Unsere Arbeitswelt schlägt Kapriolen wie selten zuvor. Auf der einen Seite sorgen globaler Wettbewerbsdruck und wechselnde Krisenszenarios (Banken-, Wirtschafts-, Währungskrise) für extreme Beschleunigung und hohe Arbeitsbelastung in den Unternehmen. Eine Aktivität jagt die andere, Ziele werden stets nach oben korrigiert und Organisationen werden umgekrempelt, noch ehe die letzte Veränderung umgesetzt ist. So wird die Krise für viele zum mentalen Dauerzustand. Auf der anderen Seite erhalten Mitarbeiter durch technischen Fortschritt und neue Organisationsformen bisher nicht gekannte Freiräume. Sie können selbst entscheiden, wie, wann und wo sie ihre Leistungen erbringen. Diese Freiheit bringt allerdings nicht nur das erhoffte Glück, sondern auch eine neue Form der Unfreiheit – die systematische Selbstausbeutung. Überstunde reiht sich an Überstunde reiht  sich an Überstunde, Weiterbildung findet in der Freizeit statt, persönliche Bedürfnisse und private soziale Kontakte werden vernachlässigt, Beruf und Privatleben verschmelzen auf eine ungesunde Art. Folge: Mitarbeiter kommen nicht mehr mit, verlieren den Überblick und Sinn und Lust an der Arbeit (Dienst nach Vorschrift) oder treiben sich oft selbst so lange an, bis sie nicht mehr können (Burnout).

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Foto von Trent Erwin

Abschied vom Maschinen-Paradigma

Fakt ist: Durch Hektik lässt sich nicht wettmachen, was grundsätzlich falsch läuft. In Managementlehre und -praxis gleicht das Bild vom Menschen immer noch eher einer Maschine als einem lebendigen Organismus. Aus dieser Perspektive scheint die Lösung klar: Bessere Ausnutzung der menschlichen Ressourcen und effizienteres Zeitmanagement. Das sieht auf den ersten Blick plausibel aus, setzt aber voraus, dass wir in der Lage sind, unsere «Drehzahl» beliebig und grenzenlos zu erhöhen. Doch genau da stossen wir an menschliche Grenzen. Unser Gehirn wird zwar gerne und oft aufgrund seiner mitunter genialen Leistungen mit einem Super-Computer verglichen, seine Funktionsweise ist aber grundsätzlich anders.

Energien statt Zeit managen

Wie also lassen sich die Energien der Mitarbeiter auf geeignete Weise aktivieren, ressourcenschonend einsetzen, angemessen regenerieren und dabei gleichzeitig Top-Leistungen erzielen? Die Antwort ist verblüffend einfach: Indem wir uns an der Funktionsweise des Gehirns und den psychologischen Grundbedürfnissen von Menschen orientieren. Gelingt dies, stehen vier Energien zur Verfügung, die die Performance und die Gesundheit von Mitarbeitern und Organisationen nachhaltig steigern (Abbildung 1). Vergleichbar mit einem Muskel, erfordert die «gesunde» menschliche Energie eine adäquate Balance zwischen Anspannung und Entspannung, Aktivität und Regeneration. Geschieht dies nicht, kommt die negative Seite dieser Energien zum Tragen mit genau den Folgen, die wir gegenwärtig zu beklagen haben (siehe dazu jeweils die linke Seite der vier Energiefelder aus Abbildung 1). Im Folgenden wird die positive Seite der vier Energien kurz erläutert.


Mentale Energie:

Der für unser Bewusstsein zuständige Teil des Gehirns hat nur eine begrenzte Aufnahme- und Verarbeitungskapazität. Er kann deshalb seine Aufmerksamkeit nur auf sehr wenige Dinge gleichzeitig richten und jeweils auch nur einen geistigen Prozess auf einmal durchführen. Multitasking funktioniert deshalb höchstens bei Routineaufgaben. Unsere mentale Leistungsfähigkeit ist am effektivsten, wenn wir uns auf das Wesentliche fokussieren (Taktik-Zone). Haben wir es hingegen mit kreativen Prozessen und Neuem zu tun, müssen wir «loslassen», entspannen und eine weite Perspektive einnehmen (Strategie-Zone).

Physische Energie: 

Um kraft- und geistvoll agieren zu können (Aktivitäts-Zone), brauchen Körper und Gehirn die erforderlichen Nährstoffe als Basis ihrer physischen Energie. Obwohl das Gehirn nur zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 20 Prozent der zugeführten Energie, vor allem Glucose. Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung sind auf der Aktivseite wichtige «Energiespender». Wir brauchen aber auch Auszeiten (Erholungs-Zone), z.B. regelmässige Pausen (alle 90 Minuten) und Möglichkeiten zum Abschalten (Off-Zeiten von der Arbeit, Urlaub, Work-Life-Balance).

Emotionale Energie:

Wenn wir begeistert und mit Leidenschaft bei der Sache sind, ist unser Gehirn in einem optimalen Arbeitsmodus (Performance-Zone). Positive Emotionen können sich aus der Aufgabe selbst ergeben, z.B. durch Kennenlernen und Weiterentwickeln der eigenen Fähigkeiten, Selbstbestimmung und Abwechslung (intrinsische Motivation) oder durch Anerkennung, Wertschätzung und angemessene Honorierung der Leistungen (extrinsische Motivation). Auch hier brauchen wir Phasen von geringer Intensität (Entspannungs-Zone), in denen wir uns emotional erholen können (z.B. Meditation und Musse) und unsere psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gestärkt wird.

Spirituelle Energie:

Menschen, die Sinn in dem sehen, was sie tun, und die Möglichkeit haben, ein Leben in Übereinstimmung mit ihren Werten und Überzeugungen zu führen, erlangen eine Energie, die weit über kurzfristige Bedürfnisbefriedigung hinausreicht (Sinn-Zone). Auch diese Energie braucht eine «besinnliche» Phase (Reflektions-Zone). Hier geht es um Fragen wie: Wer sind wir? Was wollen wir? Was ist uns wichtig? 

In Zukunft wird der Erfolg von Unternehmen davon abhängen, ob und wie viel individuelle und organisationale Energie vorhanden bzw. bereitgestellt und aufgeboten werden kann. Denn: Ohne «gesunde» Energie gibt es keine Begeisterung, keine Motivation und keine Spitzenleistung.

Energiebilanz optimieren

Auf dem Weg zur High-Energy-Organisation müssen Unternehmen sicherlich nicht alles verändern, aber sie sollten vieles auf den Prüfstand stellen, um die «Energiebilanz» in ihrer Organisation zu optimieren.

Mit folgenden Schritten wurden in der Praxis gute Erfahrungen gesammelt:

1. Sensibilisieren: z. B. über Impulsvorträge für Top-Management und Führungskräfte

2. Messen: Über «Energy Audits» die Ausprägung der individuellen und organisationalen Energie erfassen und Handlungsfelder identifizieren.

3. Anpassen: Management-, Führungs- und HR-Instrumente ggf. neu ausrichten

4. Umsetzen: z.B. über High EnergyWorkshops/-Trainings für Top-Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter

5. Begleiten: Umsetzung ggf. punktuell durch Coaching-Angebote unterstützen.


Literatur:

Jetter, W. (2012).
Auf dem Weg zur HighEnergy-Organisation –
Energien für Spitzenleistungen in Unternehmen aufbauen.

In: Human Resource Management Jahrbuch 2012, WEKA-Verlag, S. 97–142. 

Jetter, W. (2013).
High Energy Organisation – Wie Unternehmen ihre Potenziale voll ausschöpfen.  
Schäffer-Poeschel-Verlag.


Quelle: persorama – Magazin der Schweizerischen Gesellschaft für Human Resources Management | Nr. 2, Sommer 2013


Fotocredit: w.r.wagner | pixelio.de

Ganzheitlicher Ansatz

Dem derzeit weitverbreiteten Reparaturbetrieb (à la Wege aus dem Burn-out) lässt sich ein präventiver und nachhaltig wirkender Management-Ansatz entgegensetzen, der den Faktor Energie in den Mittelpunkt rückt. Auf Basis umfangreicher Erfahrungen mit Performance-Management und High-Performance-Organisationen und in Verbindung mit Erkenntnissen der aktuellen Hirnforschung und Positiver Psychologie, hat Jetter Management ein ganzheitliches High-Energy-Management-Modell entwickelt (Abbildung 2).

Damit können Unternehmen nicht nur erfassen, was ihre Mitarbeiter «elektrisiert», sondern auch messen, wie stark ihr Unternehmen als Ganzes «unter Strom steht» und durch welche Impulse sie ihre menschlich-organisationale «Energiebilanz» optimieren können.

Mit nur vier universell gültigen Erfolgsprinzipien lassen sich die menschlichen Energien nachhaltig aktivieren, und zwar auf allen drei relevanten Ebenen: Unternehmen (Management), Führungskräfte (Führungsverhalten) und Mitarbeiter (Performance).

Das Fokus-Prinzip nimmt Bezug auf die mentale Energie und bewirkt auf Unternehmensebene über Vision und Strategie eine klare und gemeinsame Ausrichtung. In ihrer Rolle als Visionär und Stratege helfen Führungskräfte ihren Mitarbeitern, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren und ihre geistigen Potenziale optimal zu aktivieren, z.B. über Zielvereinbarungen und klare Prioritäten. Mithilfe des Fokus-Prinzips lassen sich die mentalen Energien im gesamten Unternehmen auf Wichtiges statt nur auf Dringliches richten.

Das Mach(t)-Prinzip korrespondiert mit den physischen, aufs Handeln gerichteten Energien. Auf Unternehmensebene entfaltet es seine Wirkung z.B. über eine menschengerechte Struktur. Bei Führungskräften kommt dieses Prinzip über ihre Rolle als Koordinator und Macher zum Tragen, z.B. über eine klare Verteilung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung, funktionierende Zusammenarbeit und konsequentes Umsetzungsmanagement. Auf Mitarbeiterebene bewirkt dieses Prinzip eine Entlastung der begrenzten Willenskraft durch strukturelle Hilfsmittel, z.B. Klarheit, bewährte Standards oder Routinen, und sorgt so für Disziplin bei der Umsetzung.

Das Lust-Prinzip wendet sich an unsere emotionalen Energien. Auf Unternehmensebene wird diesem Prinzip insbesondere durch eine an den menschlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten ausgerichtete Personalpolitik und ein zeitgemässes Human Resource Management Rechnung getragen.

Die Führungskraft übernimmt in ihrer Rolle als Coach und Mentor die wichtige Aufgabe, Mitarbeiter für ihre Leistungen anzuerkennen, zu fördern und ihnen klare Perspektiven zu bieten. Die Einhaltung des Lust-Prinzips sorgt bei den Mitarbeitern für ein angstfreies Umfeld, sodass sie ihren Aufgaben mit Leidenschaft und Begeisterung nachgehen und eine emotionale Bindung  zum Unternehmen aufbauen können.

Das Sinn-Prinzip schliesslich wirkt auf unsere spirituellen Energien. Auf Unternehmensebene betrifft dies insbesondere den Unternehmenszweck (Mission), die Werte und die gelebte Unternehmenskultur. Führungskräfte tragen und befördern in ihrer Rolle als Vorbild und Integrator die Kultur und wirken identitätsstiftend. Dieses Prinzip lässt Mitarbeiter ihr Handeln als sinnvoll und ihren Beitrag zum Ganzen als wertvoll erleben oder wie Victor Frankl es ausdrückt: «Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.»