er durch Phänomene wie «selbsterfüllende Prophezeihung» und «erster Eindruck» beeinflusst wird. Er ist fähig, mit Fragen Tiefe im Gespräch herzustellen und Antworten auf ihren wirklichen Gehalt zu prüfen.
Dies bedingt ein hohes Verständnis von Schlüsselkompetenzen und den dazugehörenden beobachtbaren Verhaltensmerkmalen. (hier wäre ein konkretes Beispiel gut: Etwa die Fähigkeit des Interviewten, gut zuzuhören und auf Fragen einzugehen, wenn er zum Beispiel im Verkauf tätig sein soll.)
Ein hohes Mass an Kommunikationsfähigkeit, Empathie und eine ausgesprochen rasche Auffassungsgabe sind zwingend: Der Interviewer muss fähig sein, verschiedene Informationen gleichzeitig aufzunehmen und zu interpretieren – Sprache, Gestik, Mimik, Authentizität.
Gleichzeitig muss er sich selber beobachten und reflektieren: Stimmt mein eigenes Bild vom Kandidaten mit der Realität überein? Kann ich mein Bauchgefühl aufschlüsseln und beschreiben? Das A und O ist eine klare Vorstellung darüber, welche spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen für die ausgeschriebene Stelle nötig sind, um den besonderen Herausforderungen im Alltag jetzt und in Zukunft gewachsen zu sein: Welches sind die Schlüsselmomente für erfolgreiches Arbeiten? In welchen Momenten zeigt sich der Unterschied zwischen einem guten und einem weniger guten Mitarbeitenden am deutlichsten? Welche Schlüsselkompetenzen sind dafür erforderlich und mit welchen Interviewfragen bekommen wir die nötigen Informationen dazu?
Um diese entscheidenden Fragen schlüssig beantworten zu können, hat die Firma hi-cons das Tool Profilplus entwickelt. Profilplus unterstützt beim Herausarbeiten der wichtigsten Arbeitssituationen, beim Zuweisen der entsprechenden Kompetenzen und beim Generieren des kompletten Interviewleitfadens. Profilplus ermöglicht die genaue Beobachtung und die differenzierte Beurteilung der Kandidaten. Es ist eine grosse Herausforderung, während einer Stunde mit einem Kandidaten alleine den Interviewprozess mit der nötigen Präsenz zu steuern und gleichzeitig die Informationen des Kandidaten zu reflektieren und auszuwerten. Wertvoll ist das Führen dieser Gespräche zu zweit mit klar definierten Rollen. Das Zusammenspiel der Interviewenden gibt Sicherheit und ermöglicht den Austausch über Beobachtungen und Einschätzungen. Das oft genannte Bauchgefühl muss in diesem Dialog hinterfragt und nachvollziehbar begründet werden.
Kommt dazu: Der beste Kandidat hat oftmals Optionen. Seine Entscheidung wird auch durch die Qualität von Anstellungsprozess und Interview beeinflusst. Führungs- und Kommunikationskultur, Sorgfalt und Werte des Unternehmens sind für ihn spürbar und erhöhen für den Kandidaten die Attraktivität des Betriebs.
Ob man den Besten der Guten findet ist somit eine wechselseitige Entscheidung. Interviewende beeinflussen diese massgebend.
Die Rollen sind nur scheinbar klar verteilt. Dabei ist vor allem eines klar: Ein Anstellungsgespräch hat es auch für die Interviewenden mehr in sich, als die meisten von ihnen glauben.

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