Anmaßende Alleskönner

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Foto von Bench Accounting

Je unsicherer den Zeitgenossen einer Ära die Zukunft erscheint, desto massierter treten Trendforscher auf, die aus der Unsicherheit ein Geschäftsmodell entwickeln. Das Merkmal derartiger Gurus ist ihr Sensationalismus. Sie geben sich zwar notorisch optimistisch – in einer Neuauflage der alten Moden des „positive thinking“. Doch ihr wesentliches Verkaufsargument entwickelt sich vor einer düsteren Bedrohungskulisse: Dramatische Veränderungen stünden an und sie seien diejenigen, die die Richtung dieser Veränderungen in ihren Megatrends früher als alle andere sähen. Wer nun ihre Trendletter, Studien, Keynotes, Beratungen, Seminare, Future Summits und hunderte anderer turbulenter Angebote buche, werde die Zukunft früher sehen als andere und als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgehen. Dem amtierenden Management wird in dieser Werbung also unverhohlen attestiert, dass es nicht in der Lage sei, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Genau betrachtet bereiten die Trendforscher in ihren Prognosen jedoch nur die Initiativen auf, die genau dieses Management ins Leben gerufen hat.

Dabei reden die Trendforscher über alle auch nur erdenklichen Themen: von der Zukunft der Bildung über die Zukunft der Frauen, der Männer, der Beratung, des Sex, des Wohnens, der Demografie, der Globalisierung, der Gastronomie und der Automobile, der Konsumentenmärkte und Lebensstile bis hin zur Arbeit der Zukunft und den Konsequenzen für HR.

Neue Klassengesellschaft

Natürlich heißt das nicht mehr so platt: „Arbeit der Zukunft“, sondern kommt mit einem lärmenden Anglizismus daher, der eine Revolution andeutet: „Future Work“. Alles wird anders sein, geprägt von einer „Kreativen Klasse“, die sich in den angesagten Szenen der Innenstädte niederlasse und der Gesellschaft, die beispielsweise der selbst ernannte „Vordenker“ Matthias Horx bis zur Krise als „Smart Capitalism“ feierte, eine ungeheure Innovation bescheren. Die „Future Work“ der „Kreativen Klasse“ werde repräsentiert durch die neuen „Knowledge Workers“, die ihre Kompetenz auf dem freien Markt der Wissensökonomie meistbietend verkauften.

Aber nicht nur für diese herrschende Klasse stünden die Chancen rosig. Auch für den Angestellten oder Arbeiter halte die Zukunft gigantische Chancen bereit – gerade jetzt, in der Krise. Horx: „Ein Metallarbeiter, der vor 40 Jahren arbeitslos wurde, konnte davon ausgehen, demnächst wieder eine ‚Stelle’ als Metallarbeiter zu bekommen. Heute bekommt er alles Mögliche. Vielleicht im Bereich Wellness, Altenpflege, Landschaftsdesign, Entertainment, Nachbarschaftshilfe.“ Bis zum Jahr 2015 werde eine Fülle von derartigen Berufen entstehen, prophezeite Horx und bemühte zur Illustration seiner optimistischen Zukunftsmodelle Positionen wie Lebenscoach, Duftgestalter, Kulturvermittler, Trauerritualist oder Waldkindergärtnerin. Am Ende stehe eine ökonomische Welt, in der sich die Wertschöpfungen immer mehr um das Individuum ranken: „Alles wird zu Me-Märkten.“ Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann assistierte in einer „Studie“ für ein Zeitarbeitsunternehmen: Wer variationsfähig, also „flexibel in der Lebensführung“ sei, investiere „in eine attraktive Biografie als Voraussetzung für ein stabiles Einkommen“.

Arbeitsmarkt als Survival-Training

Wir lassen zusätzlich, räsonierte wiederum Horx schon 1997 in seinem „Zukunftsmanifest“, Newcomer in unsere Gesellschaft („ins Boot“). Sie sollen „zu niedrigen Löhnen Arbeiten ausführen, die unsere Gesellschaft nicht mehr bereit oder in der Lage ist, auszuführen.“ Diese Newcomer leiden keine Not mehr und die anderen brauchen keine Schmutzarbeiten mehr zu machen. Sie entwickeln die „Wissensökonomie“. So entstehe allmählich der gesellschaftliche „Konsens der partiellen Ungleichheit“. Dieses Motiv einer neoliberalen Soziologie der reinen Markt-Gesellschaft verfestigt sich auch in den Thesen des Hamburger Trendbüros. Aufstieg, so der Betreiber dieser Agentur, Peter Wippermann, sei eine Folge der Abgrenzung: Die „Upgrade-Gesellschaft“ strebe nach „Selbstverbesserung durch Look und Feel“. Und der Chef des Gottlieb Duttweiler-Instituts, David Bosshart, betont die Bedeutung künftiger Knappheiten als „Abgrenzungsmerkmale“ für eine statusbedrohte Mittelschicht. Bevölkerungszunahme, Klimaerwärmung und wirtschaftliche Abkühlung dürften die Knappheiten verschärfen – und so zusätzliche Mittel der Abgrenzung schaffen. Denn oft seien es ja die Entbehrungen der anderen, die unser Ansehen steigern, sagte Bosshart im April 2008 in der Zeitschrift „Absatzwirtschaft“. Dieses Gesellschaftsbild vollendet sich in der vom Amerikaner Richard Florida propagierten erwähnten „Kreativen Klasse“, die als Protagonisten der „Wissensökonomie“ für die subalternen Mitglieder des Wirtschaftssystems Arbeit schaffen, weil sie die Abnehmer von Dienstleistungen seien.

In diesem wunderbaren System würde selbst für die Ärmsten der Armen etwas abfallen, etwa durch die Aktivitäten der westlich saturierten Mittelschichtler in „Second Life!“, wo sie – so der Trend-Report 2006 – ihren sozialen Aufstieg proben und Identitätsmanagement betreiben könnten: „Kids in armen Ländern leben teilweise bereits davon, Charaktere zu entwickeln und dann an reiche Altersgenossen in den Industrieländern zu verkaufen!“ Dass Horx im Trend-Report 2009 nun eine „digitale Dämmerung“ diagnostiziert und den Reiz der Unerreichbarkeit als Offline-Trend herbeiredet, stellt nur einen der vielen Widersprüche und Inkonsistenzen dieser hektisch auf den Markt geworfenen Zukünfte dar.

Die Realität der modernen Industriegesellschaft

Abgesehen vom Zynismus derartiger Überlegungen und von Widersprüchen der Prophezeiungen stellt sich für die Innovationskultur einer zukunftsorientierten Bundesrepublik eine zentrale Frage: Woher kommt eigentlich das Geld, um diese wissensbasierte Meconomy zu unterhalten? Zahlt der Zähnewellness-Guru seinen Life-Coach mit dem Geld, das dieser wiederum bei der Beratung für die Imagekampagne einer Bank erhielt, bei der der Zähne-Guru sein Geld anlegt? Das ist natürlich Unsinn: Der Reichtum unserer Gesellschaft und mithin auch die Finanzierungsgrundlage für diese Exoten-Jobs kann nur erwirtschaftet werden, weil und wenn eine innovative Industrie intelligente Lösungen für technische, gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Herausforderungen entwickelt.

Dazu braucht es eine kontinuierliche und dauerhafte exklusive intellektuelle Wertschöpfung, die jedes Unternehmen unverwechselbar macht. Alle Forschungen über die Voraussetzungen der zukunftssicheren Innovation weisen auf diesen Erfolgsfaktor hin: Ambitioniertes Personal, das in einer vertrauensbasierten Kommunikationskultur unter offener Führung die Fragen der Zeit aus der Perspektive des jeweiligen Unternehmens zu beantworten sucht und eine Loyalität zu diesem Unternehmen aufbaut. Trendforscher indes präferieren das Bild jenes gehobenen Free Lancers der kreativen Positionen, das eher ihrem eigenen Habitus und dem ihrer unmittelbaren Klientel – und deren Coaches – entspricht, als den Notwendigkeiten für die künftige Innovationskultur. Die mittelständische Industrie in den deutschen Provinzen, die hochintelligenten und kreativen Weltmarktführer, kommen in diesem System kaum vor.

Was im Übrigen die Megatrends betrifft: Alles, was für das dritte Jahrtausend wichtig zu wissen ist, ermitteln zahlreiche Institutionen – und zwar in erklärter Distanz zur boulevardesken Trendforschung: Fraunhofer-Institute, Statistische Ämter, Max Planck-Gesellschaften, Institute für Technikfolgenabschätzung oder Bevölkerungswissenschaften, Universitätsinstitute mit klar ausgewiesenen Schwerpunkten oder interdisziplinäre Exzellenz-Cluster, seriöse kommerzielle Anbieter wie Prognos, Allensbach oder die Burda Stiftung. Darüber hinaus präsentieren sogar große Unternehmen die Ergebnisse ihrer Zukunftsforschungen, wohl wissend, dass nur geteiltes Wissen die intellektuelle Bilanz der Volkswirtschaft bereichert – darunter die IBM-Studie über die Zukunftsaufgaben der Human Relations. Der Unterschied dieser Projekte zu den „Studien“ der Trendforschung liegt in der Nachvollziehbarkeit des Vorgehens. Die Herausgeber formulieren klare Fragestellungen. Die Nutzer erhalten Informationen über Methoden und Techniken, über die spezifischen Kompetenzen der Forscher, die Reichweiten der statistischen Befunde und die Randbedingungen der Untersuchungen. Es geht hier nicht um „Zukunft“ an sich, sondern um Gestaltungsoptionen auf bestimmten, klar umrissenen Feldern, die interdisziplinär in einem größeren Kontext untersucht werden. Vor allem aber leitet nicht die Verkäuflichkeit der Ergebnisse diese Forschung, sondern wissenschaftliche Unabhängigkeit und praktische Relevanz. „Wirtschaftsnähe“ bedeutet, der Wirtschaft realistische, nicht interessengeleitete Befunde zu offerieren – auf dem Gebiet der Mobilität von morgen, der soziologischen Warnungen vor dem Verschwinden der enorm wichtigen Mittelschichten oder der Entwicklung von Qualifikationsprofilen für Mitarbeiter der wichtigen operativen Ebenen.

Der Nachwuchs steht in den Startlöchern

Zukunft lässt sich nur dadurch bewältigen, dass die Akteure in Wirtschaft und Politik sich über die Komplexität der Entwicklungen im Klaren sind und entsprechende komplexe Reaktionspotenziale aufbauen. Das heißt: Es geht darum, ein intellektuell möglichst diversifiziertes Personal aufzubauen. In einer so tiefgreifenden Finanzkrise ist das eine gewaltige Herausforderung. Denn langfristig gebundene Mitarbeiter kosten Geld. Aber das ist nicht das einzige Problem. Auch die Frage der gesuchten Mentalität spielt eine große Rolle: Personalverantwortliche müssen es schaffen, widerspenstige Charaktere zu rekrutieren und pflegen. Und Vorstände sollten den Personalverantwortlichen genau diese Optionen zugestehen, statt sie als Klone kennzahldominierter Managementsysteme zu modellieren – eine Haltung, die mittlerweile selbst prominente Personalvermittlern beklagen. Dabei ist eines sicher: Der Nachwuchs ist für die anstehende Aufgabe bereit, und zwar seit langem und völlig unabhängig von der Finanzkrise. Das zeigen die großen Studien vieler Personaldienstleister, Berater und anderer Forschungseinrichtungen ebenso wie meine eigenen Studien zur Frage, wie der ideale CEO der Zukunft beschaffen sein solle. Mit geradezu beharrlicher Kontinuität zeichnen die befragten Wirtschaftstudenten und Young Professionals zu allen Befragungszeitpunkten zwischen dem Jahr 2000 und der letzten Welle 2008 das Wunschbild des mitarbeiterorientierten, kommunikativen, inspirierenden Chefs – ein Porträt, das sie für sich selbst in ihrer Selbsteinschätzung deckungsgleich nachzeichnen. Mit gleicher Beharrlichkeit zeigt sich aber auch eine offene Distanz, ja in manchen, vor allem mitarbeiterorientierten Fragen, eine profunde Konfrontation zu den amtierenden Führungskräften.

Das ist in dieser Kontinuität ein deutliches Warnsignal. Nur wenn HR als strategischer Businesspartner im Unternehmen diese Herausforderung angeht und den Arbeitsplatz in Zukunft entsprechend gestaltet, werden sich die Charaktere dieses Mentalitätsmilieus angesprochen fühlen.

Holger Rust ist Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Hannover und verfügt über weitreichende Erfahrungen in der wirtschaftlichen Praxis. Einer breiten Öffentlichkeit ist der Autor von mehr als 30 Fach- und Sachbüchern als Publizist bekannt. Unter anderem erscheinen seine Wirtschafts-Kolumnen monatlich im Harvard Businessmanager. Sein jüngstes Buch vertieft die Ideen dieses Beitrags: „Zukunftsillusionen. Kritik der Trendforschung“ (Verlag Sozialwissenschaften, Oktober 2008).