Durch die zunehmende Virtualisierung von weiten Teilen unseres Berufs- und Soziallebens hinterlassen wir immer zahlreichere Spuren im Netz. In der Summe entsteht ein digitaler Fußabdruck, der nahezu täglich wächst und unseren Lebenslauf immer öffentlicher macht. Lebenslauf meint dabei nicht den formalen „CV“, der bisher Dreh- und Angelpunkt unserer beruflichen Identität war (und den immer mehr Menschen online publizieren), sondern einen dezentralen ganzheitlichen Lebenslauf, der neben den wichtigsten beruflichen und privaten Charakteristika eine unermessliche Fülle von Detailinformationen aus allen Lebensbereichen und Lebensabschnitten abbildet. Besonders anschaulich verdeutlicht diese Entwicklung ein Blick auf das von Facebook in diesen Tagen eingeführte, zeitstrahlartige Nutzerprofil, das nicht zufällig den Namen „Timeline“ trägt.

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Foto von Thought Catalog

Bedingt durch die Vielzahl unserer Interaktionen im Social Web, bildet der digitale Fußabdruck jedoch nicht nur eine facettenreiches Abbild unseres privaten und beruflichen Werdegangs, sondern auch unseres persönlichen Einflussnetzwerks, unseres „Social Graph“ [1] und gestattet somit weitreichende Rückschlüsse über die Person jedes einzelnen in privater wie beruflicher Hinsicht.

Mit Direktsuche im Social Web gegen den War for Talents

Ausgelöst durch diese Veränderungen, entwickelt sich seit 2007 ausgehend von den USA ein weltweiter Trend zur Direktsuche im Internet, der kurz darauf auch Deutschland erreicht hat. Zwei Punkte spielen bei der Ausbreitung der Online-Direktsuche eine zentrale Rolle:

1. Die stetig wachsende Menge an Online-Profilen und ihre steigende Informationsdichte

Während im Jahr 2008 rund drei Millionen Deutsche in den sozialen Netzwerken Facebook, Xing und LinkedIn aktiv waren, hat sich deren Zahl in nur drei Jahren verzehnfacht und lag im Herbst 2011 bei 30 Millionen. Dieser Wachstumstrend ist bisher ungebrochen und wird sich bei gleichzeitiger Steigerung der Informationsdichte der Personenprofile mit hoher Wahrscheinlichkeit noch Jahre fortsetzen. Mit Blick auf das Online-Verhalten der häufig als „Digital Natives“ bezeichneten „Millenials“ wird mittelfristig nahezu jedes Mitglied der arbeitenden Bevölkerung ein (oder mehrere) Online-Profil(e) unterhalten.

2. Gezielte Such- und Filterungsmechanismen von Suchmaschinen

In der Konsequenz entwickelt sich das Internet zu einer Kandidaten-Datenbank immensen Ausmaßes. Eine große Chance für die Direktsuche bietet es dabei insbesondere im Hinblick auf die Identifizierung von Kandidaten mit seltenen oder speziellen beruflichen Profilen, dem Kerngeschäft der Personalberatungsbranche.

Auf dem Weg der herkömmlichen Direktsuche (Offline-und Telefon-Research) sind solche Nischenprofile nur schwer und mit einem hohen Zeitaufwand zu identifizieren. Die systematische Direktsuche im (Social) Web mithilfe von Suchmaschinen bietet hier eine Möglichkeit, diesen Zeitaufwand zu minimieren. Gleichzeitig führt diese Vorgehensweise aufgrund der Vielzahl der in Suchmaschinen indexierten Profildaten zu einer Steigerung der Zahl potentieller Kandidaten für die gesuchte Position. Folglich heißt es im Praxishandbuch „Online Personalsuche“, dem bisher einzigen deutschsprachigen Fachbuch für Direktsuche im Web:

„Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Microblogging aber auch USENET (Netzwerk für Benutzer von Unix, Anm. d. Verf.) und IRC (textbasiertes Chat-System, Anm. d. Verf.) sind die Waffen, um den War for Talents zu gewinnen.“ [2]

Veränderungsdruck in der Personalberater-Branche wächst

Für Personalberatungen bringt diese Entwicklung eine Reihe neuer Herausforderungen mit sich:

Die Ablösung der klassischen Kandidaten-Datenbank durch Soziale Netzwerke

Durch die stetig ansteigende Fülle personen- und berufsbezogener Informationen in Foren, Blogs und sozialen Netzwerken verlieren die über Jahrzehnte aufgebauten Datenbanken der Personalberatungen rapide an Wert. Dies gilt umso mehr, als die darin enthaltenen Informationen häufig stark veraltet sind, während die Nutzer sozialer Netzwerke ihre Profile bei aktivem Gebrauch regelmäßig aktualisieren. In der Konsequenz verlieren Personalberater ihren Informationsvorsprung im Kandidatenmarkt und damit einhergehend ihr gewichtigstes Vertriebsargument.

Ein verändertes Anforderungsprofil für Researcher

Um die im (Social) Web verfügbaren Kandidatenprofile gezielt und zeitsparend identifizieren zu können, benötigen Researcher eine Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten, die bisher nicht zu ihrem Anforderungsprofil gehörten. Die wichtigsten sind eine starke Online-Affinität, ein tiefgehendes Verständnis des (Social) Webs und seiner Strukturen sowie ausgeprägtes Anwenderwissen in der Informationssuche im (Social) Web. Die Schwierigkeit bei der Ausbildung neuer Researcher liegt hier insbesondere darin, dass es kaum Lehrmaterial und Ausbildungsangebote gibt und einmal gewonnene Fähigkeiten aufgrund des kontinuierlichen Wandels von Social Web Diensten ständig autodidaktisch erneuert werden müssen. Die für diesen Prozess erforderliche Motivation und Disziplin ist hoch und verdient im Erfolgsfall ebensolchen Respekt:

„Data is the sword of the 21st century, those who wield it well, the Samurai.”
Jonathan Rosenberg (Google) [3]

Unternehmen führen die Direktansprache in Eigenregie durch

Unter den amerikanischen Pionieren der Online-Direktsuche finden sich neben Personalberatern und -vermittlern vor allem zahlreiche Inhouse-Recruiter und -Sourcer, die aufgrund des intensiven Fachkräfte-Wettbewerbs in der amerikanischen Technologiewirtschaft (insb. Im Silicon Valley) ein deutlich proaktiveres Rollenverständnis und eine ausgeprägtere Technologieaffinität haben, als dies hierzulande häufig der Fall ist. Angetrieben vom steigenden Fachkräftemangel lässt sich dieser Trend auch in Deutschland beobachten. Insbesondere Unternehmen mit einem hohen Personalbedarf an hochqualifizierten Fach- und Führungskräften sehen in internen Sourcing-Abteilungen häufig eine Möglichkeit, Recruitingkosten zu reduzieren und ihre Abhängigkeit von externen Beratern zu verringern. Sollte sich diese Entwicklung weiter ausbreiten, besteht für viele Personalberater im mittleren Segment die Gefahr, ihr „Brot- und Butter-Geschäft“ zu verlieren. Vielleicht kehrt die Branche damit aber auch nur zu ihren Wurzeln zurück, der Suche nach Führungskräften:

“It’s not the strongest or most intelligent that survive, it’s those that are willing and able to adapt and change.”
L. Kevin Kelly (CEO Heidrick & Struggles International) [4]

Quellen und Erläuterungen:

[1] Social Graph in der Wikipedia
[2] Alexander Fedossov, Jan Kirchner: Online-Personalsuche – Praxishandbuch für aktive Personalbeschaffung im Internet, BOD, 1. Auflage 2009, ISBN (10): 3839192234
[3] Jonathan Rosenberg in: From the height of this place
[4] L. Kevin Kelly – in: Die Zukunft der Personalberatung liegt im Netz – ein Essay

Jan Kirchner ist Partner bei atenta, einem Hamburger Unternehmen für Recruiting-Software und Personalmarketing-Lösungen für den Einsatz im Social Web. Gemeinsam mit Alexander Fedossov betreibt er das Blog “Wollmilchsau” und ist Co-Autor des Buches “Online-Personalsuche – Praxishandbuch für aktive Personalbeschaffung im Internet”. Email: kirchner@atenta.de