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Foto von Andrew Neel
Personalwirtschaft: Ein hart umkämpfter Markt, massive Kundenabwanderung, unzufriedene Belegschaften, ein angeschlagenes Image – die Telekom ist ein Unternehmen auf Schlingerkurs. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
Thomas Sattelberger: Na, was das Unternehmen betrifft, so haben wir uns inzwischen aber ganz gut gefangen. Im April 2007 stand ich persönlich vor der Entscheidung, ob ich die bereits gut reformierte Personalarbeit bei der Continental AG die kommenden Jahre routiniert weiterführe oder mich einer komplett neuen Herausforderung stelle. Mit fast 58 Jahren befand ich mich am Scheideweg, wie ich meine berufliche Laufbahn zu einem guten Finish führe, und es war schon immer mein Traum gewesen, einen „Nangar Parbat“ (König der Berge im Himalaya/Anm. d. Red.) der Personalarbeit zu besteigen, also das Personalressort bei einem der ganz großen Unternehmen Deutschlands wie Siemens, Telekom oder Daimler zu steuern. Und zwar in einer schwierigen Transformationsperiode, die mir Respekt und volle Kraft abnötigt.

Ihre erste Bewährungsprobe bei der Telekom haben Sie bereits bestanden. Wie haben Sie die Gewerkschaft Verdi von der Ausgliederung von 50000 Mitarbeitern in kostengünstigere Servicegesellschaften überzeugt?
Die Telekom erlebt derzeit, was beispielsweise eine Lufthansa bereits Anfang der 90er Jahre vollzogen hat. Eine – zugegeben späte – dezentrale Ausrichtung der Organisation an Kunden und Märkten. Deshalb habe ich auch nie von Ausgliederung gesprochen, sondern von der Schaffung einer föderalen Struktur. Ich verhehle dabei nicht, dass die Kosteneffizienz von Strukturen Eintrittsgebühr zum Überleben im Markt ist. Doch der Treiber solcher Restrukturierung ist bei weitem nicht nur die Kosteneffizienz. Das war und ist vielmehr unsere organisationsphilosophische Überzeugung, dass sich Kolosse nicht wirklich führen lassen. Kolosse reagieren auch nicht sensibel auf Kunden. Ich habe da eine große Chance gesehen, in einem neuen Tarifvertrag Elemente zu integrieren, die sowohl unternehmerisch dezentralisieren, wie auch Elemente, die in solchen Vereinbarungen selten zu finden sind: Service-Karrieren, Service-Qualifizierung, variable Vergütung mit einem kundenorientierten Anteil. Also Tarifpolitik im Interesse der Kunden.

Wie hoch war Ihr Anteil an der Einigung mit Verdi?
Ich habe der Gesamtleitung Mut gegeben, dass wir die Sache gut durchstehen. 450000 Streiktage – das trifft ein Unternehmen schon hart. Mit der Kommunikation für eine Chancen- und Risikogemeinschaft haben wir uns auch aus einer gefährlichen kommunikativen Schieflage herausmanövriert. Ich konnte die kommunikative Wende zu diesem wichtigen tarifpolitischen Thema mit einleiten. Schließlich wurden wir ja mit dem publikumswirksamen Vorwurf, Hungerlöhne zu zahlen, angegriffen. Da war es wichtig, mit einer offensiven Kommunikationsstrategie dagegenzuhalten, um Verdi in Zugzwang zu setzen. Naja, und letztendlich haben wir sicher auch elegant und intelligent verhandelt.

Sie sagen, einen Koloss könne man nicht führen. Ist die Telekom in der Lage, das föderale System umzusetzen?

Ja. Unsere T-Punkte mit einer Mannschaft von 5200 Mitarbeitern sind das beste Beispiel, wie eine unternehmerisch erfolgreiche Dezentralisierung funktioniert. Die weltweit dezentral aufgestellte T-Mobile mit ihren rund 64000 Mitarbeitern ist ebenfalls ein exzellentes Exempel. Und nun hat unsere Breitband- und Festnetzsparte ihre Servicegesellschaften und ist damit transparenter, agiler und unternehmerischer geworden.

Die Telekom hat damit nur ein Etappenziel erreicht, die Restrukturierungswelle ist noch längst nicht abgeschlossen. Wie geht es weiter?
Als Veteran von Unternehmensrestrukturierungen kann ich Ihnen versichern, das hat in keinem Unternehmen je ein Ende. Bei Telekom haben wir in der bundesdeutschen Fläche eine Kleinststruktur in Bereichen wie beispielsweise Call Center, Buchhaltung und Personalservices. Dadurch ist die Steuerung der Arbeitsprozesse schwierig und die Produktion unwirtschaftlich. Zudem müssen unsere zentralen Verwaltungsstrukturen schlanker werden. Ein auf drei Jahre angelegtes Programm „Shape Headquarter“ wird hier Veränderungen bringen. Betroffen davon oder besser gesagt Vorreiter hierbei ist auch mein Ressort. Insgesamt liegt ein Marathonlauf bei der Effizienzsteigerung vor uns. Die France Telekom hat beispielsweise in vergleichbaren Strukturen eine um 6,5 Prozent niedrigere Personalaufwandsquote. Das sind zwei Milliarden Euro niedrigere Personalkosten. Das ist doch ein Wort im Konkurrenzkampf, oder?

Schüren Sie damit nicht weitere Ängste in der Belegschaft?
Die Wahrheit darf doch nicht verschwiegen werden. Das Erwachen wäre böse. Natürlich müssen wir sensibel kommunizieren und intelligent handeln. Nur mit Effizienzprogrammen alleine vermitteln wir keine personalpolitischen Perspektiven für die Belegschaft und fahren die Unternehmenskultur an die Wand. Wir müssen es beispielsweise gerade bei den neuen Servicegesellschaften schaffen, das Thema Personalentwicklung voranzutreiben. Die Mitarbeiter sollen sehen, dass sich Leistung am Kunden für Karriere, aber auch mit variabler Vergütung lohnt. Entscheidend ist auch, unsere gesamte Servicekultur durch Nachwuchsentwicklung, Performance Management, Berufsausbildung, Personalmarketing – also die ganzen Klassiker der Personalarbeit – weiterzuentwickeln. Wir nennen das, die „Service-DNA“ in die Personalprozesse einzuspritzen.

Ist das HR-Management für diese Aufgaben gewappnet?
Zu meiner großen Freude habe ich zwar eine etwas beleibte, aber hochkompetente Personalorganisation übernommen. Das zentrale Effizienzsteigerungsprogramm „Shape Headquarter“ war für mich gleichzeitig die Chance, die HR-Strukturen weiter zu optimieren. Gute Shared Services gibt es bei der Telekom seit langem. Hier muss die Null-Fehler-Philosophie durch Prozesse weiter unterfüttert und durch Mentalitätsarbeit von allen noch stärker als Service Exzellenz gelebt werden. In gut der Hälfte der Personal-Organisation agieren bereits starke HR-Business- Partner. Diese Struktur muss nun auch in der anderen Hälfte der Organisation etabliert werden, wo momentan noch über ein funktionales Referentensystem gearbeitet wird. Und letztlich müssen wir die Competence-Center auf ihre intellektuelle Atmungsrolle als „Brain Company“ ausrichten, mittels derer maßgeschneidert und dicht am Geschäft Konzepte entwickelt werden. Wir haben Führungspositionen neu ausgeschrieben und die Neubesetzungen vorgenommen. Insgesamt werden wir hier schlanker durch den Abbau von fast 30 Prozent der Führungspositionen im HR-Bereich und hoffentlich qualitativ noch hochwertiger durch derzeit über 60 Prozent Positionswechsel beziehungsweise neue Positionsinhaber im Führungskräftebereich.

Sie müssen von den insgesamt 6000 Personalmitarbeitern ein Drittel in den nächsten drei Jahren abbauen. Bleibt die Qualität da nicht auf der Strecke?

Wir müssen nicht, wir wollen beträchtlich schlanker und damit sportlicher werden. Wer schlank wird, drückt anderen nicht seine Hilfe auf, sondern wird gerufen. Personalarbeit ist keine Versorgungseinrichtung. Am Anfang wird es sicherlich an der einen oder anderen Stelle kräftig knirschen, aber schlussendlich glaube ich, werden wir noch besser als vorher aufgestellt sein.

Der Umbau der Telekom wirkt nicht gerade imagefördernd. Hat Ihr Personalmarketing nicht ein massives Problem?
Umbau heißt auch Aufbau. Wir stellen in 2008 fast 4000 Hochschulabsolventen, junge, aber auch erfahrene Experten sowie Nachwuchskräfte, die ihre Ausbildung erfolgreich bei uns absolviert haben, ein. Und wir verändern unser Image positiv. Das wird uns leichter fallen, da das Unternehmen viel besser ist als sein Ruf. Ähnliche Herausforderungen hatte ich Anfang der 90er Jahre bei der Dasa zu bewältigen. Dort wandelten wir das Image eines damals geschmähten Wehrtechnikunternehmens zu dem eines am Arbeitsmarkt hoch renommierten Hightech-Konzerns. Dann kam ich 1994 zur Lufthansa, damals ein Unternehmen mit dem Image eines Finanzamts. Und seit fast einem Jahrzehnt steht die Lufthansa unter den Top 5-Arbeitgebern. Auch die Conti hat sich kräftig nach vorne bewegt, insbesondere bei den Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Bei der Telekom wird das nicht anders laufen. Unser neuer HR-Marketing-Slogan heißt „We change, your chance“. Die schwierigen Veränderungsprozesse des Unternehmens sind die packende Chance für Talente. Wir bieten Gestaltern und Veränderern eine Heimat.

Wollen Sie bei der Telekom, wie damals bei der Lufthansa, eine Corporate University einführen?

Ja, das wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2008 passieren. Wie bei Qualitätsarbeit üblich, wird das Haus erst namentlich getauft, wenn auch der Innenausbau perfekt ist. Die Telekom University wird aus mehreren funktional ausgerichteten Colleges und den generalistischen Managementinitiativen und Leadership-Programmen bestehen. Bereits heute gibt es für jede Funktion sogenannte Professional Programs mit renommierten Business Schools. Dazu kommt die solide Ausweitung der heute in umfangreichen Pilotprojekten getesteten Expertenkarriere, so dass fachliches Lernen karrieremäßig und perspektivisch untermauert wird. All dies habe ich schon bei Amtsantritt vorgefunden. Telekom ist hier unter den Allerbesten in Deutschland. Doch Programme sind wie Kugeln auf dem Rosenkranz. Wichtig ist, dass die Prozesskette sitzt. Hier gibt es noch ein paar Hausaufgaben zu machen.

Wird es auch ein HR-College geben?

Ja, natürlich. Wir besitzen heute schon HR-Weiterbildung auf hohem Niveau, unter anderem den Master of Science in Human Resources Management. Zurzeit nehmen außerdem 40 unserer HRProfis an der rsm Erasmus Universität in Rotterdam an einem modularen Business-Partner-Fitnessprogramm teil. Ich etabliere auch gerade eine High-Potential-Initiative für neue HR-Talente, die direkt von mir geführt wird. Bewerber sind herzlich willkommen (sattelberger@ telekom.de).

Sie haben vor gut einem Jahr in unserer Zeitschrift in einer sehr persönlichen Bilanz ein Zwischenfazit über die HR-Arbeit in Deutschland gezogen. Dabei sind Sie mit sich selbst und ihren Kollegen hart ins Gericht gegangen. Spüren Sie Veränderungen seit dieser Zeit?
Kürzlich berichtete mir eine HR-Nachwuchskraft, die in einem Dax- Konzern als Business Partner eingestiegen ist, wie frustriert und bitter sie nach 150 Tagen sei. Dort sei nur die Tünche des Business-Partner- Begriffs über eine alte Realität gestrichen worden. Wir haben in deutschen Personalfunktionen sicherlich einen Fortschritt an Erkenntnissen über die Notwendigkeit der Veränderungen. Es gibt auch einzelne Inseln der Veränderung, aber für mich ist noch keine breitflächige Umsetzung des neuen Geistes sichtbar. Positiv wirkt momentan die konjunkturelle Erholung. Nach wirtschaftlich schwierigen Jahren ist mehr als nur Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Gestaltende Konzepte lassen sich dann auch einfacher durchsetzen. Aber nach wie vor müssen wir kritisch auf zentrale Eckpunkte unserer Profession schauen: Welche Qualität hat die personalwirtschaftliche Ausbildung an den Hochschulen, nach welchen Gesichtpunkten rekrutieren wir, welche Karrierewege bauen wir für unsere HR-Professionals, wie gestalten wir das Performance Management, wie schaffen wir moderne Professionalisierungsplattformen für Personaler und wie setzen wir HR-Strategie in der Praxis um? Das sind die Big Six. Und dort sehe ich uns immer noch nicht gut genug.

Was heißt das konkret?
Es gibt hierzulande beispielsweise kaum noch einen personalwirtschaftlichen Lehrstuhl, der auch außerhalb Deutschlands bekannt und renommiert ist, mit Ausnahme von Christian Scholz in Saarbrücken. Das ist symptomatisch für die Strahlkraft der Profession. Sie meinen Renommee in der Praxis. In der Wissenschaft gibt es ja durchaus international anerkannte Professoren, wie beispielsweise Dirk Sliwka aus Köln. Ich bin kein Anhänger der HR-Mikroökonomie. Das halte ich in der Personalwirtschaft für einen großen Irrweg, zumindest in der dogmatischen Absolutheit. Wissenschaft ist ja kein Elfenbeinturm, sondern Hilfe für Verbesserung der Praxis. Hier sehe ich wenig.

Wo sehen Sie weitere Probleme in Ihren genannten Big Six?
Bei der Rekrutierung: Nach wie vor kommen die Besten – und hier vor allem unter den jungen Männern – nicht in den HR-Bereich. Ein anderes Beispiel ist das HR-Karriere-Management: Ich versuche gerade, für Personalführungskräfte operative Laufbahnstationen außerhalb der Personalfunktion einzuführen, und zwar längere Stationen, also nicht von touristischer Natur, dann aber nicht im Marketing, sondern im Vertrieb, nicht bei PR, sondern in der Operation. Als künftiger Personalchef sollte man mindestens einmal, möglichst zweimal etwas anderes als HR kennen gelernt haben. Zumindest diejenigen, die in den verantwortlichen Positionen Strategie- und Geschäftsentscheidungen mit treffen, sollen den Nachweis führen, dass sie in der operativen Praxis Verantwortung hatten. Die HR-Karrieresilos müssen aufgebohrt werden. Wobei ich betonen möchte, dass ich ein überzeugter Anhänger des Fachlichen bin. Ich halte nur bedingt etwas von Quereinsteigern an der HR-Spitze. Und Sie wissen es ja, die neu gegründete „Human Resources Alliance“, in der die geschätzte „Selbst-GmbH“ Mitglied ist, ist für mich Speerspitze guter professionell-strategischer Personalarbeit, die nicht nur in der Szene, sondern auch in der Öffentlichkeit wirkt.

Wieviele Stunden hat Ihr Arbeitstag?
14 Stunden, an sechs Tagen in der Woche. Ich arbeite aus Leidenschaft. Ich liebe mein Geschäft bei der Telekom.



Das Interview führten Jürgen Scholl und Erwin Stickling.


Quelle: Personalwirtschaft 02/2008