Das Wort „Training“ kommt ursprünglich aus dem Sport. Dort wird es angewendet, wenn Menschen wiederholt die gleichen Übungen machen, um ihre Muskeln zu stärken und höhere Leistung im automatisierten Ablauf zu erbringen. Irgendwann wurde der Begriff auch für die Weiterbildung am Arbeitsplatz eingesetzt. Ursprünglich zu recht – ging es doch darum, Menschen bestimmte Abläufe einzuimpfen und so oft zu wiederholen, bis diese „richtig saßen“.
Natürlich hätten wir schon damals das Wort samt dem dahinter liegenden Konzept infrage stellen können. Aber damals wäre es vermutlich zu früh gewesen. Heute allerdings erlebe ich, dass es allerhöchste Zeit ist, dem traditionellen Training Adieu zu sagen und auch ganz offiziell Platz zu machen für etwas Neues.
Die Ableitung von „Training“ aus Selbstbeschreibung und Struktur des Unternehmens
Wir können Menschen einfach „trainieren“. Dann bekommen sie ein bisschen Selbstmanagement, eine wie immer geartete Leadership- Ausbildung, ein wenig Eignungsdiagnostik oder einen Kreativ-Workshop für Innovation. Oder wir leiten unsere „Trainingsmaßnahmen“ direkt und unmittelbar aus der Ausrichtung des Unternehmens ab. Damit setzen „Trainings“ plötzlich hochstrategische Unternehmensthemen um, die sich immer wieder ändern – oder über Jahre gleich bleiben, wenn die Ausrichtung der Organisation bestehen bleibt. Anders ausgedrückt: Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen nach einem Merger oder Demerger die gleichen Leadership- Programme mit den gleichen Inhalten anbietet – und die inhaltliche Zusammenstellung den jeweiligen Vortragenden frei überlässt. Mit einer konsequenten Ausrichtung der Inhalte vermeiden Personalentwickler bewusst, dass sie mit ihren „Trainings“ gewissermaßen „neben der Unternehmensausrichtung her laborieren“; gleichzeitig müssen sie ihre Arbeit kontinuierlich an der Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführungsebene ausrichten.
1. Die Rolle der Personalentwickler in den neuen „Trainings“
Nach dieser neuen Definition wird die Trainingsabteilung zur Serviceabteilung. Ihre Kunden sind alle Unternehmensmitglieder; von diesen bekommen wir unsere Aufträge. Erhalten wir widersprüchliche Aufträge, so geht es darum, herauszufinden, welche Anforderungen das nächstgrößere soziale System an uns stellt – um in diesem Rahmen tätig zu werden. Denn die wichtigste Kundin ist das Unternehmen selbst; und unsere neue Aufgabe besteht im immerwährenden Infragestellen erlebter Widersprüche in der Organisation.
Auf diese Weise kommt uns hier zumindest zu Beginn die Rolle eines Hofnarren zu, den sich der König hält, um sich weiterentwickeln zu können; und die „Narrenfreiheit“ brauchen wir, um optimal vermitteln und vermeintliche Tabus (etwa in der Unternehmenskultur) infrage stellen zu können.
2. Eine neue Art zu arbeiten
Da sich die Zielsetzungen und die Rolle der Personalentwicklung im „Trainings“-Bereich ändert, wandelt sich auch ihre Arbeitsweise grundlegend.
Personalentwickler stellen keine Weiterbildungs- und Entwicklungsangebote mehr für ihre Kunden her, sondern liefern nur noch „on demand“. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sie die Hände in den Schoß legen und erst einmal abwarten, ob sich Bedarf zeigt – woran auch immer. Stattdessen suchen sie bei allen Gelegenheiten nach Möglichkeiten, um Bestehendes vor dem Hintergrund neu erlebter Entwicklungen infrage zu stellen und daraus neue Formen der Weiterentwicklung zu kreieren.
Welche Fragen können Personalentwickler nun konkret an die Unternehmensleitung stellen, um ihre Trainingsarbeit neu zu definieren beziehungsweise neue „Trainings“ zu entwickeln?
Daraus abgeleitet können Sie folgende Fragen zur Umsetzung an sich selbst stellen:
3. Aufgaben und Angebotsgestaltung im neuen „Trainings“-Management
Aber nicht nur die Aufgaben der Personalentwicklung im neuen Trainings-Management, sondern auch die Form der Angebotsgestaltung unterscheidet sich im hier skizzierten Kontext grundlegend vom traditionellen „Trainings“-Kontext:
Personalentwickler wandeln sich vom Seminar- und Beratungseinkäufer beziehungsweise -gestalter zum Designer neuer Formen der Weiterentwicklung, in denen insbesondere das Wissensmanagement eine zentrale Rolle spielt. Dabei geht es nicht primär darum, neues Wissen hereinzuholen, sondern bestehendes für das Unternehmen nutzbar zu machen und zu kombinieren (siehe Kasten oben). Das Angebot des neuen „Trainings“ besteht nicht mehr in einem Seminarprogramm, aus dem Mitarbeiter und Führungskräfte gemäß ihrer Hierarchie auswählen können, sondern in konkreten Prozessangeboten. Anstelle von Verkaufsseminaren bietet die Personalentwicklung Mini-Workshops an, um ausgehend von den Zielen der Sales-Abteilung in Abstimmung mit der Struktur des Unternehmens herauszuarbeiten, welche Weiterbildungen der Vertrieb in nächster Zeit benötigt.
Mögliche Beispiele:
In der Folge unterstützt „Training“ die Abteilung dabei, ihre Vorhaben in die Praxis umzusetzen; aber nicht nur das: Darüber hinaus vernetzt es die Aktivitäten unterschiedlicher Abteilungen und Bereiche miteinander, fasst sie zusammen und gibt dem Topmanagement regelmäßig Rückmeldungen. Außerdem erarbeitet die Trainingsabteilung neue Impulse in Form von Zielen und Strategien für das Unternehmen und forciert den Austausch mit der Basis über die vereinbarten Angebote, zum Beispiel in einem Mentoring- Programm oder durch die Teilnahme des Marketing-Vorstands bei einer Kundenveranstaltung, um daraus nicht nur Ergebnisse für die operative Arbeit, sondern auch für strategische Anliegen zu gewinnen. Jedes zu erstellende Angebot erfordert Maßarbeit; und dennoch kristallisieren sich normalerweise spezifische Programme / Vorgehensweisen heraus, die im jeweiligen Unternehmen besonders erfolgreich sind. Passiert das bewusst, dann lernt das Unternehmen das Lernen, und es entsteht das, was wir nach Gregory Bateson eine lernende Organisation im Sinne eines Lernens zweiter Ordnung nennen (Bateson 1970).
Die neue Personalentwicklung sieht auch hier eine zentrale Aufgabe: Sie prüft die verschiedenen innovativen, maßgeschneiderten Weiterentwicklungsformen auf deren Erfolg, verfeinert diese und verbreitet die Ergebnisse wiederum im Unternehmen, sodass ein einzigartiges Lernfeld entsteht. Darüber hinaus schafft sie im „Training“ auch Netzwerke zwischen einzelnen Unternehmensmitgliedern, zwischen Mitarbeitergruppen aus verschiedenen Teams, zwischen Kerngruppen und unterschiedlichen Hierarchien, um bewusst an Zukunftsthemen zu arbeiten; ohne Arbeitsauftrag, ohne von außen festgelegtes Ziel, mit einer einzigen Aufgabe: Die Ergebnisse der Gruppe sollen dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Es gibt bereits Unternehmen, die diese Communities of Practice erfolgreich nutzen und Quantensprünge der Innovation für ihr Unternehmen möglich machen.
Ähnliche Netzwerke können Unternehmen auch nutzen, um auf eine kreative und hoch effiziente Art und Weise mit einem Null-Budget in der Personalentwicklung umzugehen. Die Führungskräfte können sich beispielsweise gegenseitig unterstützen, indem sie die Mitarbeiter der jeweils anderen Führungskraft coachen oder als Mentor begleiten. Sie können Teammeetings oder Jahresstrategiesitzungen moderieren. Auch Intervisionen können hilfreich sein, um gemeinsam Problemlösungen zu finden oder Best Practices zu sammeln. Dabei handelt es sich um kollegiale Beratungsformen, bei denen der eine Kollege einen Fall einbringt und der andere die Diskussion leitet.
Auf diese Weise entsteht ein Übergang von der inhaltlichen Orientierung zur Prozessorientierung, von der Fokussierung auf die Menschen zur Fokussierung auf Strukturen und Rahmen, vom fertigen Angebot hin zum maßgeschneiderten Erarbeiten von Weiterbildung, von der weitgehenden Abkopplung von Training und Unternehmensorientierung einerseits hin zur passgenauen Hand-in- Hand-Arbeit an der Unternehmensentwicklung andererseits.
Mithilfe von interrelationalem „Training“ können Organisationen einen Kreislauf schaffen, der eine hohe Dynamik entlang der Ziel- und Identitätsorientierung des Unternehmens schafft. Auf diese Weise sichert das Unternehmen nicht nur seinen langfristigen Erfolg, sondern auch seine Einzigartigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.
Die Ansatzpunkte im „Training“ in der Praxis – entwickelt aus dem Relationsmodell
Betrachten wir das Relationsmodell, so setzt interrelationales „Training“ aus unserer Sicht im Idealfall an folgenden Punkten an:
1. Umsetzung des Rahmens
„Training“ orientiert sich aus unserer Sicht immer am Rahmen des betreffenden Systems, denn es setzt die Ausrichtung des Unternehmens um.
Damit fragt es sich:
2. Struktur
Interrelationale „Trainings“ lösen Change- Prozess im Team aus – damit sich die gemeinsame Struktur des betreffenden Systems verändern kann.
Wir fragen uns:
3. Persönliche Struktur des Einzelnen
Interrelationale „Trainings“ bieten Werkzeuge, die dem Einzelnen helfen, an seiner persönlichen Struktur zu arbeiten. Die Auswahl der Werkzeuge steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausrichtung des Unternehmens.
Hier können wir uns fragen:
4. Wechselwirkung zwischen dem Einzelnen und dem Rahmen
Interrelationale „Trainings“ helfen Mitarbeitern, ihre persönliche Struktur mit dem zu vergleichen, was das Unternehmen fordert.
Die Fragestellungen dazu:
Literaturtipp
Im Magazin Lernende Organisation erscheint im März 2008 ein Schwerpunkt zum Thema „Was Training können kann“. (LO Lernende Organisation, Nr. 42/2008).