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Die ganzen ehebezogenen Entlastungen – insbesondere der doppelte Grundfreibetrag von derzeit 7.834 € – berücksichtigt in Steuerklasse III und in Steuerklasse V dann diese unverhältnismäßig hohe Lohnsteuer! Das trifft typischerweise die Ehefrauen (Steuerklasse V als „Frauensteuerklasse“). Diese diskriminierende Lohnsteuerbelastung ist eine Hemmschwelle für die Beschäftigungsaufnahme und ein negativer Anreiz für die Aufnahme einer sv-pflichtigen Erwerbstätigkeit!

Wirkung des Faktorverfahrens

„Jein“. Diese Antwort setzt sich zusammen aus einem (frauen-)politischen „Ja!“ (wer will sich schon auf Dauer Frauendiskriminierung vorhalten lassen) und der Praxisantwort „eher Nein“: Jahrzehntelang haben die Arbeitnehmer-Ehegatten mehr oder weniger zufrieden jeweils IV/IV akzeptiert oder sie haben – bei deutlich unterschiedlichen jeweiligen Arbeitslöhnen – freiwillig die Steuerklassenkombination III/V gewählt.

Die Ehegatten wussten aus Erfahrung und der Tabelle Steuerklassenwahl, dass die Kombination III/V bei ihnen zu einer niedrigeren gemeinsamen Lohnsteuer führt als IV/IV. Weniger bekannt ist, dass es – trotz der verhältnismäßig hohen Lohnsteuer in Steuerklasse V – bei der Kombination III/V (z. B. bei großer Spreizung der Arbeitslöhne) auch zu hohen Einkommensteuernachzahlungen kommen kann. Die Antwort des Gesetzgebers – und das zählt letztendlich für die Praxis - ist nunmehr „Ja“: Mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 2794, Bundessteuerblatt 2009 I Seite 74) wurde mit Wirkung ab 2010 das Faktorverfahren eingeführt (§ 39f Einkommensteuergesetz). Erstmals für 2010 können Arbeitnehmer-Ehegatten (d. h., beide Ehegatten beziehen Arbeitslohn „auf Lohnsteuerkarte“) anstelle IV/IV nunmehr III/V oder auch IV-Faktor/IV-Faktor wählen.

Es ist klar, dass ein weiteres Verfahren zur Berechnung der Lohnsteuer das Abzugsverfahren nicht einfacher machen kann. Das Faktorverfahren leistet, was die Steuerklassenkombination IV/IV allein nicht kann und III/V nur typisierend und damit unvollkommen abbilden kann: Bereits beim Lohnsteuerabzug der Arbeitnehmer-Ehegatten die steuermindernde Wirkung des Splittingverfahrens der späteren gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer zu berücksichtigen. Kurz: Das Faktorverfahren bringt die individuelle Splittingwirkung in das Lohnsteuerabzugsverfahren.

Das Beispiel zeigt deutlich die Grenzen der Lohnsteuertechnik auf und sollte Verständnis für den vom Gesetzgeber gesehenen Handlungsbedarf wecken. Wenn also das Splittingverfahren – wie bei einer größeren Spreizung des Arbeitslohnverhältnisses der Ehegatten – eine deutlich steuermindernde Wirkung hat, dann können wir das Faktorverfahren lohnsteuertechnisch gut gebrauchen, um die gemeinsame Lohnsteuer der (späteren) individuellen gemeinsamen Einkommensteuer anzunähern.

Wichtig ist zu erkennen, dass man erstens die Verteilung der gemeinsamen Lohnsteuerlast zwischen den Arbeitnehmer-Ehegatten nur verschieben kann. Soll es für den Ehegatten B aus unserem Beispiel eine erhebliche Entlastung geben, so folgt daraus, dass es für den Ehegatten A mit der bisherigen sehr günstigen Steuerklasse III grundsätzlich erheblich „teurer“ wird (also dessen Nettolohn sinkt). Daran werden sich die – im typischen Fall – Männer gewöhnen müssen.

Falls die Ehegatten A Trost nötig haben sollten: Die Verteilung der Lohnsteuer im Faktorverfahren entspricht der familienrechtlichen Steuerverteilung im Innenverhältnis der Ehegatten. Familienrechtlich ist für die beiden Ehepartner ein Aufteilungsverhältnis der Gesamtsteuerzahlung anzusetzen, wie es sich aus getrennter Veranlagung ergeben würde. Jeder Ehegatte soll also letztlich so viel Steuer von der Gesamtsteuer tragen, wie es seinem Lohnanteil am Gesamtarbeitslohn entspricht. Das regelt sich zwar in einer funktionierenden Ehe traditionell von selbst. Es kann aber sicher nicht schaden, wenn diese familienrechtliche Verteilung mit dem Faktorverfahren im Lohnsteuerabzug optional ermöglicht wird.

Wichtig zu erkennen ist zweitens, dass man die gemeinsame Lohnsteuerlast genauer der späteren gemeinsamen Einkommensteuer annähern kann. Dann wird die gemeinsame Lohnsteuer (vorläufig) höher, wenn es bisher (z. B. mit III/V) zu hohen Nachzahlungen gekommen ist. Die gemeinsame Lohnsteuerlast wird niedriger, wenn es bisher (z. B. bei IV/IV) in der Veranlagung zu Erstattungen gekommen ist. Es wird schon beim Steuerabzug die zutreffendere gemeinsame Lohn(einkommen)steuer erhoben. Im Übrigen kann das Finanzamt bei voraussichtlichen Nachzahlungen von mindestens 400 € jährlich Einkommensteuer-Vorauszahlungen festsetzen.

Berechnung des neuen Faktors

Das Faktorverfahren bietet nun ab 2010 für Arbeitnehmer-Ehegatten die Möglichkeit, die Lohnsteuerlast dem eigenen Arbeitslohn anzupassen. Dazu wird jeder Ehegatte in Steuerklasse IV eingestuft (jeder Ehegatte erhält seinen Grundfreibetrag etc.). Diese herkömmlich berechnete Steuerklasse IV-Steuer wird aber mit dem Faktor jeweils um die Splittingwirkung vermindert. Die Splittingwirkung zeigt sich in dem Faktor, der ein Multiplikator kleiner als 1 ist, also ein Minderungsfaktor zur Steuerklasse IV-Steuer. Um den Faktor zu berechnen brauchen wir die Summe der Lohnsteuer der Ehegatten bei Steuerklasse IV einerseits und anderseits die sich aus den Arbeitslöhnen ergebende Einkommensteuer mit dem Splittingverfahren. Der Faktor wird berechnet aus (Y) voraussichtliche Einkommensteuer im Splittingverfahren: (X) Summe der Lohnsteuer für A und B Steuerklasse IV.

Auswirkungen auf Ehegatten

Wenn sich die Arbeitnehmer-Ehegatten nun entschließen, das Faktorverfahren zu wählen, ist für sie das Finanzamt der erste Ansprechpartner. Wollen die Arbeitnehmer-Ehegatten keinen Freibetrag eingetragen haben, so müssen dem Finanzamt beide Lohnsteuerkarten (jeweils die 1. Lohnsteuerkarte) vorgelegt werden (entsprechend dem Vorbild der Steuerklassenwahl III/V) und der voraussichtliche Arbeitslohn 2010 von Ehegatte A und Ehegatte B mitgeteilt werden. Ein Vordruck ist dafür nicht vorgesehen. Es empfiehlt sich, eine geeignete Unterlage bereitzuhalten, um die Arbeitslohnangaben ggf. belegen zu können (z. B. Lohnabrechnung, Ausdruck Lohnsteuerbescheinigung, insbesondere wenn sie beim Finanzamt noch nicht veranlagt wurden).

Mit den voraussichtlichen Arbeitslöhnen 2010 berechnet das Finanzamt den Faktor und trägt auf beiden Lohnsteuerkarten 2010 jeweils die Steuerklasse IV und den jeweiligen Faktor ein. Soll ein Freibetrag berücksichtigt werden, sind die entsprechenden Antragsvordrucke zum Ermäßigungsverfahren zu benutzen, beide Lohnsteuerkarten beizufügen und die voraussichtlichen Arbeitslöhne 2010 einzutragen. In die Vordrucke für 2010 sind zusätzliche Felder zur Angabe der voraussichtlichen Arbeitslöhne 2010 aufgenommen worden, damit das Faktorverfahren auch in Freibetragsfällen gewählt werden kann.

Das Finanzamt berücksichtigt bei der Berechnung der Splittingsteuer die anzuerkennenden Freibeträge, berechnet den Faktor und trägt jeweils Steuerklasse IV und den Faktor ein. Ein Freibetrag wird nicht eingetragen – er wirkt sich bereits über den Faktor aus. Bitte beachten Sie: In das Faktorverfahren sind Arbeitslöhne aus zweiten und weiteren Dienstverhältnissen (Steuerklasse VI) nicht einzubeziehen. Es sind also weder Lohnsteuerkarten mit Steuerklasse VI beizufügen noch die Arbeitslöhne für diese weiteren Dienstverhältnisse anzugeben (selbstverständlich auch nicht Arbeitslöhne mit Pauschalbesteuerung, die bei der Veranlagung außer Ansatz bleiben). Für das Faktorverfahren gelten im Übrigen hinsichtlich der Fragen, wie oft und bis wann es gewählt werden kann die Regelungen für die Steuerklassenwahl entsprechend (also grundsätzlich im Laufe des Kalenderjahres einmal, spätestens bis zum 30.11.2010).

Auswirkungen auf den Arbeitgeber

Für den Arbeitgeber ist das Faktorverfahren sehr einfach: Der Faktor gehört zu den Lohnsteuerabzugsmerkmalen, wird folglich wie die Steuerklasse IV in das Lohnkonto übernommen und bei der Lohnsteuerberechnung berücksichtigt. Die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer ergibt sich aus der herkömmlichen Steuerklasse IV-Steuer, die maschinell mit dem Faktor multipliziert (gemindert) wird. Auch Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer werden mit dem Faktor entsprechend gemindert. Der amtliche Programmablaufplan 2010 für die maschinelle Berechnung der Lohnsteuer und übrigen Abgaben sieht das Faktorverfahren vor. Sollten Sie die Lohnsteuer noch mit Tabellen berechnen, so nehmen Sie die dort ausgewiesenen Steuern für Lohnsteuerklasse IV und multiplizieren Sie diese mit dem Faktor.

Lohnersatzleistungen

§ 133 Absatz 1 Satz 3 SGB III sieht ausdrücklich vor, dass z. B. bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes die Steuerbelastung (und damit der Nettolohn) unter Berücksichtigung der Steuerklassen und auch unter Berücksichtigung des Faktors festgestellt wird. Es ist also zu bedenken, dass bei der Wahl des Faktorverfahrens der Nettolohn bei dem einen Ehegatten höher und beim anderen niedriger ausfällt und dies zu einer höheren oder niedrigeren Lohnersatzleistung (z. B. Arbeitslosengeld, Elterngeld) führen kann. Dies ist von Arbeitnehmer-Ehegatten auch schon bei der Wahl der Steuerklassenkombination III/V zu bedenken.

Wenn also die Arbeitnehmer-Ehegatten damit rechnen, in absehbarer Zeit eine Lohnersatzleistung für sich in Anspruch nehmen zu müssen, sollten sie sich zusätzlich mit der neuen Wahlmöglichkeit des Faktorverfahrens befassen. Das kann sich lohnen, muss aber ganz individuell beurteilt (jeweilige Arbeitslöhne, Mutterschaft, wem droht Arbeitslosigkeit?) und berechnet werden. Die Berechnung muss maschinell unterstützt werden. Neben dem Merkblatt zur Steuerklassenwahl III/V und dem Abgabenrechner zur Lohnsteuerberechnung wird das Bundesministerium der Finanzen auf seiner Internetseite daher auch eine Berechnungsmöglichkeit für das Faktorverfahren bereitstellen.

Praxishinweis

Im Hintergrund der Diskussion zur Problematik der Steuerklassenkombination III/V standen in der Vergangenheit und stehen auch derzeit die Überlegungen zu Lohnersatzleistungen. So gibt es zahlreiche Ratschläge, etwa zur Frage „Wie maximiere ich das Elterngeld?“, also „Wie maximiere ich zunächst meinen Nettolohn?“, da sich Lohnersatzleistungen regelmäßig am Nettolohn orientieren (je nach Art mit typisiert oder individuell berechneten Abzügen). Das Faktorverfahren bietet eine deutliche Entlastungsmöglichkeit für den geringer verdienenden Ehegatten B (heute typischerweise die Ehefrau mit Steuerklasse V). Da kann es sich z. B. bei einem Kinderwunsch und einer beabsichtigten Elternzeit der Mutter lohnen, wenn die Ehegatten rechtzeitig das Faktorverfahren wählen. Sollte aber der höher verdienende werdende Vater die Elternzeit beabsichtigen, so dürfte sich bis zu dem glücklichen Ereignis (weiterhin) III/V empfehlen. Das Faktorverfahren kann auch später noch für gerechte Lohnsteuerverteilung sorgen.

Quelle: LohnPraxis - Nr. 12 - Dezember 2009