1 Ausgangslage

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Die Presse berichtet über die unsichere Lage oder eine beschlossene Strategieänderung des Unternehmens, in der Belegschaft kursieren Gerüchte über eine bevorstehende Restrukturierung oder die Geschäftsführung hat bereits über eine notwendig werdende Restrukturierungsmaßnahme und die nicht auszuschließende Möglichkeit des Arbeitsplatzverlustes hingewiesen:

Eine Situation, die jeden Mitarbeiter vor eine schwierige Entscheidung stellt. Auch wenn er sich in seiner Rolle im Unternehmen wohlfühlt und gegenüber seinem Arbeitgeber grundsätzlich loyal ist, zumal noch nicht feststeht, ob und inwiefern eine mögliche Restrukturierungsmaßnahme überhaupt Auswirkungen auf die eigene Stelle hat, schließen Arbeitnehmer in dieser Situation einen Wechsel zu einem anderen Unternehmen oft dennoch nicht aus. Denn im Falle einer Restrukturierung möchte am Ende niemand ohne Arbeitsplatz dastehen.

Entscheidet sich der Beschäftigte, von sich aus zu kündigen, um einen anderen Arbeitsplatz anzunehmen, bevor die interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Restrukturierungsmaßnahme sicher feststeht, so geht er regelmäßig das Risiko ein, nicht in den Anwendungsbereich eines später abgeschlossenen Sozialplans zu fallen, der in vielen Fällen eine Abfindung beinhaltet. Zwar sehen Sozialpläne oftmals vor, dass Abfindungen auch rückwirkend gewährt werden, jedoch ist dies zwischen den Betriebsparteien grundsätzlich frei vereinbar. Dieses Risiko ist vielen Mitarbeitern nicht bewusst. Viele argumentieren später, dass ihnen ein Anspruch aus dem Sozialplan dennoch zustehe, da ihnen vom Arbeitgeber praktisch keine andere Wahl gelassen wurde, als selbst zu kündigen.

Arbeitnehmeranwälte berufen sich in diesemFall auf die sog. betrieblich veranlasste Eigenkündigung. Unternehmen hingegen sind regelmäßig nicht gewillt, Beschäftigten, die sich aus eigenem Entschluss frühzeitignach Bekanntwerden der Restrukturierungsmaßnahme für eine Eigenkündigung entscheiden, eine Abfindung aus dem Sozialplan zu gewähren. „Frühzeitig“ ist eine Kündigung i. d. R. dann, wenn Nachteile einer geplanten Restrukturierungsmaßnahme noch gar nicht sicher feststehen oder konkret absehbar sind. Eine Möglichkeit für den Arbeitgeber, in solchen Fällen Abfindungszahlungen zu vermeiden, bieten Stichtagsregelungenim Sozialplan. Darin wird festgelegt, dass dem Stichtag vorhergehende Eigenkündigungen keinen Abfindungsanspruch begründen.

2 Interessen- und Sozialplanpflichtigkeit

Eine Restrukturierungsmaßnahme ist grundsätzlich dann interessenausgleichs- und sozialplanpflichtig, wenn damit eine sog. Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG einhergeht. Diese liegt bspw. bei Spaltung oder Verlagerung eines Betriebs bzw. bei Massenentlassungen vor und löst die weiteren, in §§ 112 ff. BetrVG geregelten Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus. Sie bestehen insbesondere in umfassenden Informationsrechten und dem Recht des Gremiums, einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln.

Ziel eines Interessenausgleichs ist dabei, Einigkeit über das Ob, Wann und Wie der durchzuführenden Maßnahme zu erreichen, wohingegen der Sozialplan regelt, welche Leistungen des Unternehmens zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Mitarbeitern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, erbracht werden müssen. Aus diesem Grund enthalten Sozialpläne im Normalfall Regelungen zu Ausgleichszahlungen in Form von Abfindungen.

Die Einigung über einen Sozialplan erfolgt zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, den Betriebsparteien eines Unternehmens. Die Verhandlungen dienen dazu, die sozialen Belange der Belegschaft und die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber in Ausgleich zu bringen. In der Regel ist ein Sozialplan für alle Beschäftigten gültig. Er ist wie eine Betriebsvereinbarung für den Arbeitgeber und die davon betroffenen Arbeitnehmer bindend.

Ein freiwilliger Verzicht durch eine der Betriebsparteien ist nicht möglich. Grundsätzlich liegt es in ihrem Ermessen zu entscheiden, welche Nachteile der von der Restrukturierungsmaßnahme betroffenen Mitarbeiter sie in welchem Umfang ausgleichen oder mildern wollen (BAG,Urt. v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, DB 1995, S. 1238). Auch die Entscheidung, in welcher Weise der Kreis von anspruchsberechtigten Beschäftigten bestimmt werden soll, steht im Ermessen der Betriebsparteien.

Dabei müssen nicht alle Arbeitnehmer von den Sozialplanleistungen erfasst sein. Insbesondere können diejenigen, die schon bei ersten Anzeichen einer möglichen Restrukturierungsmaßnahme ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, ausgeschlossen werden. Dies ist allein schon dadurch zu begründen, dass das stets begrenzte Sozialplanvolumen nicht auf eine zu große Zahl von Mitarbeitern verteilt werden kann. Zudem ist eine geordnete Durchführung einer Restrukturierungsmaßnahme gefährdet, wenn Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis vorzeitig kündigen könnten, ohne etwaige Ansprüche aus einem Sozialplan zu verlieren (BAG v. 30.11.1994, a. a. O.).

3 Gleichbehandlung

Allein der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis formal durch eine Eigenkündigung beendet wird, führt jedoch noch nicht zwingend zum Ausschluss eines Anspruchs aus dem Sozialplan. Das in § 75 Abs. 1 BetrVG beschriebene betriebsverfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung verbietet nach der Rechtsprechung des BAG einen generellen Ausschluss aller Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, wenn und soweit die Eigenkündigung im Hinblick auf eine geplante Restrukturierungsmaßnahme vom Arbeitgeber veranlasst ist.

Voraussetzung für eine arbeitgeberseitige Veranlassung ist, dass das Unternehmen gegenüber dem Beschäftigten die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, für ihn bestehe nach Durchführung der Restrukturierungsmaßnahme keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr und er komme mit der eigenen Kündigung einer sonst auszusprechenden betriebsbedingten Kündigung nur zuvor (BAG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 AZR 163/06, AuA 7/07, S. 434).

Dementsprechend ist anerkannt, dass ausnahmsweise auch der Mitarbeiter, der im zeitlichen Zusammenhang mit einer Restrukturierungsmaßnahme eine Eigenkündigung ausspricht, Ansprüche aus einem Sozialplan haben kann. Hieran sind jedoch strenge Voraussetzungen geknüpft:

• Zum einen muss zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenkündigung als sicher zu erwarten sein, dass der betreffende Arbeitsplatz von der Restrukturierungsmaßnahme betroffen sein wird und sich hieraus Nachteile     ergeben werden.

• Zum anderen muss die Eigenkündigung in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu der ansonsten zu erwartenden, aus der Restrukturierungsmaßnahme resultierenden arbeitgeberseitigen Maßnahme stehen.

4 Stichtagsregelungen

Um dieses Risiko auszuschließen, steht es den Betriebsparteien aus Gründen der Rechtssicherheit frei, durch die Bestimmung eines Stichtags festzulegen, ob eine Eigenkündigung durch die konkrete Restrukturierungsmaßnahme als veranlasst angesehen werden kann oder nicht. Ein von den Parteien festgelegter Stichtag begründet eine nicht widerlegbare Vermutung dafür, dass eine danach ausgesprochene Eigenkündigung betrieblich veranlasst war, wohingegen bei einer zuvor ausgesprochenen Kündigung das Gegenteil gilt. Diese sog. Gruppenbildung bedarf jedoch der sachlichen Rechtfertigung. Hierfür hat das BAG folgende Grundsätze aufgestellt:

1. Entscheidend bei der Beurteilung des Vorliegens eines Sachgrundes zur Rechtfertigung der Gruppenbildung ist der Sinn und Zweck der Regelung selbst (BAG, Urt. v. 1.2.2011 – 1 AZR 417/09). Zweck eines Sozialplans ist es nach dem Wortlaut des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht, eine Abfindung als Lohn für die abgeleisteten Dienste zu gewähren, sondern konkret absehbare oder eingetretene Nachteile

durch die betriebliche Änderung auszugleichen (BAG, Urt. v. 20.4.2010 – 1 AZR 988/08). Es geht dabei darum, dem Arbeitnehmer nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes eine Überbrückungshilfe zu gewähren, damit er in Ruhe eine neue Stelle suchen

kann. Mitarbeiter, die selbst gekündigt haben, stehentypischerweise bereits in einem neuen Arbeitsverhältnis mit einem anderen Unternehmen, für das sie sich aktiv und selbstbestimmt entschieden haben. Es ist davon auszugehen, dass diesen durch die Restrukturierungsmaßnahme keine Nachteile entstehen oder zumindest, dass die Eigenkündigung Vorteile mit sich bringt, die etwaige Nachteile überwiegen.

2. Bei der Festlegung von Stichtagen kommt den Betriebsparteien ein weiter Ermessensspielraum zu, der es ihnen erleichtert, für Unternehmen und Belegschaft tragfähige Kompromisse zu erzielen. Jede Stichtagsregelung bringt unvermeidbar gewisse Härten mit sich, die jedoch hinzunehmen sind, wenn die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar ist.

• Als Stichtag kann man insbesondere den Tag des Abschlusses und Inkrafttretens von Interessenausgleich und/oder Sozialplan festlegen, welcher gleichzeitig den spätestmöglichen Zeitpunkt darstellt. Bei der Wahl dieses Zeitpunkts ist der sachliche Zusammenhang stets gegeben, da ab dann für die Belegschaft sicher feststeht, wer in welcher Weise von der Restrukturierung betroffen istund welche arbeitgeberseitigen Maßnahmen konkret zu erwarten sind.

• Jedoch ist auch ein früher gewählter Zeitpunkt möglich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für diesen Stichtag ein spezieller, punktgenau begründbarer eigener Sachgrund besteht, da eine Vorverlagerung sich ausschließlich zugunsten der Belegschaft auswirkt und den Kreis der Anspruchsberechtigten regelmäßig erweitert.

Wichtig ist jedoch, dass eine zeitliche Nähe zum Tag des Abschlusses und Inkrafttreten des Sozialplans gegeben ist. Diese bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, ist jedoch eher weit auszulegen. Eine zeitliche Nähe kann auch mehr als ein paar Tage bedeuten und noch bei Zeiträumen von über einem Monat gegeben sein.

 

• Grenze des Ermessensspielraums für den Stichtag ist jedoch eine Festlegung aus sachfremden Motiven. Ein sachfremdes Motiv liegt z. B. vor, wenn ein Stichtag nur gewählt wurde, um einem bestimmten Beschäftigten bzw. einer bestimmten Gruppe zu schaden. Hierfür bedarf es jedoch klarerAnhaltspunkte.

5 Rechtssicherheit schaffen

Arbeitnehmer, die selbst kündigen, um einer bevorstehenden Kündigungswelle im Rahmen einer interessenausgleichs- und sozialplanpflichtigen Restrukturierung zuvorzukommen, riskieren den Verlust möglicher Abfindungsansprüche aus einem später zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Sozialplan. Aus Sicht des Unternehmens ist es aus Rechtssicherheitsgründen sinnvoll, im Sozialplan festzulegen, dass Eigenkündigungen nur dann Abfindungsansprüche auslösen, wenn sie nach einem bestimmten Stichtag ausgesprochen werden.

Optimaler und zugleich spätestmöglicher Zeitpunkt ist dabei der Abschluss und das Inkrafttreten des Sozialplans. Bei einer Vereinbarung des Sozialplans mit dem Betriebsrat empfiehlt es sich, diesen darauf hinzuweisen, dass es Sinn macht, Mitarbeiter, die frühzeitigden Arbeitgeber unter Ausspruch einer Eigenkündigung verlassen, von der Abfindung aus dem Sozialplan auszuschließen, um das Sozialplanvolumen für die restliche Arbeitnehmerschaft zu erhalten.

6 Exkurs: doppelte Abfindung

Einen weiteren Fall im Zusammenhang mit einem Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan hat das BAG mit Urteil vom 19.7.2016 (2 AZR 536/15) entschieden. Hier hatte ein Arbeitnehmer nach seiner Kündigung, ohne dagegen Kündigungsschutzklage zu erheben, sowohl einen Abfindungsanspruch aus einer zwischen den Parteien als „Interessenausgleich“ bezeichneten Vereinbarung als auch den in § 1a KSchG gesetzlich geregelten Abfindungsanspruch eingeklagt.

Nach dem „Interessenausgleich“ stand den von einer Kündigung betroffenen Beschäftigten eine gem. § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindung zu. Nach dieserVorschrift hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigt und der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist keine Kündigungsschutzklage erhebt. Der Anspruch setzt einen entsprechenden Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG im Kündigungsschreiben voraus. Die Abfindung beträgt dann ein halbes Monatsgehalt für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

Im Kündigungsschreiben fand sich zudem folgender Hinweis: „Sie haben die Möglichkeit, sich gegen diese betriebsbedingte Kündigung zu wehren. Das müssen Sie nach dem Kündigungsschutzgesetz innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung tun. Lassen Sie diese Frist verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben, haben Sie nach § 1a KSchG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr.“

Eine Abfindung i. H. v. 86.300 Euro wurde vom Unternehmen sodann auch bezahlt. Es weigerte sich jedoch, dem Mitarbeiter eine weitere Abfindung in dieser Höhe zu bezahlen, mit der Begründung, dass der Hinweis auf § 1a KSchG in dem Kündigungsschreiben lediglich zur Klarstellung der Berechnung der Abfindung nach dem „Interessenausgleich“ gedient habe. Das BAG bestätigte jedoch den doppelten Anspruch und folgte der Begründung des Arbeitgebers nicht. Es sei zwar möglich, im Kündigungsschreiben rein deklaratorisch auf einen anderen Anspruch aus einer kollektivrechtlichen Regelung zu verweisen, aus denen ein Abfindungsanspruch bei Verlust des Arbeitsplatzes folgt.

Der Wille des Unternehmens muss sich dahingehend aber aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben. Hier fehlte aber ein Verweis auf die Abfindung aus dem „Interessenausgleich“ ebenso wie ein Hinweis auf eine mögliche Anrechnung. Enthält ein Kündigungsschreiben einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies regelmäßig für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG. Beide Ansprüche dienen darüber hinaus unterschiedlichenZwecken.

Wie bereits dargestellt, sollen Sozialplanleistungen, insbesondere Abfindungen, konkret absehbare oder eingetretene Nachteile durch die betriebliche Änderung ausgleichen oder abmildern. Der Anspruch aus § 1a KSchG soll demgegenüber eine einfache Alternative zum Kündigungsschutzprozess schaffen.

7 Fazit

Mit Verweisen auf eine Abfindung in Kündigungsschreiben sollte jeder Arbeitgeber sehr vorsichtig sein.Deutlichsicherer erscheint es, die Mitteilung über einen Abfindungsanspruch in einem gesonderten Schreiben vorzunehmen,es sei denn, man will tatsächlich den Abfindungsanspruch des § 1a KSchG anbieten. Andererseits lässt sich aber auch in jeder kollektivrechtlichen Regelung bereits vereinbaren, dass gesetzliche auf etwaige kollektivrechtliche Abfindungsansprüche anzurechnen sind.

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA – 8/17, Seite 463-465