Problempunkt

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Die Parteien stritten über die Anzahl der Urlaubstage, die der Klägerin, einer 23-jährigen Kassiererin, pro Kalenderjahr zustehen. Nach der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Regelung im Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW (MTV) beträgt der Urlaub bis zum vollendeten 20. Lebensjahr 30 Werktage pro Kalenderjahr. Ab dem 20. Lebensjahr steigt er auf 32, ab dem 23. Lebensjahr auf 34 und ab dem 30. Lebensjahr auf 36 Werktage. Statt der ihr danach zustehenden 34 Urlaubstage fordert die Klägerin 36 Tage und beruft sich auf Altersdiskriminierung. Die beklagte Arbeitgeberin macht geltend, dass die Tarifpartner mit der Staffelung die Mitarbeiter bei der Lebens- und Familienplanung unterstützen wollten. Entsprechend der Beschäftigungsstruktur im Einzelhandel gehe die Belegschaft i. d. R. mit dem 20. Lebensjahr ein reguläres Anstellungsverhältnis ein. Zu diesem Zeitpunkt begründe sie dann bspw. einen eigenen Hausstand oder manifestiere die Familienplanung. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt.

Entscheidung

Das LAG Düsseldorf schloss sich dieser Auffassung an und sprach der Klägerin 36 Urlaubstage entsprechend der höchsten Stufe der Urlaubstagestaffel zu. Jüngere Arbeitnehmer werden im Vergleich zu ihren Kollegen ab dem 30. Lebensjahr wegen ihres Alters schlechter behandelt. Eine Benachteiligung scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Urlaubsanspruch selbst in der untersten Stufe noch über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausgeht. Vergleichsrahmen sind nicht alle Arbeitnehmer, sondern allein die normunterworfenen Beschäftigten des nordrhein-westfälischen Einzelhandels.

Die Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Es ist kein von den Tarifvertragsparteien verfolgtes legitimes Ziel erkennbar. Die Kompetenz der Tarifvertragsparteien beschränkt sich gem. Art. 9 Abs. 3 GG darauf, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln. Dazu zählt nicht, Anreize für die Verfestigung von Partnerschaften zu schaffen oder die Geburtenrate aktiv zu fördern. Die Entscheidungen, die die Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang treffen, sind Privatsache. Tarifvertragliche Regelungen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern, dürfen daher allein an bereits vorhandene soziale Gegebenheiten anknüpfen und müssen einen Bezug zu konkreten Arbeitsbedingungen haben. Dazu gehört es bspw., einen zusätzlichen Urlaubstag zu gewähren, um Arbeitnehmern die Kinderbetreuung zu erleichtern. Daneben gibt es weder objektive Anhaltspunkte noch einen dahingehenden Erfahrungssatz, dass Mitarbeiter im Einzelhandel ausgerechnet entsprechend der im Tarifvertrag gewählten Altersstufen eine eigene Wohnung beziehen, eine Partnerschaft eingehen und Kinder bekommen. Daher ist nicht erkennbar, dass die Tarifregelung die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bezweckt.

Schließlich ist die Ungleichbehandlung nicht erforderlich gem. § 10 Satz 2 AGG, da es sich nicht um das mildeste Mittel zur Erreichung des behaupteten Ziels handelt. Dafür bietet sich eher eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs an, die an den Zeitpunkt der Geburt bzw. die Anzahl der Geburten anknüpft.

Als Rechtsfolge kommt wegen des Grundsatzes der effektiven und wirksamen Durchsetzung von EU-Rechtsvorgaben nur in Betracht, den Urlaubsanspruch der Klägerin „nach oben“ anzupassen. Die tarifvertragliche Regelung ist unwirksam. Nach Sinn und Zweck des AGG ist ein Ausgleich für die unerlaubte Benachteiligung zu schaffen. Daher sind die leistungsgewährenden, nicht benachteiligenden Tarifvertragsbestimmungen (die höchste Urlaubstagestaffel) auf die bisher davon ausgeschlossenen Personen zu erstrecken. Den Tarifvertragsparteien verbleibt die Möglichkeit, jederzeit eine nicht diskriminierende Urlaubsregelung für die Zukunft zu vereinbaren. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.

Konsequenzen

Insbesondere die vom LAG Düsseldorf angeordnete „Anpassung nach oben“ als Rechtsfolge zeigt, dass eine Altersdifferenzierung, die gegen das AGG verstößt, u. U. erhebliche Kosten nach sich zieht. Tarifvertragliche Regelungen, die an das Alter anknüpfen, sollten daher darauf überprüft werden, ob ein legitimes Ziel vorliegt. Allerdings stellt eine solche Rechtsfolge einen schwer wiegenden Eingriff in das Tarifgefüge dar. Das BAG wird zu entscheiden haben, ob das LAG die verfassungsrechtlich gewährleistete Tarifautonomie damit in unzulässiger Weise eingeschränkt hat.

Die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann ein legitimes Ziel für eine Urlaubsstaffelung sein, wenn Zusatzurlaub an bereits vorhandene soziale Gegebenheiten, wie die Geburt eines Kindes, anknüpft. Die Erhöhung des Urlaubsanspruchs für ältere Arbeitnehmer verfolgt ein legitimes Ziel, wenn dies ihrem höheren Erholungsbedürfnis Rechnung tragen soll (obiter dictum des LAG Düsseldorf). Das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 24.3.2010 – 20 Sa 2058/09; Revision anhängig unter 9 AZR 529/10) hält die Erhöhung des Urlaubsanspruchs mit der Staffelung „bis zum 30. Lebensjahr“, „bis zum 40. Lebensjahr“, „nach dem 40. Lebensjahr“ wegen des zunehmenden Erholungsbedürfnisses für zulässig.

Praxistipp

Werden Beschäftigte wegen ihres Lebensalters unterschiedlich behandelt, sollte geprüft werden, welches legitime Ziel die Regelung verfolgt und ob sich dieses zumindest aus dem allgemeinen Kontext der Regelung ergibt. Rechtssicherer ist die Differenzierung nach der Beschäftigungsdauer. Von „höchster Stelle“ (EuGH, Urt. v. 3.10.2006 – C-17/05) ist bereits entschieden, dass bei Differenzierungen aufgrund der Beschäftigungsdauer das legitime Ziel darin liegt, die Berufserfahrung und die Betriebstreue zu honorieren.

RAin Kristina Huke,

Abteilung Arbeitsrecht, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Berlin

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 9/11