BAG, 19. April 2011, Az. 3 AZR 318/09

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Foto von Austin Distel

Sachverhalt

Die Klägerin hatte eine Versorgungszusage erhalten, die ihr mit 65 Jahren eine Altersrente in Höhe von 75% ihrer zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge garantiert. Wird die Rente im Falle eines vorgezogenen Ruhestands beantragt, so richtet sich die Höhe nach einer Staffel, die pro Lebensjahr des vorgezogenen Renteneintritts eine um 1% niedrigere Rentenzahlung vorsieht (d.h. beispielsweise mit vollendetem 60. Lebensjahr 70% der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge). Auf die Betriebsrente wird die gesetzliche Altersrente angerechnet.

Das Arbeitverhältnis der Klägerin war mit 56 vorzeitig beendet worden. Ab 61 Jahren bezog sie eine vorgezogene gesetzliche Altersrente wie auch eine Betriebsrente.

Die Entscheidung

Das BAG entschied, dass die Betriebsrente der Klägerin nicht wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme mit 61 gekürzt werden dürfe.

Das Gericht stellte zunächst fest, dass die Versorgungsordnung keine Regelung zur Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente nach einem vorzeitigen Ausscheiden treffe. Die Staffelung regele nur den Fall, dass ein Mitarbeiter bis zum Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand beschäftigt sei.

Zeitratierliche m/n-Kürzung

Die Richter führten weiter aus, dass infolge des vorzeitigen Ausscheidens mit 56 Jahren die Grundsätze des Betriebsrentengesetzes zur Berechnung einer unverfallbaren Anwartschaft Anwendung fänden. Dies bedeute, die Rente sei zeitratierlich entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit (“m”) zu der bis zum Erreichen der festen Altersgrenze von 65 Jahren möglichen Betriebszugehörigkeit (“n”) zu kürzen. Dadurch werde ein Ausgleich dafür geschaffen, dass die Mitarbeiterin durch das vorzeitige Ausscheiden die Betriebszugehörigkeit nicht bis zur Regelaltersgrenze erbringt.

Untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag

Darüber hinaus werde aber durch die vorgezogene Inanspruchnahme die Betriebsrente früher und länger in Anspruch genommen. Ob unter diesem Gesichtspunkt eine zweite Kürzung vorgenommen werden dürfe, richte sich nach der Versorgungsordnung. Die Versorgungsordnung könne einen versicherungsmathematischen Abschlag für jeden Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme vorsehen.

Für die Fälle, in denen die Versorgungsordnung keinen versicherungsmathematischen Abschlag vorsieht, ohne ihn ihrerseits auszuschließen, könne eine zweite zeitratierliche Kürzung durch einen „untechnischen versicherungsmathematischen Abschlag“ zulässig sein. Ein solcher Abschlag erfolge in der Weise, dass die Zeit zwischen dem Beginn der Betriebszugehörigkeit und der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente in Bezug gesetzt werde zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der festen Altersgrenze.

Ein untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag durfte bei der Klägerin jedoch nicht vorgenommen werden. Dem stehe die Wertung der Versorgungsordnung entgegen. Mit der aufsteigenden prozentualen Staffelung der Leistung in Abhängigkeit des Lebensalters werden der vorgezogene Ruhestand und die damit verbundenen Abschläge abschließend geregelt. In diesen Fällen finde eine aufsteigende Berechnung pro zusätzlichem Lebensjahr statt. Daraus ergebe sich, dass bei einem vorgezogenen Ruhestand gerade keine zeitratierliche Kürzung erfolgen solle. Die Klägerin habe damit nicht mit weiteren zeitratierlichen Abschlägen rechnen müssen.

Rentenberechnung

Nach den vom BAG dargelegten Grundsätzen errechnet sich die Rente der Klägerin wie folgt: Ausgangspunkt ist die mit 65 Jahren erreichbare Rente, also 75% der ruhegeldfähigen Dienstbezüge von € 2.701,67, d.h. € 2.026,25. Nach Anrechnung der fiktiven gesetzlichen Altersrente zum Endalter 65 i.H.v. € 1.418,23 ergibt sich eine fiktive Betriebsrente mit 65 in Höhe von € 608,02. Diese Vollrente ist zeitanteilig nach den Regelungen zur Unverfallbarkeit zu kürzen (sog. m/n-Regelung). Die tatsächliche Betriebszugehörigkeit bis 56 betrug 280 Monate, die mögliche Betriebszugehörigkeit bis zum gesetzlichen Renteneintritt hätte sich auf 394 Monate belaufen. Die Vollrente ist daher um den Faktor 0,73 (= 280/394) zu kürzen. Hieraus ergibt sich eine anteilige Betriebsrente in Höhe von € 432,10. Eine zweite Kürzung durfte nicht erfolgen.

Fazit

Die Entscheidung betrifft nicht die Frage der Berechnung der lediglich vorgezogenen Altersrente, sondern die Frage der Berechnung der vorgezogenen Altersrente (hier mit 61) nach einem vorzeitigen Ausscheiden (hier mit 56). Diese Fälle weisen quasi eine “doppelte Vorzeitigkeit” auf. Wie dies bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen ist, hängt von den Regelungen in der Versorgungsordnung ab. Die zeitratierliche Kürzung für das vorzeitige Ausscheiden (mit 56) ist regelmäßig unproblematisch. Ob darüber hinaus ein zweiter Abschlag wegen der vorgezogenen Rente (mit 61) erfolgen darf, bestimmt sich nach den Wertungen der Versorgungsordnung. Vorsicht ist immer dann geboten, wenn für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme eine besondere Staffelung vorgesehen ist. Nach der Begründung des BAG steht eine solche Staffelung einer zweiten zeitratierlichen Kürzung wohl entgegen.

Auch für beitragsorientierte Leistungszusagen (z.B. beim Ansammeln jährlicher Rentenbausteine) könnte sich anknüpfend an die Argumentation des BAG ergeben, dass sich im Fall des vorzeitigen Ausscheidens die Leistung nach den erworbenen Rentenbausteinen errechnet und damit kein zeitratierlicher Abschlag vorgesehen ist. Nach einem vorzeitigen Ausscheiden wird auch in diesen Fällen daher über die m/n-Kürzung hinaus kein zweiter Abschlag möglich sein.

Es ist daher anzuraten, bei der Gestaltung von Versorgungszusagen eine Abschlagsregelung für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme aufzunehmen, wenn dies gewünscht ist. Ergibt sich die Möglichkeit eines zweiten Abschlags aus der Versorgungsordnung, dann ist ein solcher unproblematisch möglich.