“Wir haben gemerkt, wenn etwas passieren soll, müssen wir es selber machen” – Vincent Zimmer und Markus Kreßler, die KIRON OPEN EDUCATION gegründet haben, ermöglichen niederschwelligen Zugang zu universitärer Bildung für Flüchtlinge. Flüchtlinge fallen aus allen Lebenssystemen. Wenn sie studieren möchten, fehlen ihnen jedoch häufig die offiziellen Papiere, um all die nötigen Amtshürden zu nehmen. Die Kiron-Preisträger ermöglichen Identität, Perspektive, Teilhabe und Akzeptanz und empfingen daher gestern Ihren! Leonardo European Corporate Learning Award in Bonn – ebenso wie Dr. C. Otto Scharmer vom MIT als Thought Leader, der u.a. presencing, mit Mind, Heart, Hand-Leadership den Wandel vom EGO-System zum ECO-System ermöglicht und Ana Rosling, die zusammen mit Prof. Dr.Hans Rosling und Ola Rosling als Crossing-Border-Preisträger allen Menschen zeigt: Die Welt ist besser als wir denken, wenn wir Lebensumstände, Zahlen und Daten von Vorurteilen und falschen Kontexten befreien.

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Foto von Andrew Neel

Die eigenen Grenzen überwinden – die Welt ko-kreieren 

Zukunft kann man nur gemeinsam gestalten

Die Verleihung des Leonardo – European Corporate Learning Award 2016, des Europäischen Bildungspreises, der von HRMri mitgegründet und ausgerichtet wird, stand am 19. September im Kameha Grand Bonn unter dem  Motto: Die Zukunft des Lernens in Zeiten der Ignoranz – und damit gleichzeitig unter dem Vorzeichen, etwas gegen alle Formen schädlicher Ignoranz in Bildung, Lernen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu tun. Viele der Gäste fühlten sich von diesem Thema extrem angesprochen: Die rege Diskussion wärend der „Round-Tables und Think-Tanks“ am Vormittag vor der Preisverleihungsgala am Abend zeigte die Vielschichtigkeit des Themas – und wie ignorante Haltungen unsere Gesellschaften durchdringen, prägen, zerstören können – aber auch den Keim von neuem Wissen in sich bergen – wenn man sie bewusst angeht.

„Einen Abend voller Erleuchtung, aber auch voller Freude“, versprach Prof. Michael Spencer, der durch die Veranstaltung führte und mit einem Geigenspiel – provokativ ein schottisches Stück zum Thema „Brexit & Co.“ – den Abend eröffnete. Und richtig, die Begeisterung und Leidenschaft der Preisträger und Teilnehmer, in der Gesellschaft etwas bewegen zu wollen – sprang über. Da verwunderte es nicht, dass Kiron-Preisträger Markus Kressler gemeinsam mit Vincent Zimmer am Abend Engagement „mit Biss“ bewiesn –und dabei beinahe ihre Leonardo-Medaille dran glauben musste.

Der europäische Bildungspreis ging in diesem Jahr an folgende mutige Vordenker und tatkräftige Pragmatiker, die neue Wege in Sachen Bildung und Gesellschaftsentwicklung erforscht haben: an Dr. C. Otto Scharmer in der Kategorie „Thought Leadership“, an Dr. Hans Rosling, Ola Rosling und Anna Rosling Rönnlund in der Kategorie „Crossing Borders“ sowie an die Gründer von Kiron Open Higher Education Vincent Zimmer und Markus Kreßler in der Kategorie „Young Leonardo“.

Der erste Preis des Abends ging an Dr. C. Otto Scharmer: Der MIT-Professor und Gründer des Presencing Instituts in Cambridge erhielt für seine „Theorie U“ den Leonardo in der Kategorie „Thought Leader“. Mit seiner „sozialen Technik der Freiheit“ beschreibt er, wie mithilfe von Anwesenheit (presence), Wahrnehmung (sensing) und Achtsamkeit (mindfulness) – also durch ein bewussteres Wahrnehmen des Selbst  und der Umgebung – von „der Zukunft her“ geführt werden kann. Leadership mit Kopf, Herz und Hand muss sich von Ego-System zum Eco-System entwickeln. Wir ko-kreiern gemeinsam Zukunft. „„Es gibt gute und schlechte Ignoranz. Der Unterschied ist, ob ich mich wohl dabei fühle, in dieser „Ignoranzblase“ zu bleiben oder zu handeln – oder ob ich meine Ignoranz bewusst als Instrument nutze, die existierenden Grenzen zu überwinden[apf1] “, führte er aus.

„Ich bin sehr dankbar, dass die Arbeit von Otto Scharmer auf diese Weise gewürdigt wird“, erklärte der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther in seiner Laudatio. „Wir müssen uns öffnen und Neues zulassen, und das nicht, indem wir unsere Köpfe mit immer neuen Informationen füttern und immer neue Daten anhäufen und auch nicht mit immer besser werdenden Trainingsprogramme[apf2] n.“ Dies seien die Strategien aus dem letzten Jahrtausend. „Im 21. Jahrhundert lautet das Erfolgsgeheimnis: zusammen lernen, voneinander lernen, gemeinsam arbeiten und Probleme lösen, und vor allem: Co-Kreativität. Co-Kreativität ist das herausragende Merkmal unserer Spezies[apf3] .“ Womit er Parallelen zu aktuellen Erkenntnissen der Neurobiologie und den Sozialwissenschaften zog.

Zukunftsaussichten bieten – Potenziale freisetzen

Die beiden Gründer der Kiron Open Higher Education, Markus Kreßler und Vincent Zimmer, erhielten den „Young Leonardo”. Kiron bietet Geflüchteten weltweit ein weiterführendes Bildungsangebot. Der „Young Leonardo Award“ wurde 2015 zum ersten Mal an vier junge Pioniere im Bereich Lernen vergeben; in diesem Jahr wurde daraus eine eigene Kategorie.

Wenn etwas passieren soll, müssen wir es selber tun

Kreßler und Zimmer, die sich stark in der Flüchtlingsarbeit engagierten, stellten schnell fest, wie frustrierend das ist. „Da gab es Leute, die haben zwei Jahre auf ihr Interview gewartet, was zum Beispiel auch bedeutet hat, dass sie zwei Jahre lang keinen Sprachkurs bekommen haben,“ beschrieb Kreßler und fügte hinzu: „Das, was sie wirklich brauchten, war eine echte Perspektive zur Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt.“ Und die kam dann in Form von Kiron: „Geflüchteten[apf4]  eine Hochschulbildung und im Nachgang Zugang zu den traditionellen Bildungsinstitutionen zu ermöglichen, zu denen ihnen vorher durch die Flucht die Papiere fehlten, ist für uns ein Game Changer: Wir setzen das Potential dieser Menschen frei, machen sie zu Botschaftern in den Aufnahmegemeinschaften und helfen ihnen dadurch, nach dem Krieg ihre Länder wieder aufzubauen“, erklärte Vincent Zimmer.

 Die herausragende Leistung von Kreßler und Zimmer bestehe für die Leonardo Jury und das Advisory Board in der sozialen Innovation und humanitären Leistung des Projekts, so Peter Pawlowsky, einer der Leonardo Ambassadores für Deutschland, in seiner Rede an die beiden Preisträger. Erstaunlich fand er auch die wahnsinnige Geschwindigkeit, mit der die beiden Kiron aufbauten und dabei zwischen politischen und menschlichen Bedürfnissen sowie zwischen traditionellen Systemen Grenzen überschritten sowie Brücken gebaut hätten. [apf5]  „Sie sind wirklich außergewöhnlich“, bestätigte auch Dr. Shyamal Majumdar, Direktor von UNESCO UNEVOC, der für berufliches und technisches Lernen verantwortlichen UN Institution, bei der Preisvergabe und betonte sein Vertrauen in die Jugend: „Wir Älteren haben eine Welt kreiert, die nicht immer schön ist; das wissen wir.[apf6]  Aber Ihr seid unsere Hoffnung!“

Die Weltsicht in die richtige Perspektive rücken

In der Kategorie Crossing Borders nahm Anna Rosling Rönnlund den Preis entgegen, den sie zusammen mit ihrem Schwiegervater Dr. Hans Rosling, Professor für internationale Gesundheit am Karolinska Institutet in Stockholm, und ihrem Ehemann Ola Rosling verliehen bekam. Gemeinsam sind sie Gründer der Gapminder Foundation in Schweden. Seit 18 Jahren verarbeiten sie offizielle Daten zu Lebensumständen und -Standards der Menschen weltweit und speisen sie in ein selbst entwickeltes Open-Source-Programm für visuell animierte Statistiken. Das Ergebnis: Sie entlarvten „verschobene Weltsichten und alte Gesellschafts- und Kulturvergleiche, die von Vorurteilen und falschen Bewertungen geprägt sind, ein eindrucksvolles Plädoyer gegen Vorurteile und künstliche Katastrophenszenarien in aller Welt. „Wir versuchen die Welt verständlicher  und gleichzeitig objektiver zu machen“, erklärte Rosling Rönnlund im Rahmen der Preisverleihung. „Was wir täglich in den Medien sehen, ist meistens das Außergewöhnliche, Extreme. Und daraus kreieren wir unsere sehr negative Sicht auf die Welt.“ Daher seien objektive Fakten nötig. Denn sie zeigen beispielsweise, dass sich die Lebensbedingungen über die Jahrhunderte für alle Teile der Welt stetig verbessert haben: „Da die Menschen jedoch keine Statistiken mögen – haben wir  einen Weg, gefunden, auf anschauliche Weise die Menschen hinter den Zahlen sichtbar und die Zahlen objektiver vergleichbar zu machen

Was Ihr geschafft habt, ist, Menschen zum Umdenken zu bewegen, ihnen zu helfen, ihre falschen vorgefertigten Sichtweisen aufzugeben[apf7] ”, erklärte Prof. Dr. Wim Veen, Leonardo Ambassador für die Niederlande in seiner Lobrede für das Gapminder-Projekt. Mit ihrer Arbeit hätten die Roslings Daten Bedeutung verliehen, erklärte er weiter. „Viele, viele Leute habt Ihr bewegt und ihnen klar gemacht, das ihre Vorstellung davon, in welcher Welt sie heute leben, nicht so ist, wie sie es in der Schule gelernt haben[apf8] .“

Für verantwortungsvolles Handeln

Vorurteile sind ein Gift, das sich in die Herzen und Köpfe der Menschen setzt, das Denken und Handeln von Verantwortung trennt, und auf diese Weise den Weg für Ungerechtigkeiten ebnet[apf9] ”, zitierte Leonardo-Sekretär Günther M. Szogs den früheren Außenminister Hans Dietrich Genscher aus der dem ersten Leonardo-Preisträger Jaques Delors gewidmeten Laudatio aus dem Jahr 2010. Offenheit gegenüber Andern und Wissen über sie seien das, was zählt, damit gegenseitiges Verstehen und ein Zusammenkommen möglich seien.

Mit diesen Worten hätte Hans Dietrich Genscher auch heute an unseren Tischen sitzen können“, überlegte Szogs weiter. Die Herausforderung, dies zu überwinden, sei heute noch aktuell, das sei die schlechte Nachricht. [apf10] „Aber die gute Nachricht ist: Wir haben uns ein bisschen vorwärts bewegt. Heute haben wir viel diskutiert, nicht nur über Ignoranz und Vorurteile, sondern auch über die Mechanismen von Vorurteilen und die Logik von Ignoranz, damit wir diese hinter uns lassen können, damit wir zu besseren Urteilen kommen können, um verantwortungsbewusster zu handeln.“


 [apf1]There is good ignorance and bad ignorance. And the difference is whether or not I am just comfortable in our acting inside the bubble of ignorance and do nothing basically or do I access my ignorance as a tool in order to transcend existing boundaries.”

 

 [apf2]We will have to open our minds – not by feeding our minds and by loading it with more information, and also not by even better training programs for learning.

 [apf3]In the 21st century the secret of success is learning together, learning from each other, is working and solving problems together and is above all, co-creativity. Because Co-creativity is the outstanding feature of our species

 [apf4]To solve the problem of bringing refuges into higher education: We see it as a game changer to unlock the potential of those people and make them to embassadors into their own hosting communities and help rebuilding their countries after war. Because they will be the only people who really care, when the war is over who will go there and rebuild the structures

 [apf5]To me the most stunning fact with Kiron is that this pionieering social innovation network – one could call that you developed – is crossing borders and building bridges between political and human needs, and between traditional systems in a speed that is truly stunning

 

 [apf6]Because we people at the age of retirement, you see the world, we didn’t create a world which is very nice, very beautiful.

 [apf7]So what you did was a mind-shifting process for helping people to get rid of their preconceived perceptions that were wrong

 [apf8]You have been able to touch a huge amount of people, realizing that their ideas of in what kind of world they are living today isn’t according to what they have learned at schools

 [apf9]Prejudices are a poison, a poison that works its way into the hearts and minds of people, that separates thoughts and actions from responsibility, thus freeing the path for injustice

 [apf10]Everyone feels as if he sat at our tables today.  I don’t see much of a difference

Stöbern Sie auf den Webseiten der Leonardo European Corporate Learning Award-Preisträger:- Hier sind ihre Webseiten und Projekte, Reinschauen, Lernen, Staunen lohnt sich, lassen Sie sich anstecken von ihrer Begeisterung, andere zu begeistern, in der Welt etwas zu bewegen. Wir! waren – und sind begeistert und wollen das teilen, teilen, teilen! https://kiron.ngo/ https://www.gapminder.org/, http://www.ottoscharmer.com/ und https://www.presencing.com/.

 

Die Laudatoren der Preisträger waren: Neurobiologe Gerald Hüther für Dr. Otto C. Scharmer (hier beide im Bild während der Round-Table-Discussion am Vormittag vor der Gala), Prof. Pawlowski für Vincent Zimmer u nd Markus Kressler und Prof. Dr. Wim Veen für Prof. Dr. Hans Rosling, Ole Rosling und Anna Rosling-Rönnlund. Begeisterte, bewegende und nachdenkliche Worte für verdiente Preisträger und Vordenker unserer Zeit.