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Foto von Austin Distel

Rasante technologische, ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen zwingen die Unternehmen zum raschen Handeln. In allen Branchen wird es nun Pioniere geben, die die Digitalisierung für völlig neue, noch nie dagewesene Anwendungen nutzen. Wir wissen nicht, ob sie kommen oder wann sie kommen, doch wenn sie kommen, dann kommen sie schnell.

Bei solchen Gegebenheiten ist nichts mehr auf Jahre hinaus planbar. Fortan werden wir uns aufmachen müssen, ohne den genauen Weg zu kennen. „Dem Gehenden legt sich der Weg unter die Füße“, heißt es so schön. Entscheidend ist dabei nicht die Digitalisierung per se, vielmehr geht es um die bahnbrechend neuen Geschäftsideen, die durch sie machbar werden. Und dazu braucht es eine passende organisationale Struktur.

Doch während sich draußen alles verändert, vertrödeln drinnen in den Unternehmen die Manager mit „gängigen“ Vorgehensweisen aus dem letzten Jahrhundert wertvolle Zeit: Topdown-Formationen, Silodenke, Abteilungsegoismen, Insellösungen, Hierarchiegehabe, Vorschriftenberge, Budgetierungsmarathons, Anweisungskultur, Kontrollitis und Kennzahlenkult sind nur einige Stichworte dazu.

„Next Organisation“ bedeutet: Aufbruch in die Erneuerung

Ein Company Redesign ist unumgänglich, um mit der Hochgeschwindigkeitszukunft Schritt halten zu können. Was es dazu braucht? Den konsequenten Übergang von einer aus der Zeit gefallenen pyramidalen zu einer zirkulären Unternehmensorganisation. Das Ziel? Ein Unternehmen, das nicht länger hierarchisch, also kraft formell verliehener Macht, von oben nach unten und von innen nach außen agiert, sondern eines, das sich dezentralisiert und tatsächlich auf das Kundenwohl fokussiert.

Gibt es Patentrezepte dafür? Nein, gibt es nicht. Business-Situationen sind verschieden, also müssen es auch die Methoden sein. Jede Firma muss ihren eigenen Weg finden, experimentieren und ausprobieren. Wenn es Blaupausen gäbe, dann würde jeder einfach der Blaupause folgen - und alle hätten ein identisches Resultat. Standardrezepte sind sogar höchst gefährlich. Denn keine zwei Unternehmen sind gleich. Branchen und Märkte sind genauso individuell wie Geschäftsmodelle und Kundenstrukturen.

Die gebrauchsanweisungssüchtigen Manager von früher sind obsolet. Damit Akzeptanz gepaart mit hohem Einsatz entstehen, müssen Unternehmen in einem geschützten Raum von Versuch und Irrtum eine eigene Form entwickeln. Natürlich macht es Sinn, sich von externen Profis inspirieren zu lassen. Außerdem können Pioniere wertvolle Denkanstöße liefern. Doch gedankenlos nacheifern darf man ihnen nicht. Was bei dem einen großartig funktioniert, kann anderswo grandios scheitern.

Eins braucht es allerdings in jedem Fall: Das ist der Grundsatzentscheid, der von der Geschäftsleitung ausgehen muss, den Umbau als solchen loszutreten. Denn ohne einen ausdrücklich bekundeten Willen der Führungsspitze wird jede organisationale Metamorphose zum Rohrkrepierer. Zudem hat sie die strikte Obliegenheit, das Umbauprojekt zu schützen, zu unterstützen und wohlwollend zu begleiten.

Eine Organisationsinnovation ist dringend vonnöten

Zukunftsfähige organisationale Strukturen sind unumgänglich. Doch kann ein dazu notwendiges Redesign in einem Ruck passieren? In Einzelfällen ist das sicher möglich. Doch normalerweise, das sagen alle, die Transformationsprozesse hinter sich haben, sollte das Pendel nicht zu überhastet oder zu hart in Richtung Hierarchiefreiheit und Selbstorganisation schwingen. Wer alle Wände gleichzeitig einreißt, dem fällt das Dach auf den Kopf. Eine entscheidende Frage ist somit diese:

Was ist die minimal notwendige Machthierarchie, die minimal notwendige Ordnungsstruktur und die maximal mögliche Form der Selbstorganisation?

Dazu werden zentrale Instanzen zwar aufgebrochen, Führung ist aber noch vorhanden, vor allem da, wo es um strategische Entscheidungen geht. Wer versucht, Hierarchien mit Gewalt einzuebnen, sorgt für ein Vakuum, in dem sogleich wieder Machthierarchien entstehen. Unternehmen brauchen, so wie jede Gemeinschaft, ein Ordnungssystem – und zwar eins, das sie fit für die Zukunft macht. Hierfür schlage ich das Orbit-Modell vor.

Der wahre Bremsklotz: die pyramidale Unternehmensstruktur

Klar haben die meisten Unternehmen mit New-Work-Initiativen begonnen. Doch dies passiert fast immer nur punktuell. Zudem beschränkt sich das Vorgehen in aller Regel auf die Mitarbeiterseite, die Arbeitsplatzgestaltung und die Einführung neuer Tools. An den organisationalen Strukturen hingegen ändert sich nichts. Selbst da, wo sich Pilotteams neuartig ausrichten und selbstorganisiert arbeiten dürfen, verpufft deren Transformationsenergie, sobald sie auf ein verkrustetes Grundgerüst treffen.

In vielen Unternehmen ist der fehlende Handlungswille förmlich spürbar. Vorne besänftigt da Management, vertröstet und lullt ein. Hinten herum mauert es, weil es persönlich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat, zumindest gefühlt. Klar fällt der Abschied von Routinen, die früher mal funktionierten, nicht immer leicht. Er ist aber unumgänglich. Denn gegen die quirligen Netzwerkorganisationen der Jungunternehmen haben Topdown-Formationen nicht den Hauch einer Chance.

Abwarten ist also keine Option. Und Hoffen kein Plan. Denn „später“ heißt heute nicht selten „zu spät“. In der Digitalökonomie wird Zögerlichkeit knallhart bestraft. Warum es dann trotzdem dauert und dauert und dauert? Weil Manager und Führungskräfte den wahren Grund für das Zaudern beim Aufbruch ins Neuland nicht anpacken wollen. Es ist das ganz große Ding, die heilige Kuh: das organisationale System, der Bremsklotz Unternehmensstruktur.

Die gleichen Manager, die sich regelmäßig das neueste Smartphone leisten, bleiben, manifestiert durch ein übliches Organigramm, einem Organisationsmodell verhaftet, das aus dem tiefsten letzten Jahrhundert stammt. So machen sich klassische Unternehmen zu Gefangenen ihrer eigenen Managementtools. Das Verteidigen überholter Strukturen scheint mir das Haupthindernis auf dem Weg in die Zukunft zu sein.


Das bessere Organisationsmodell wird den Wettlauf gewinnen

Ohne einen organisationalen Umbau ist digitale Transformation gar nicht möglich. Denn neue Businesszeiten lassen sich nicht auf traditionelle Weise managen. In einer Umgebung von gestern kommen keine Gedanken für morgen auf. Hohe Dynamik entsteht nicht durch starre Prozesse – und zentrale Steuerung funktioniert nicht in komplexen Systemen. Solange sich an den Grundstrukturen nichts ändert, ist alles nur Flickschusterei.

Es reicht einfach hinten und vorne nicht mehr, immer nur weiter an Wandel-Wehwehchen herumzudoktern und ein paar kleine Spielwiesen freizugeben, um etwas agiler zu werden. Die neuen Methoden sind alle da. Doch bei einem alten „Betriebssystem“ bringt das wenig. Damit kurieren Unternehmen höchstens Symptome. Besser, sie gehen an die Wurzel des Übels und kümmern sich um die Gesamtkonstitution.

Im Kern ist das Wettrennen zwischen herkömmlichen Firmen und den neuen Top-Playern der Wirtschaft keines um die bessere Idee, sondern eins um das bessere Organisationsmodell. Für die „Next Economy“, in der sich menschliche und künstliche Intelligenzen miteinander verbinden, benötigen wir dringend eine „Next Organisation“. Sie sorgt für Tempo und macht kreative, antizipative, neuartige Vorgehensweisen überhaupt erst machbar.

Rüstzeug für neue Zeiten: Die neun Aktionsfelder des Orbit-Modells

Das Orbit-Modell ist eine Organisationsinnovation. In neun Aktionsfeldern propagiert es den Übergang von einer aus der Zeit gefallenen pyramidalen zu einer zirkulären Organisation. Das neue daran zeigt sich wie folgt:

Der Purpose: Im Zentrum der Organisation steht ein kraftvoller Purpose - der Daseinssinn eines Unternehmens. Er ist ökonomisch, ökologisch und sozial von Belang und anziehend für die Kunden und Mitarbeiter. Wie der Kern einer Frucht sichert dieser Purpose das Überleben am Markt.

Die Stellung der Kunden: Kundenzentrierung wird in diesem Modell sofort sichtbar. Die Kunden scharen sich um den Purpose, weil er für sie zugleich anziehend und unterstützenswert ist. Alle Mitarbeitenden kreisen um die Kunden – auf Augenhöhe und in dynamischer Interaktion.

Die Stellung der Mitarbeiter: Sie stehen nicht länger unten in einer Topdown-Hierarchie, sondern agieren gleichrangig im Kreis mit den Führungskräften und Partnern des Unternehmens auf das Kundenwohl hin. Operative Entscheidungen treffen die Mitarbeiter dezentral, crossfunktional und zumeist selbstorganisiert.

Die Stellung der Führungskräfte: Die Führungskräfte sind nicht von den Kunden separiert. So wird Kundenähe in Orbit-Organisationen nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch tatsächlich gelebt. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und Partnern des Unternehmens funktioniert gleichberechtigt und Hand in Hand.

Die Bedeutung der Partner: Längst bringen die Schwächen, die sich bei herkömmlichen Organisationen in Bezug auf den transformativen Wandel zeigen, immer mehr Unternehmen dazu, an Innovationszentren anzudocken, eigene Innovation Labs aufzubauen, digitale Einheiten auszugründen und/oder mit passenden Startups zu kooperieren. Solche strategischen Alliierten sind die neuen Innovationshelfer und Wachstumstreiber.

Die Brückenbauer: Wenn sich in der Außenwelt alles vernetzt, muss das auch drinnen im Unternehmen passieren. Hierzu werden Brückenbauer gebraucht, die interdisziplinäre Verbindungen schaffen und das „Sowohl-als-auch“ moderieren. Sie schließen die Kluft zwischen drinnen und draußen, zwischen oben und unten, zwischen Mensch und Denkmaschine. Zudem werden externe Fürsprecher und Influencer benötigt, die dafür sorgen, dass neue Kunden kommen und kaufen.

Die Stellung der Geschäftsleitung: Die Geschäftsleitung versinnbildlicht nicht länger die Spitze, sondern das Fundament einer Firma und sorgt für die notwendige Stabilität. Sie ist verantwortlich für die Transformationsstrategie und setzt sich vehement für sie ein. Zudem agiert sie als Bindeglied mit der Öffentlichkeit. Und sie ist Brückenbauer in Richtung Zukunft.

Die eingebaute Dynamik: Kreise sind ein typisches Merkmal sich dezentralisierender Organisationen. Doch auch Kreise brauchen Dynamik, indem sie sich miteinander verbinden. So entsteht ein System, in dem Aspekte der Erneuerung von jedem an jeder Stelle und jederzeit initiiert werden können.

Und das Ergebnis? Eine Organisation, die für die digitale Zukunft hervorragend aufgestellt ist: zugleich hochrentierlich - und zutiefst human.


Literaturtipp:

Die Orbit-Organisation: In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft. Von Anne M. Schüller und Alex T. Steffen, Gabal Verlag 2019.