Management Audits gibt es seit Mitte der 1990er Jahre. Wie verbreitet sind sie heute?
Dazu gibt es keine Statistiken und Untersuchungen. Aber ich habe mir einmal den Spaß erlaubt zu recherchieren, wie oft der Begriff Management Audit in den vergangenen Jahren in Aufsätzen von Fachzeitschriften erschienen ist. Dabei kam folgendes heraus: Im Jahr 1990 wurde der Begriff 192 Mal erwähnt, im Jahr 2000 bereits 747 Mal. Im Jahr 2006 gab es dann schon 1.239 Treffer. Die Fachpresse schreibt immer häufiger über dieses Thema. Daraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass es auch die Unternehmen in zunehmendem Maße bewegt.
Zu welchem Zweck setzen Unternehmen Management Audits ein?
Unsere Expertenbefragung hat gezeigt, dass Unternehmen Management Audits besonders häufig einsetzen, um das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu testen, vor allem in schwierigen Phasen oder in gravierenden Veränderungsprozessen. Beispielsweise zeigte sich bei einem Projekt mit einem Autozulieferer schon nach wenigen Gesprächen, dass die vom Mutterkonzern vorgegebenen Umsatz- und Kostenziele nur mit wenigen Managern aus der bestehenden Mannschaft realisierbar waren. Auf der Führungsebene darunter gab es aber hervorragende Potenzialträger, die sonst kaum zum Zuge gekommen wären. Da dieses Unternehmen bislang keine systematische Führungskräfteentwicklung aufgebaut hatte, wusste es viel zu wenig über seine Potenziale. Hier erwies sich das Audit als besonders sinnvoll. Ein weiterer typischer Einsatzbereich von Audits sind Fusionen und Übernahmen. Die Käufer interessieren sich nicht nur für die Bilanzen, sondern auch für die Mitarbeiter und deren Potenziale, die den Wert des Unternehmens ganz wesentlich bestimmen.
Wie läuft ein Audit üblicherweise ab? Welche Methoden setzen die Unternehmen ein?
Die meisten Audits arbeiten mit so genannten Behavioral Interviews, die sich mit dem Verhalten in kritischen Situationen beschäftigen. Die Gutachter schauen sich zunächst den Lebenslauf des Kandidaten an, eventuell liegen ihnen zusätzlich noch Einschätzungen aus einem 360-Grad-Feedback vor. Daran knüpfen sie an. Wenn es zum Beispiel um die Kompetenz „Konfliktstärke“ geht, bitten sie den Kandidaten, einen konkreten Konflikt zu schildern und darzustellen, wie er sich in dieser Situation verhalten hat. Da sich das Gespräch auf reale Ereignisse bezieht, fällt es den Befragten meist schwer sich zu verstellen. Aus den Antworten kann man auch erkennen, was der Kandidat überhaupt unter einem Konflikt versteht, ob er schwierige oder eher triviale Konflikte zu lösen hatte, oder ob er unangenehmen Problemen aus dem Weg gegangen ist, und wie er schließlich eine Lösung herbeigeführt hat. Würde man den Kandidaten dagegen fragen: „Wie lösen Sie Konflikte vom Typ XY?“, könnte er herunterspulen, was er in Büchern gelesen oder in Seminaren gelernt hat. Das Verfahren ist übrigens nicht neu. Es wird seit Jahren in der Marktforschung zur Einschätzung der Servicequalität eingesetzt. Es beruht auf der Critical Incidents Technique.
In solchen Interviews brillieren aber vermutlich vor allem jene Manager, die ihr Verhalten gut begründen können. Fallen die intuitiven Macher dabei nicht durchs Raster?
Das hängt davon ab, welches Kompetenzmodell die Audits zugrunde legen. Sehr häufig definieren die Beratungsfirmen, die Audits durchführen, im Vorfeld, was sie zum Beispiel unter konzeptionellen, strategischen, sozialen oder kommunikativen Kompetenzen verstehen und fragen dann ab, ob Manager diesen Mustern entsprechen. Sie legen Kompetenzmodelle zugrunde, die den „idealen“ Manager beschreiben sollen, und greifen dabei auf große empirische Erhebungen unter Führungskräften zurück. Diese Idee des idealen Managers knüpft an die Tradition von Jack Welsh an, der Mitarbeiter in A-, Bund C-Player unterteilt hat. Das führt häufig zu großem Unsinn, weil Manager das so empfinden, als würden sie in eine Schublade gesteckt, auf der A, B oder C steht. Und wer möchte schon als C-Player klassifiziert werden? Es sollte nicht um die Einstufung der Person, sondern um die Verbesserung ihrer Kompetenzen gehen. Und Kompetenzen sind nichts Abstraktes, das sich aus empirischen Untersuchungen ableiten lässt, sondern eine Summe von Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Erfahrungen, die notwendig sind, um konkrete Aufgaben eines bestimmten Unternehmens in einer spezifischen Branche zu bewältigen. Hier liegt die Trennlinie zwischen guten und schlechten Audits: Viele Audits basieren auf abstrakten Kompetenzmodellen und gehen zu wenig auf die Realität der einzelnen Unternehmen ein. Die guten Audits gehen der Frage nach, inwiefern sich Kandidaten für bestimmte Aufgaben der Zukunft eignen und was sie gegebenenfalls dazulernen müssen. Das heißt, Unternehmen müssen sich im Vorfeld fragen, welche Herausforderungen auf sie zukommen und welche Kompetenzen dafür notwendig sind. Das geschieht noch viel zu selten und führt häufig dazu, dass die neue Generation von Managern sich genauso verhält wie die alte – aber nicht so, wie die Märkte der Zukunft es erfordern.
Angenommen, ein Unternehmen hat ein Kompetenzmodell entwickelt, das künftige Aufgaben berücksichtigt. Reicht dann ein einziges Interview aus, um herauszufinden, ob sich ein Manager für bestimmte Aufgaben eignet? Ist das objektiv?
Objektiv abbilden lassen sich künftige Leistungen überhaupt nicht. Ein Audit kann lediglich subjektive Einschätzungen bündeln und damit ein möglichst objektives Bild des Kandidaten liefern. Dabei nutzen Management Audits im Idealfall unterschiedliche Quellen: Viele Unternehmen spiegeln die Ergebnisse der Interviews mit anderen Instrumenten, wie dem 360-Grad-Feedback, Persönlichkeitstests oder Beurteilungen von Vorgesetzten. Hinzu kommt die neutrale, externe Einschätzung, die das Bild abrunden soll.
Die Qualität der Interviews hängt vor allem von der Erfahrung der Auditoren ab. Normalerweise führen zwei externe Auditoren ein solches Gespräch. Sie sollten die notwendigen Branchen- und Fachkenntnisse mitbringen, um die Leistungen des Kandidaten wirklich bewerten zu können. Praxiserfahrung – und nicht nur Beratungserfahrung – der Auditoren ist ebenfalls wichtig. Wenn gestandene Manager von jungen Unternehmensberatern auditiert werden, die noch nie unternehmerische Verantwortung getragen haben, entstehen Akzeptanzprobleme. Ein weiterer Punkt ist die Transparenz der Instrumente: Die Manager sollten wissen, wie die Interviews ablaufen und was mit den Ergebnissen geschieht, bevor sie in das Audit gehen.
Dennoch können Manager die Prüfungssituation eines Audits als Misstrauensbeweis betrachten, was im schlimmsten Fall dazu führt, dass sie das Unternehmen verlassen und die Organisation gute Leute verliert…
Dem können Unternehmen vorbeugen, indem sie das Ziel des Audits klar kommunizieren. Dieses Ziel sollte nicht darin bestehen, „gute“ von „schlechten“ Managern zu trennen, sondern prüfen, welche Kompetenzen und Voraussetzungen die Manager mitbringen, um künftige Aufgaben zu erledigen. Sie sollten ihre Erwartungen an die Kompetenzen der Manager offenlegen und – falls notwendig – auch sagen, dass sie einem Kandidaten diese Aufgaben nicht zutrauen. Wenn ein Manager daraufhin das Unternehmen verlässt, weil seine Kompetenzen dort nicht gefragt sind, ist das für beide Seiten besser. Aber noch einmal: Es geht nicht darum, gute von schlechten Managern zu trennen. Das wäre auch ethisch nicht tragbar. Denn niemand hat das Recht, über die Persönlichkeit eines anderen zu urteilen. Wer Menschen in A-, Bund C-Player einteilt, macht unglaublich viel kaputt und fördert extrem opportunistisches Verhalten. Außerdem ist die Aussagekraft von Audits, die auf einem solchen Menschenbild beruhen, sehr fragwürdig.
Ihrer Expertenbefragung zufolge haben einige Firmen sehr negative Erfahrungen mit Audits gemacht. Was kritisieren sie an der Methode?
Viele Unternehmen haben bemängelt, dass die Methoden nicht objektiv genug sind und ein größerer Praxisbezug vonnöten wäre. Zum einen wünschen sie sich Auditoren, die praktische Erfahrung im Management mitbringen. Zum anderen sollten sich die Audits aus ihrer Sicht stärker auf die Anforderungen des Unternehmens beziehen, wie eben schon angesprochen. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Neutralität der Berater. Es kommt auch vor, dass manche Teilnehmer das Gefühl haben, die Ergebnisse des Audits stünden schon vorher fest.
In welche Richtung sollten sich Management Audits demnach entwickeln?
Zum einen sollten die Audits mehr auf die Entwicklung von Kompetenzen und weniger auf die Beurteilung und Bewertung der Menschen zielen. Zum anderen sollten Unternehmen die Audits verstärkt für die Nachfolgeplanung einsetzen. Sie sollten nicht erst dann zum Einsatz kommen, wenn der Investor schon an die Tür klopft oder die Firma kurz vor der Pleite steht. Dann müssen Unternehmen mit Akzeptanzproblemen rechnen. Manager akzeptieren ein Audit erst dann als sinnvolles Instrument, wenn sie positive Erfahrungen damit gesammelt haben. So lange werden Skepsis und Ängste überwiegen. Letztendlich will jeder Manager wissen, wo er steht, wie seine Zukunft aussieht, und wie er sich konkret weiterentwickeln kann. Demnach müssten die betroffenen Manager die wichtigsten Initiatoren von Management Audits sein und nicht – wie bisher – die Unternehmensleitung mit 51 Prozent und die Personalabteilung mit 33 Prozent.
Interview: Bettina Geuenich
Quelle: personal manager 3/2007