Eine akute Zwangslage und ihre weit reichenden Folgen

people sitting near brown wooden coffee table
Foto von Jessica Sysengrath

 

Unternehmen waren von da an gezwungen, bei ihren Personalmaßnahmen eventuelle Zugehörigkeiten zu Minderheiten zu berücksichtigen, um Diskriminierung und damit kostspielige Klagen zu vermeiden. Durch die Bewältigung dieser Zwangssituation erkannten viele Unternehmen, dass die Förderung von Diversity, also Vielfalt, ihrem Geschäft weitere Vorteile bringt. Doch was ist Diversity genau?

Man könnte Diversity als Facettenreichtum bezeichnen, wobei dieses Wort sowohl negativ als auch positiv verstanden werden kann. In der Wissenschaft besteht der Konsens, dass Diversity die Verschiedenheit, Ungleichheit, Andersartigkeit und Individualität bezeichnet, die durch zahlreiche Unterschiede zwischen Menschen entsteht. Diversity ist also nicht nur als Gleichstellungsauftrag oder Frauenförderung zu verstehen. Auf gar keinen Fall hat es mit Quoten zu tun, wie es in Deutschland noch immer häufig der Fall ist.

In den USA werden neben dem Geschlecht auch andere Merkmale wie Hautfarbe, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung als wesentliche Elemente von Diversity aufgefasst. Neben diesen Faktoren rücken jedoch seit einigen Jahren weitere Schichten in den Blickpunkt von Diversitykonzepten. Wie das auf der Arbeit der beiden amerikanischen Diversity Consultants Gardenswartz und Rowe basierende Schaubild zeigt, gehören dazu

  • die Persönlichkeit,
  • interne Dimensionen wie Alter, Geschlecht und Hautfarbe,
  • externe Dimensionen wie Familienstand, persönliche Gewohnheiten und religiöse Glaubensprägung sowie
  • die organisationsspezifische Schicht, die etwa Funktion, Abteilungszugehörigkeit und Arbeitsort beinhaltet.

Diese umfassende Sicht von Diversity zeigt, dass es sich hierbei um ein ganzheitliches Konzept handelt, das alle Unternehmensteile und Hierarchieebenen mit einbeziehen und gelebt werden muss, um erfolgreich zu sein. Diversity soll verbinden. Es ist eine Chance, das Humankapital eines Unternehmens synergetisch zu nutzen und somit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten zu erhalten. Durch die effiziente Nutzung des Humankapitals eines Unternehmens, die nichts anderes als die optimale Nutzung der Ressourcen bedeutet, können Personalkosten gespart werden. Doch diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch.

Die Entdeckung des wirtschaftlichen Nutzens

 

In der Vergangenheit haben amerikanische Unternehmen nur passiv auf die Antidiskriminierungsgesetzgebung reagiert. Das amerikanische Rechtssystem machte die Nichtbeachtung dieser Gesetzgebung zu einer kostspieligen Angelegenheit für die betroffenen Firmen. Beispielsweise einigte sich American Express im letzten Jahr mit 4.000 Mitarbeiterinnen, die eine Sammelklage wegen sexueller und Altersdiskriminierung eingereicht hatten. Außergerichtlich verständigten sich die Kontrahenten auf die Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 31 Millionen US-Dollar.

Seit einigen Jahren setzt sich jedoch in der amerikanischen Wirtschaft mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll ist, nicht nur zu reagieren. Vielmehr beginnen die Unternehmen, die Möglichkeit von Diversity aktiv zu nutzen. Drei Wettbewerbsvorteile werden dem Diversity Management in der Regel zugesprochen.

Die drei wichtigsten Wettbewerbsvorteile lassen sich wie folgt umreißen:

  • Unternehmen, die Diversity Management praktizieren, verbessern ihr Image und ihren Markenwert; dadurch steigt auch die Qualität ihrer Bewerber.
  • Eine kulturell vielfältige Mitarbeiterschaft erlaubt es, neue Marktsegmente wie beispielsweise das der türkischen Mitbürger zu erschließen.
  • Diversity Management kann die Zusammenarbeit in heterogenen Gruppen verbessern und die Organisation für Veränderungen öffnen; solche gemischten Gruppen treten nicht nur immer häufiger auf, sondern sind oft auch kreativer und innovativer als homogene Gruppen.

Deutschland ist mit Blick auf Diversity ein Entwicklungsland

 

Im Gegensatz zu den USA steckt Diversity Management in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Zwar kommunizieren immer mehr Großunternehmen nach außen, dass sie kulturelle Vielfalt ernst nehmen. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt schnell, dass sich Diversity Management auf die Gleichstellung von Frauen und Behinderten beschränkt. Wer Diversity allerdings so versteht, verkauft nur alten Wein in neuen Schläuchen.

Mittlerweile beschäftigen sich allerdings mehr und mehr Unternehmen mit diesem Thema. Zu den Vorreitern gehören dabei die Deutsche Bank und die deutsche Tochtergesellschaft des Autoherstellers Ford.

Die Globalisierung macht die Deutsche Bank zum Vorreiter

 

Die Akquisition verschiedener Unternehmen, die daraus folgende Globalisierung des Geschäfts, der Kunden und der Mitarbeiter sowie eine nachhaltige Personalpolitik vor dem Hintergrund der künftigen demographischen Entwicklung gehören zu den Gründen, warum die Deutsche Bank Ende der 90er Jahre begann, sich aktiv mit dem Thema Diversity auseinander zu setzen und heute viele Empfehlungen für ein erfolgreiches Diversity Management umsetzt. Der Vorstand stellt die Vorteile von kultureller Vielfalt heraus und fördert die Integration von Diversity in die Geschäftsstrategie und die Unternehmenskultur. Ein weltweit tätiges Global Diversity Team ist für die Entwicklung des Konzepts und die operative Umsetzung verantwortlich. So wurden eine interne Kommunikations- und Marketingstrategie und Personalentwicklungsmaßnahmen wie zum Beispiel Mentoring- Programme für Frauen und ein Diversity-Training für Führungskräfte konzipiert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung von Mitarbeiternetzwerken, die sich aktiv für die Interessen bestimmter Mitarbeitergruppen einsetzen. In Deutschland, Großbritannien und den USA existieren bereits Frauennetzwerke sowie ein schwul-lesbisches Netzwerk, das unter anderem die Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher eingetragener Lebensgemeinschaften bei einer Vielzahl von Bank- und Vergütungsleistungen erreicht hat.

In Deutschland ist natürlich bei der Umsetzung von Diversity-Maßnahmen die Einbeziehung des Betriebsrates wichtig. Daher hat die Deutsche Bank 2002 eine Betriebsvereinbarung „Fairness am Arbeitsplatz“ abgeschlossen, mit deren Hilfe das Bewusstsein für Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung erhöht wird. Außerdem sieht die Vereinbarung ein Kompetenzteam von erfahrenen Personalbetreuern vor, die in obigen Fragen berät.

Abschließend ist zu erwähnen, dass die Deutsche Bank auch im Bereich der Personalbeschaffung versucht, die kulturelle Vielfalt zu erhöhen. In Berlin werden beispielsweise von der Deutschen Bank Praktikantenstellen in Schulen mit einem hohen Anteil von Aussiedlern und/oder Ausländerkindern angeboten.

Ford nutzt gezielt seine internen Diversity-Netzwerke

 

Ford ist ein gutes Beispiel dafür, wie Diversity für Marketingzwecke genutzt werden kann. Wie die Deutsche Bank hat auch Ford verschiedene Netzwerke. Dazu gehören ein Elternnetzwerk, ein Frauennetzwerk, ein schwul-lesbisches und ein Netzwerk für türkische Mitarbeiter. Diese vertreten nicht nur die Interessen der Mitglieder, die dort Beratung und Unterstützung bei sozialen Problemen erhalten. Sie tragen auch dazu bei, dass Unternehmensziele erreicht werden. Beispielsweise hat das Netzwerk türkischer Mitarbeiter verschiedene Initiativen zur besseren Integration dieses Teils der Belegschaft gestartet, wie eine Abstimmung von Schichtbetrieb und Fastenmonat Ramadan, die Abhaltung von Betriebsversammlungen in türkischer Sprache und das Angebot von Sprachkursen. Das Netzwerk hilft zudem dem Unternehmen, sich nach außen zu präsentieren.

Unter anderem waren Mitglieder des Netzwerks an der Entwicklung der Ethno- Marketingkampagne von Ford beteiligt, die sich an in Deutschland lebende Selbstständige türkischer Abstammung wandte.

Warum Förderung der Vielfalt auch im Mittelstand wichtiger wird

 

Besonders das Beispiel von Ford zeigt, dass Diversity Management nicht nur für Global Player relevant ist. Wie Michael Stuber in seinem neuesten Buch „Diversity“ zeigt, werden Herausforderungen wie Internationalisierung, eine steigende Heterogenisierung der Märkte und ein spürbarer Fach- und Führungskräfteengpass dazu führen, dass sich auch kleinere und mittlere Betriebe verstärkt mit dem Thema Vielfalt, Individualität und Inklusion auseinander setzen müssen. Dazu kommt ein starker rechtlicher Druck aufgrund neuer EU-Gesetzgebung. In der Vergangenheit hatte die Umsetzung von EU-Richtlinien im Arbeitsund Sozialrecht kaum Auswirkungen auf deutsche Unternehmen, da die entsprechenden nationalen Mindeststandards bereits über den EU-Standards lagen. Dies ist bei der Gleichbehandlungsgesetzgebung anders.

Die Europäische Union setzt neue Standards bei der Gleichbehandlung

 

Der Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags von 1999 und die daraus resultierenden Richtlinien (2000/43/EG „Gleichbehandlung ohne Unterschied der Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft“ und 2000/78/EG „Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“) verlangen, im Berufsleben Menschen gleich zu behandeln – und zwar ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung.

Die Umsetzung der EU-Richtlinie in ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz wird derzeit vorbereitet. Selbst wenn nur die Mindestanforderungen der EU umgesetzt werden, ergeben sich erhebliche Auswirkungen auf die Bereiche Auswahl- und Einstellungsbedingungen, beruflicher Aufstieg, Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Kündigung. Andererseits argumentieren die Gegner eines eigenständigen deutschen Antidiskriminierungsgesetzes, dass die EU-Vorgaben bereits mit Artikel 3 des Grundgesetzes umgesetzt seien und deshalb ein neues Gesetz nicht nötig sei.

Wie immer auch dieser Disput ausgehen wird: Wenn die Mindestanforderungen umgesetzt werden, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Beweislast bei einer Verletzung dieser Rechtsvorschriften, im Gegensatz zu dem bisher Üblichen, beim Beklagten liegen wird. Auch wenn die Schadenshöhe in Deutschland aufgrund des Ausfallschadensprinzips geringer ist als in den USA, ergibt sich ein Handlungsbedarf nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für den Mittelstand.

Diversity Management richtig im Unternehmen implementieren

 

Wie das Beispiel Deutsche Bank zeigt, setzt das erfolgreiche Management von Diversity voraus, dass die Unternehmensleitung das Anliegen glaubwürdig vertritt. Diversity ist eine Chance für Unternehmen, ihre Wettbewerbsstärke zu steigern. Es muss jedoch beachtet werden, dass Diversity Management ein ganzheitliches Konzept ist, das alle Unternehmensbereiche betrifft.

Diversity-Strategien dürfen nicht isoliert betrachtet, sondern müssen in Organisations- und Geschäftsstrategien eingebunden werden. So wäre zum Beispiel die Anwendung von Diversity Management in der Personalbeschaffung obsolet, wenn die kulturelle Vielfalt später nicht im operativen Geschäft genutzt wird. Dazu ist es wichtig, Diversity klar zu definieren und zu operationalisieren. Eine erweiterte Definition von Diversity ist hierbei günstiger als eine sehr enge, die sich vielleicht nur auf Frauen und Behinderte beschränkt.

Auch Rivalitäten sind Ausdruck der Vielfalt in der Organisation

 

Neben diesen internen Dimensionen sollten auch organisationsspezifische Ebenen wie Gegensätze und Rivalitäten zwischen Abteilungen, Funktion oder fusionierten Unternehmensteilen als Bestandteil der Firmenvielfalt gesehen werden. Nur so erzielen Unternehmen, die Vielfalt fördern und von ihr profitieren wollen, eine gewisse Messbarkeit und Vergleichsbasis.

Eine Diversity-Marketingstrategie, regelmäßige Berichte und die Einführung eines Qualitätssicherungssystems können darüber hinaus die interne Akzeptanz von allen Aspekten, die sich um das Konzept Diversity gruppieren, erhöhen.

Für die dauerhafte Integration von Diversity in ein Unternehmen ist daneben auch die Anpassung des Personalmanagements wichtig. Nur in einigen Personalmanagementfeldern erfüllen viele deutsche Unternehmen bereits die Anforderungen von Diversity-Konzepten. Ein solches ist zum Beispiel die Arbeitszeitflexibilisierung – und damit eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie ist in Deutschland sehr viel weiter vorangeschritten als in den USA.

Fähigkeiten zum Umgang mit Vielfalt sind noch unterentwickelt Im Gegensatz dazu gibt es hierzulande einen Nachholbedarf bei der Berücksichtigung von „Fähigkeiten zum Umgang mit Diversity“. Dies betrifft die Bereiche Mitarbeiterauswahl, Personalentwicklung und Beurteilung, in denen das Potenzial von älteren Arbeitnehmern, von Frauen und ausländischen Arbeitnehmern nicht ausgeschöpft wird.

Fazit:Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei Diversity Management um ein ganzheitliches Konzept handelt. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet dabei vor allem die Frage, ob sich die verschiedenen Personalmaßnahmen ergänzen oder widersprechen.

Quelle: personal-expo