Problempunkt

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Die Arbeitsvertragsparteien hatten vereinbart, dass der Arbeitnehmer einen definierten Prozentsatz des festen Jahresgehalts „gemäß Zielvereinbarung“ als zusätzliches variables Jahresgehalt erhält. Nachdem sie bereits in 2003 eine Zielvereinbarung geschlossen hatten, einigten sie sich für 2004 auf eine neue Vereinbarung, in der es heißt: „Die Zielvereinbarung gilt ab dem 1.1.2004 für mindestens ein Jahr bis zur Unterzeichnung einer neuen Zielvereinbarung.“

Für das Jahr 2005 bot die Arbeitgeberin eine Zielvereinbarung mit veränderten Voraussetzungen an. Für 2006 unterbreiteten die Parteien wechselseitig Angebote. 2007 forderte der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin auf, einen Vorschlag zu übersenden. Letztlich kamen für die Jahre 2005 bis 2007 jedoch keine Zielvereinbarungen zustande. Wäre in diesen Jahren die Zielvereinbarung 2004 angewandt worden, hätte kein Anspruch auf eine variable Vergütung bestanden. Der Arbeitnehmer machte für jedes Jahr einen Anspruch auf Schadensersatz i. H. d. für das Jahr 2004 bei 100%iger Zielerreichung festgelegten variablen Vergütung geltend. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

Entscheidung

Das BAG hielt einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers für möglich und führte damit seine Rechtsprechung aus den Entscheidungen vom 12.12.2007 (10 AZR 97/07) sowie vom 10.12.2008 (10 AZR 889/07, AuA 7/10, S. 441 f.) fort. Es verwies das Verfahren an die Vorinstanz zurück. Seine Entscheidung begründete es wie folgt:

Besteht nach dem Arbeitsvertrag ein Anspruch auf einen variablen Gehaltsbestandteil, der davon abhängt, dass der Mitarbeiter zu vereinbarende Ziele erreicht, und kommt eine Zielvereinbarung nicht zustande, ist der Arbeitgeber nach Ablauf der Zielperiode gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1, 252 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütung Schadensersatz zu leisten, sofern er das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten hat. Aus einer Zielvereinbarung folgt die Verpflichtung des Arbeitgebers, mit dem Mitarbeiter über die in der jeweiligen Periode zu erreichenden Ziele zu verhandeln. Er muss Ziele vorschlagen, die der Arbeitnehmer in der Zielperiode erreichen kann. Es obliegt regelmäßig dem Arbeitgeber, die Initiative zum Abschluss einer Zielvereinbarung zu ergreifen und ein konkretes Angebot vorzulegen. Sofern dies unterbleibt, verletzt der Arbeitgeber seine Verhandlungspflicht, die aus der Vereinbarung der variablen zielabhängigen Vergütung resultiert. Dasselbe gilt, wenn er einer Aufforderung des Arbeitnehmers nicht nachkommt, mit ihm eine Zielvereinbarung abzuschließen.

Die vereinbarte Weitergeltung der Zielvereinbarung für den Bezugszeitraum 2004 bis zur Unterzeichnung einer neuen Zielvereinbarung schließt einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nicht grundsätzlich aus. Es ist, so das BAG, zwischen vereinbarter Weitergeltung der Zielvereinbarung einerseits und Fortbestehen der Verhandlungspflicht andererseits zu differenzieren. Naheliegend ist nach Auffassung des BAG die Auslegung der konkreten Zielvereinbarung dahingehend, dass trotz vereinbarter Weitergeltung die Verhandlungspflichten fortbestehen. Zwar schloss das BAG nicht aus, dass der Bezugszeitraum einer variablen Vergütung auch über ein Jahr hinausgehen kann. Im konkreten Fall waren die Parteien jedoch von einer jährlichen Anpassung ausgegangen, wie die unterschiedlichen Zielvereinbarungen für die Jahre 2003 und 2004 deutlich machen.

Der 10. Senat erkennt zwar die Nachwirkung der für das Jahr 2004 geschlossenen Zielvereinbarung an. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine Auffangregelung, deren einziger Zweck es war, einen vertragslosen Zustand zu vermeiden. Die bestehenden wechselseitigen Pflichten, über eine nachfolgende Zielvereinbarung zu verhandeln, sollten damit nicht erledigt sein. Dies ergibt sich, so das BAG, aus dem Wortlaut, nach dem die Weitergeltung „bis zur Unterzeichnung einer neuen Zielvereinbarung“ besteht. Auch aus dem – grundsätzlich zu beachtenden Willen – der Vertragspartner zur Nachwirkung einer Zielvereinbarung folgt nach Ansicht des BAG nicht, dass die Verhandlungspflicht zum Abschluss nachfolgender Zielvereinbarungen generell erlischt.

Sollte das LAG bei seiner erneuten Auslegung der Zielvereinbarung für das Jahr 2004 zu dem Ergebnis kommen, dass die Pflichten zur Verhandlung über nachfolgende Zielvereinbarungen nicht erloschen waren, muss es prüfen, ob die Arbeitgeberin mit dem Angebot auf Abschluss einer Vereinbarung für das Jahr 2005 realistische Ziele unterbreitet und damit ihrer Verhandlungspflicht Genüge getan hat.

Konsequenzen

Die Entscheidung des BAG vom 10.12.2008 (10 AZR 889/07, a. a. O.) konnte noch den Eindruck erwecken, ein Schadensersatzanspruch sei mittels vereinbarter Nachwirkung bis zum Abschluss einer neuen Zielvereinbarung vermeidbar. Wer in der Praxis hierauf seine Hoffnung gesetzt hat, sieht sich nun enttäuscht. Das BAG hat – mag man dem Schadensersatzanspruch auch kritisch gegenüberstehen – konsequent seine Rechtsprechung zur Schadensersatzpflicht bei unterlassener Zielvereinbarung fortentwickelt.

Im Ergebnis – insoweit ist die Entscheidung nicht eindeutig – lässt das BAG wohl eine Tür offen, sich auf eine Weitergeltung zu einigen, die die Verhandlungspflichten erlöschen lässt. Wie eine derartig weit reichende Vereinbarung auszusehen hat, um vor dem BAG Bestand zu haben, sagt es jedoch nicht. Im Regelfall, so muss man die Richter in dieser Entscheidung verstehen, erlischt die Verhandlungspflicht im Hinblick auf den Abschluss nachfolgender Zielvereinbarungen also nicht dadurch, dass die Parteien eine Weitergeltung bis zur Unterzeichnung einer neuen Zielvereinbarung vereinbaren.

Praxistipp

Es ist grundsätzlich möglich, eine Nachwirkung in einer Zielvereinbarung zu vereinbaren. Dies entbindet jedoch nicht davon, nach Ablauf des jeweiligen Bezugszeitraums stets zu überprüfen, ob die Ziele noch realisierbar sind, und sie ggf. neu zu justieren. Sofern zur effektiven Steuerung der Leistungen der Arbeitnehmer über das Mittel der Zielvereinbarung ein jährlicher Bezugszeitraum gewählt wird, führt dies grundsätzlich auch zu einer jährlich wiederkehrenden Pflicht, die Ziele zu überprüfen und Verhandlungen aufzunehmen. Offen ist derzeit, wie eine vom BAG inzident als möglich anerkannte Vereinbarung aussehen muss, die eine Verhandlungspflicht entfallen lässt. Es ist daher zu empfehlen, anstatt auf die Nachwirkung zu vertrauen, ein Prozedere für den Fall zu regeln, dass die Parteien keine Einigung über die zu vereinbarenden Ziele erreichen. Infrage kommt bspw., dass der Arbeitgeber bei Scheitern einer Einigung unter Beachtung pflichtgemäßen Ermessens die Ziele einseitig festsetzen darf. Dies kann dann auch darin bestehen, die vorhergehende Zielvereinbarung weiter gelten zu lassen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 02/11