2. Die steuerrechtliche Beurteilung

three men sitting on chair beside tables
Foto von Austin Distel

Entscheidend ist die Antwort auf die Frage, ob sich der Techniker im fraglichen Kalenderjahr mehr oder weniger als 183 Tage in Deutschland aufhält. (Tabelle 1)

Da der Aufenthalt in Deutschland die 183 Tage im Kalenderjahr übersteigt, steht Deutschland als Tätigkeitsstaat das anteilige Besteuerungsrecht für die Tätigkeitstage in Deutschland zu. Aufgrund der beruflichen Aufenthalte in Österreich besteht aber auch in Österreich eine anteilige Lohnsteuerpflicht hinsichtlich der auf die österreichischen Arbeitstage entfallenden Bruttobezüge.

In welchem Verhältnis sind die Monatsbezüge und die beiden Sonderzahlungen (Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration) in Österreich beziehungsweise in Deutschland zu versteuern? (Tabelle 2)  

Die Aufteilung der Bezüge ist daher nach dem Schlüssel 80 Prozent Deutschland (= 176 Tage : 220 Tage) und 20 Prozent Österreich (= 44 Tage : 220 Tage) vorzunehmen.


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 6  Jänner/ Februar 2016.

Voraussetzung 4: Keine Ablösung anderer Mitarbeiter

Unternehmen dürfen das Entsendeprivileg nicht dadurch umgehen, dass der entsandte Arbeitnehmer einen anderen „ablöst“, der zuvor die gleiche Tätigkeit ausübte und dessen Entsendedauer von 24 Monaten abgelaufen ist.


Beispiel 1: Der Monteur Franz Hackler soll auf eine Baustelle nach Deutschland entsandt werden und den dort bereits seit 24 Monaten tätigen Monteur Rudolf Meister ablösen. Da beide Monteure die gleiche Tätigkeit ausüben, kann Franz Hackler nicht das Entsendeprivileg beanspruchen. Es gilt für ihn das Beschäftigungslandprinzip und er ist daher in Deutschland zu versichern.


Praxistipp: Der Arbeitgeber kann in dieser Situation versuchen, über den bereits zuvor genannten Ausnahmeantrag nach Artikel 16 zu erreichen, dass die Zuständigkeit bezüglich der Sozialversicherung in Österreich verbleibt.

Beispiel 2: Der Monteur Franz Hackler soll auf die Baustelle nach Deutschland entsandt werden und den dort bereits seit 24 Monaten tätigen Tischler Rudolf Kleister ablösen. Da Franz Hackler und Rudolf Kleister unterschiedliche Tätigkeiten ausüben, gilt für Franz Hackler die Entsenderegel und er verbleibt im österreichischen Sozialversicherungssystem.

Voraussetzung 5: Es darf keine Dreiecksentsendung vorliegen.

Dreiecksentsendungen fallen nicht unter den Entsendebegriff der VO 883/2004. Engagiert ein österreichisches Montageunternehmen (Österreich = EU-Staat 1) beispielsweise in Ungarn (Ungarn = EU-Staat 2) Monteure für einen Einsatz in Deutschland (Deutschland = EU-Staat 3), dann liegt eine sogenannte „Dreiecksentsendung“ vor. In diesem Fall ist die Entsenderegel nicht anzuwenden. Es gilt das Beschäftigungslandprinzip und somit die deutschen Sozialversicherungsregeln.

Voraussetzung 6: Die Entsenderegeln gelten nicht für Ortskräfte

Die Entsenderegeln sind auch dann nicht anwendbar, wenn beispielsweise ein österreichischer Arbeitgeber für ein deutsches Projekt einen in Deutschland wohnenden Arbeitnehmer engagiert.

 

Voraussetzung 7: Die arbeitsrechtliche Bindung muss erhalten bleiben.

Die arbeitsrechtliche Bindung des Arbeitnehmers zum entsendenden Arbeitgeber muss während der gesamten Entsendedauer aufrecht bleiben.

Die nachfolgenden Kriterien sind Beurteilungskriterien dafür, ob eine arbeitsrechtliche Bindung zum entsendenden Arbeitgeber gegeben ist:

Zahlt der entsendende Arbeitgeber weiterhin den Lohn?

Ist der entsendende Arbeitgeber weiterhin wirtschaftlich mit der Lohnzahlung belastet?

Trägt der entsendende Arbeitgeber weiterhin die disziplinäre Verantwortung?

Haftet der entsendende Arbeitgeber weiterhin für Schäden?

Ist der entsendende Arbeitgeber weiterhin zuständig bei Kündigungen und Entlassungen?

Weiters ist zu beachten, dass im Beschäftigungsland keine gesonderte arbeitsrechtliche Bindung durch ein zusätzliches Dienstverhältnis, beispielsweise zum örtlichen (Konzern-)Unternehmen, besteht.

Beispiel: Das Dienstverhältnis des Monteurs Franz Hackler zu seinem Arbeitgeber, der österreichischen Baumontage AG, wird während seiner Tätigkeit in Deutschland karenziert (ruhendgestellt). In dieser Zeit übernimmt das deutsche Tochterunternehmen die Gehaltszahlung aufgrund des lokalen Dienstvertrages von Franz Hackler. Da während der Entsendung des Franz Hackler die arbeitsrechtliche Bindung zu seinem Arbeitgeber, der österreichischen Baumontage AG, nicht gegeben war, kann die Entsenderegel nicht angewandt werden. Somit gelten aufgrund des Beschäftigungslandprinzips die deutschen Sozialversicherungsregeln.

Praxistipp: Auch in diesem Fall kann der Arbeitgeber versuchen, über den bereits zuvor genannten Ausnahmeantrag nach Artikel 16 zu erreichen, dass die Zuständigkeit bezüglich der Sozialversicherung in Österreich verbleibt.

Das auszufüllende Formular
Seit dem 1. Mai 2010 muss die zuständige Sozialversicherungsbehörde (in Österreich: Gebietskrankenkasse) jenes Staates, der nach den EU-Regeln zuständig ist, das ausgefüllte EU-einheitliche Formular A1 bestätigen. Damit weist der Arbeitnehmer nach, dass er im Entsendestaat versichert ist und der Tätigkeitsstaat kein Recht hat, Sozialversicherungsbeiträge für das Entgelt des entsendenden Arbeitnehmers einzuheben.

Praxistipp: Es ist sehr wichtig, dass der ins EU-Ausland entsendete Arbeitnehmer ein ordnungsgemäß bestätigtes A1-Formular bei sich hat, um es gegebenenfalls Prüforganen der Sozialversicherungsbehörde des Tätigkeitsstaates vorweisen zu können. 

Fehlt das Formular, kann eine „Schwarzbeschäftigung“ im Tätigkeitsstaat unterstellt werden, was Strafzahlungen auslöst.

C) Besteuerung im Entsendestaat
oder im Tätigkeitsstaat?

Welche Besteuerungs-Zuteilungsregeln sind zu beachten?

Artikel 15 des OECD-Musterabkommens regelt, welcher Staat das Besteuerungsrecht bei Einkünften aus unselbstständiger Arbeit hat.

Regel 1: Der Wohnsitzstaat besteuert.

Der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers besteuert dann, wenn die Tätigkeit nicht in einem anderen Staat – somit keine Tätigkeit in einem Nicht-Wohnsitzstaat – ausgeübt wird.

Regel 2: Der Tätigkeitsstaat besteuert.

Trifft Regel 1 nicht zu, weil die Tätigkeit in einem „Nicht-Wohnsitzstaat“ ausgeübt wird, dann hat grundsätzlich der Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht.

Ausnahme: Das gilt dann nicht, wenn die 183-Tage-Regel angewandt wird, denn in diesem Fall gilt die folgende Regel 3.

Regel 3: Der Wohnsitzstaat und nicht der Tätigkeitsstaat besteuert dann, wenn die 183-Tage-Regel angewandt wird.

Der Wohnsitzstaat besteuert aufgrund der anzuwendenden 183-Tage-Regel, wenn

a) der Aufenthalt im Tätigkeitsstaat innerhalb eines im konkreten Doppelbesteuerungsabkommen Doppelbesteuerungsabkommen (kurz: DBA) festgelegten Zeitraumes 183 Tage nicht übersteigt und

b) die Bezüge von keinem oder für keinen Arbeitgeber gezahlt werden, der im Tätigkeitsstaat ansässig ist und

c) die Bezüge nicht von einer im Tätigkeitsstaat befindlichen Betriebsstätte des österreichischen Arbeitgebers getragen werden.

Wie sind die 183 Tage zu berechnen?

Jeder physische Aufenthalt im Tätigkeitsstaat zählt, auch dann, wenn der Aufenthalt nichts mit der Tätigkeit zu tun hat oder nur sehr kurz war (beispielsweise bei Anreise am späten Abend).


Somit zählen folgende Tage zum Aufenthalt im Tätigkeitsstaat:

+ An- und Abreisetag

+ physisch im Tätigkeitsstaat verbrachte Samstage, Sonn- und Feiertage und sonstige arbeitsfreie Tage

+ physisch im Tätigkeitsstaat verbrachte Urlaubs- und Krankheitstage

+ Kurzunterbrechungstage (beispielsweise infolge eines Streiks)

In die Aufenthaltszeit sind hingegen die folgenden Tage nicht miteinzubeziehen:

Krankheitstage dann, wenn die Erkrankung eine Ausreise des Arbeitnehmers verhindert und hierdurch die Steuerbefreiung im Tätigkeitsstaat verloren ginge.

 ganztätig außerhalb des Staatsgebietes des Tätigkeitsstaats zugebrachte Tage (beispielsweise Wochenendheimfahrten, Samstage, Sonn- und Feiertage, Krankheitstage, Urlaube in dritten Staaten).

 teilweise auf dem Staatsgebiet des Tätigkeitsstaats zugebrachte „Durchreisetage“, wenn der Aufenthalt weniger als 24 Stunden beträgt.

D) Die Lösung des Entsendungspraxisfalles

1. Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung

Da die Tätigkeit in Deutschland einerseits weniger als zwei Jahre dauert und andererseits alle im Punkt B) angeführten Voraussetzungen erfüllt sind, liegt gemäß der VO (EG) Nr. 883/2004 eine Entsendung vor. Dies bedeutet, dass der Techniker auch während seiner Tätigkeitszeit in München im zeitlichen Ausmaß von 40 Wochen weiterhin in Österreich versichert bleibt.

Damit die Tatsache, dass der Techniker in Deutschland nicht zur Sozialversicherung angemeldet wird, keinen Schwarzarbeiterverdacht auslösen kann, muss er unbedingt das von der zuständigen österreichischen Gebietskrankenkasse ausgestellte Formular A1 mitführen.

A) Der Entsendungspraxisfall
Ein österreichischer Arbeitgeber entsendet seinen österreichischen Arbeitnehmer ab 1. Februar für 40 Wochen auf eine Baustelle nach München. Die Baustelle ist keine Betriebsstätte des Arbeitgebers. Während dieser Zeit finden an insgesamt zehn Tagen Besprechungen am österreichischen Firmensitz statt. Weiters verbringt der Techniker in dieser Zeit vierzehn Feier- und Urlaubstage, die auf Arbeitstage fallen, in Österreich. An den Wochenenden reist er zu seiner Familie nach Österreich, wobei er Deutschland jeweils samstagmorgens verlässt und am Montagmorgen wieder nach Deutschland einreist.


Zu Weihnachten vergönnt sich der Techniker mit seiner Familie einen sechstägigen Urlaub in Berlin.


1. Ist der Techniker während des Auslandseinsatzes in Österreich versichert?

2. Wird sein Gehalt in Österreich oder in Deutschland versteuert?

 

B) Die sozialversicherungsrechtlichen
Grundsätze einer Entsendung

Die innerhalb der EU geltenden Sozialversicherungsprinzipien finden Sie in den folgenden beiden EU-Verordnungen (VO):

a) VO (EG) Nr. 883/2004; kurz: VO 883/2004

und

b) in der dazugehörigen Durchführungs-VO

(EG) Nr. 987/2009.

Der Techniker bleibt aufgrund der „Entsenderegelung“ in Österreich sozialversichert, wenn die folgenden sieben Voraussetzungen erfüllt sind:


Voraussetzung 1: Es muss eine inländische Versicherung vorliegen,
die zumindest bereits einen Monat bestanden haben muss.

Der zu entsendende Arbeitnehmer muss unmittelbar vor der Entsendung zumindest einen Monat lang in Österreich versichert gewesen sein.

Diese Voraussetzung ist beispielsweise auch erfüllt, wenn er

bei einem anderen Arbeitgeber versichert

war,

in dieser Zeit Arbeitslosengeld erhalten

hat,

als Student selbst oder als Angehöriger

mitversichert war.

Voraussetzung 2: Der Arbeitgeber muss in Österreich,
dem Entsendestaat, eine „gewöhnliche“ Geschäftstätigkeit ausüben.

Der Arbeitgeber muss im Entsendestaat Österreich eine nennenswerte „gewöhnliche“ Geschäftstätigkeit ausüben. Diese Voraussetzung soll verhindern, dass sogenannte Briefkastenfirmen das Entsendeprivileg nutzen können.

Eine nennenswerte „gewöhnliche“ Geschäftstätigkeit liegt insbesondere dann nicht vor, wenn

der Arbeitgeber lediglich interne Verwaltungstätigkeiten

im Entsendestaat ausübt,

im Entsendestaat nur wenige Verwaltungskräfte

beschäftigt oder

der operative Umsatz (abhängig vom Unternehmensgegenstand) im Entsendestaat unter 25 Prozent des operativen Gesamtumsatzes liegt.


Voraussetzung 3: Die Entsendedauer
darf maximal 24 Monate betragen.

Die maximal mögliche Entsendedauer beträgt 24 Monate. Übersteigt die voraussichtliche Entsendedauer hingegen diesen Zeitraum, ist die Entsenderegelung nicht anwendbar. Der Arbeitgeber kann dann nur über Artikel 16 der VO 883/2004 (Ausnahmeantrag) versuchen, eine Ausnahmeregelung im Sozialministerium zu erwirken, damit der Arbeitnehmer weiterhin im österreichischen Sozialversicherungssystem verbleiben kann.